Transkript
FORTBILDUNG
Interventionelle Verfahren bei lumbalen Schmerzen
ASPN-Leitlinie zu Injektionen und chirurgischen Eingriffen
Schmerzhafte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule sind eine der häufigsten Ursachen für Einschränkungen im Alltag. In der evidenzbasierten klinischen Leitlinie der American Society of Pain and Neuroscience (ASPN) zur interventionellen Behandlung bei Kreuzschmerzen wurde das Spektrum dieser therapeutischen Optionen zusammengefasst.
Journal of Pain Research
Die Leitlineinautoren weisen darauf hin, dass die aufgeführten Verfahren nicht die Standardversorgung abbilden. Die Behandlung sollte sich vielmehr nach den individuellen Bedürfnissen des Patienten sowie der professionellen Beurteilung und der Erfahrung des Arztes richten.
Injektionstherapien
Epidurale Steroidinjektionen: Schmerzen im unteren Rücken sind häufig auf eine lumbale Radikulopathie zurückzuführen. Zur Behandlung werden spinale Injektionen und vor allem lumbale epidurale Steroidinjektionen empfohlen. Injizierbare Kortikosteroide werden in nicht partikuläre und partikuläre eingeteilt. Die entzündungshemmende Wirkung nicht partikulärer Kortikosteroide setzt schneller ein, lässt aber auch schneller wieder nach. Partikuläre Kortikosteroide sind dagegen mit einem langsameren Wirkungseintritt und längerer Wirksamkeit verbunden. Zu den partikulären Kortikosteroiden gehören Triamcinolon (Kenacort-A®), Methyl-
Steckbrief
Wer hat die Guideline erstellt? American Society of Pain and Neuroscience (ASPN)
Wann wurde sie erstellt? Dezember 2022
Für welche Patienten? Patienten mit Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule
Was ist neu? Die Leitlinie zu interventionellen Verfahren bei Kreuzschmerzen wurde erstmals erstellt und soll regelmässig aktualisiert werden. Die Auswahl einer geeigneten Behandlungsoption orientiert sich an den individuellen Bedürfnissen des Patienten und an der Einschätzung der Wirksamkeit durch den Arzt.
prednisolon (Medrol® und Generika) und Betamethasonacetat (z. B. Celestone® Chrondose), nicht partikuläre Kortikosteroide sind Betamethason-Natriumphosphat und Dexamethason (z. B. Dexamethason Galepharm®). Triggerpunktinjektionen: In randomisierten klinischen Studien erwiesen sich Triggerpunktinjektionen mit verschiedenen Medikamenten beim myofaszialen Schmerzsyndrom (MPS) als wirksam. Triggerpunktinjektionen können erwogen werden, wenn das MPS trotz konservativer Behandlung bestehen bleibt. Zur Injektion werden häufig Lokalanästhetika wie Procain (in der Schweiz nur als Kombipräparat erhältlich), Carbocain (nicht im AK der Schweiz), Lidocain-Tetracain (in der Schweiz nur als Creme erhältlich), Chlorprocain (z. B. Ampres®) oder Bupivacain angewendet. Im Hinblick auf das Schmerzergebnis wurden jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den Medikamenten beobachtet. In medikamentenrefraktären Fällen kann eine Triggerpunktinjektion mit Botulinumtoxin A von Nutzen sein. Injektionen in die Facettengelenke: Lumbale Facettengelenkschmerzen gehören ebenfalls zu den häufigsten Rückenschmerzarten. Bei akuten Schmerzen können intraartikuläre Facetteninjektionen mit Steroiden aufgrund einer möglichen Entzündungskomponente wirksam sein. In manchen Fällen ist eine Kombination der Injektionen mit oralen NSAID wirksamer als die Injektionstherapie allein. Intradiskale regenerative Injektionen: Auch Pathologien der Bandscheibe wie Risse, Degeneration und/oder Höhenverlust können zu Rückenschmerzen führen. Zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit muss die Höhe der Bandscheibe wiederhergestellt oder beibehalten werden, um die axiale Nervenkompression zu verringern und die Gewebedynamik wiederherzustellen. Zu den wirksamen intradiskalen regenerativen Verfahren gehören die Prolotherapie sowie Injektionen mit plättchenreichem Plasma oder mesenchymalen Stammzellen. Injektionen in das Iliosakralgelenk: Das Iliosakralgelenk gilt als häufige Ursache für Schmerzen im unteren Rücken und/ oder im Gesäss mit oder ohne Schmerzen der unteren Extre-
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mitäten. Eine Funktionsstörung tritt häufiger bei degenerativen Erkrankungen oder einem Ungleichgewicht zwischen beiden Gelenken auf. Daher besteht ein erhöhtes Schmerzrisiko bei Patienten mit Beinlängendiskrepanz oder entzündlicher Arthritis sowie bei älteren Personen oder nach Wirbelsäulenoperationen. Meist wird hier ein Lokalanästhetikum in Kombination mit einem Kortikosteroid angewendet. Die Injektionen können intraartikulär oder periartikulär vorgenommen werden. Studien weisen darauf hin, dass intraartikuläre Injektionen den periartikulären überlegen sind.
Minimalinvasive Eingriffe an der Wirbelsäule
Perkutane minimalinvasive lumbale Dekompression: Vor allem bei älteren Menschen kommt es häufig zu einer lumbalen Spinalkanalstenose, die mit unterschiedlichen Symptomen verbunden sein kann. Dazu gehören Schmerzen im unteren Rückenbereich und in den Beinen, die sich beim Gehen verschlimmern und in der Regel in Ruhe abklingen. Die Hypertrophie des Ligamentum flavum gilt als eine der häufigsten Ursachen. Konservative Massnahmen sind hier nur mit einem begrenzten Nutzen verbunden. Die chirurgische Behandlung bei Spinalkanalstenose beschränkte sich in der Vergangenheit auf die offene Laminektomie. Als neueres Verfahren kann jetzt eine minimalinvasive perkutane bildgesteuerte lumbale Dekompression (PILD) vorgenommen werden. Dabei wird mit speziellen Instrumenten ein Teil der Lamina entfernt und das Ligamentum flavum entlastet. Interspinöse Abstandshalter (Spacer): Zur indirekten Dekompression stehen für leichte bis mittelschwere lumbale Spinalkanalstenosen auch interspinöse Abstandshalter (Spacer) zur Verfügung. Diese werden minimalinvasiv ambulant eingebracht und sind mit einer vergleichbaren Wirksamkeit verbunden wie die dekompressive Laminektomie. Perkutane endoskopische Bandscheibenoperationen: Lumbale Bandscheibenvorfälle können zu einer akuten Radikulopathie mit oder ohne akute Kreuzschmerzen führen. Patienten, die nach einer 6-wöchigen konservativen Therapie keine signifikante Verbesserung verspüren, wird ein chirurgischer Eingriff zur Entfernung des vorgefallenen Teils der Bandscheibe empfohlen. Das häufigste Verfahren ist bis anhin die klassische offene Mikrodiskektomie. Als minimalinvasive Verfahren stehen die perkutane Laserdiskusdekompression und die perkutane endoskopische Diskektomie zur Verfügung. Interspinöse/interlaminäre Fusionsimplantate: Lumbale Spinalkanalstenosen und lumbale degenerative Bandscheibenerkrankungen treten häufig gemeinsam auf und bedingen sich weitgehend gegenseitig. Zu den häufigsten chirurgischen Optionen gehören in diesen Fällen die offene Laminektomie oder eine Dekompression mit oder ohne transpedikuläre Schraubenfixierung. Die Dekompression mit Spacern ist zwar mit positiven Ergebnissen verbunden, kann jedoch nur bei bestimmten Patienten angewendet werden. Deshalb wurden minimalinvasive Implantate zur interspinösen oder interlaminären Fixierung entwickelt, die sowohl die Stenose als auch die Degeneration beheben. Des Weiteren können sie angrenzende Dornfortsätze stabilisieren und die Überlastung benachbarter Wirbelsäulenebenen minimieren. Die Fusionsimplantate sind eine geeignete Option für Patienten, bei denen eine Fixierung mit
Pedikelschrauben oder ein chirurgischer Eingriff nicht möglich sind. Minimalinvasive Fusion des Iliosakralgelenks: Seit einigen Jahren steht zur Behandlung bei chronischen Schmerzen, die durch das Iliosakralgelenk verursacht werden, eine chirurgische Stabilisierung/Fusion des Gelenks zur Verfügung. In der Vergangenheit wurde die Arthrodese als offenes Verfahren durchgeführt, mittlerweile kann die chirurgische Stabilisierung und/oder Fusion aber auch mit verschiedenen minimalinvasiven Verfahren vorgenommen werden. Vertebrale Augmentation: Vertebrale Kompressionsfrakturen (VCF) können osteoporotisch, pathologisch oder traumatisch verursacht und mit erheblichen Schmerzen und eingeschränkter Funktion verbunden sein. Für das Management bei symptomatischer VCF stehen verschiedene Varianten der Wirbelkörperaugmentation wie die perkutane Vertebroplastie, die perkutane Ballonkyphoplastie und Wirbelkörperaugmentationsimplantate zur Verfügung.
Neuromodulation
Rückenmarkstimulation (SCS): Die Rückenmarkstimulation ist eine gut etablierte Behandlungsoption für Patienten mit chronischen refraktären Schmerzen, die aus einer Vielzahl von Ätiologien resultieren können. Die Indikationen für die SCS umfassen das Failed-Back-Surgery-Syndrom (FBSS), nicht chirurgische refraktäre Rückenschmerzen und die Lendenwirbelsäulenstenose. Intrathekale Medikamentenapplikation: Die kontinuierliche intrathekale Medikamentenapplikation gilt als sichere, wirksame Behandlungsoption für ein breites Spektrum refraktärer chronischer Schmerzen im unteren Rückenbereich. Ziconotid (Prialt®) ist die erste Wahl bei lokalisierten, nicht krebsbedingten neuropathischen oder nozizeptiven Schmerzen, während Morphin (z. B. Dacepton®) bei diffusen Schmerzen bevorzugt wird. Als Mittel der zweiten Wahl für lokalisierte und diffuse Schmerzen gelten Fentanyl und Hydromorphon (z. B. Palladon®) mit oder ohne Bupivacain. Für tertiäre und quartäre Anwendungen können Kombinationen von Arzneimitteln der ersten und zweiten Wahl mit Clonidin (Catapresan®), Sufentanil (Sufenta® und Generika) oder Baclofen (Lioresal® und Generika) appliziert werden. Periphere Nervenstimulation (PNS) – Multifidusaktivierung durch Stimulation des Nervus medialis des Ramus dorsalis der Lendenwirbelsäule: Eine PNS kann bei chronischen Kreuzschmerzen in Betracht gezogen werden, wenn konservative Optionen keine Besserung bringen und keine Indikation für einen chirurgischen Eingriff vorliegt. Kandidaten für die PNS sind Patienten mit chronischen Kreuzschmerzen infolge einer Dysfunktion des Muskulus multifidus, die oft mit Muskelatrophie einhergeht. Periphere Nervenfeldstimulation (PNFS): Die PNFS entfaltet ihre analgetische Wirksamkeit auf ähnliche Weise wie die PNS, zielt jedoch auch auf distalere und kleinere sensorische Äste ab. Eine Indikation für die Anwendung von PNFS liegt bei Patienten mit schweren chronischen neuropathischen Schmerzen ohne eindeutige korrigierbare zugrunde liegende Pathologie vor, die trotz verschiedener anderer Behandlungen bestehen bleiben. Vor der PNFS sollte eine Bildgebung durchgeführt werden, um reversible Wirbelsäulenpathologien als Schmerzursache auszuschliessen.
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Ablative Therapien
Lumbale Radiofrequenzablation an der Lendenwirbelsäule: Bei der konventionellen Radiofrequenzablation (RFA) wird Hochfrequenzstrom zur thermischen Ablation eines Gewebebereichs verwendet. Die Indikationen für den Einsatz der lumbalen RFA beziehen sich grösstenteils auf hartnäckige nozizeptive Schmerzen in den lumbalen Facettengelenken. Radiofrequenzablation des Iliosakralgelenks: Aufgrund der vorübergehenden Wirksamkeit von Iliosakralgelenkinjektio-
nen wurde nach definitiven Behandlungsoptionen gesucht. Zur dauerhaften Schmerzlinderung kann eine Radiofrequenzneurotomie des Iliosakralgelenks durchgeführt werden. Radiofrequenzablation des Nervus basivertebralis: Der Nervus basivertebralis (BVN) ist ein Zweig des Nervus sinusvertebralis, der für die Weiterleitung nozizeptiver Informationen von beschädigten Wirbelkörperendplatten verantwortlich ist. Die intraossäre Radiofrequenzablation dieses Nervs kann minimalinvasiv Fluoroskopie- oder CT-gesteuert erfolgen. s
Klinische Leitlinie der American Society of Pain and Neuroscience (ASPN) zur interventionellen Behandlung bei Kreuzschmerzen
https://www.rosenfluh.ch/qr/aspn_guideline
Petra Stölting
Quelle: Sayed D et al.: The American Society of Pain and Neuroscience (ASPN) Evidence-Based Clinical Guideline of Interventional Treatments for Low Back Pain. J Pain Res. 2022;15:3729-3832.
Interessenlage: 11 der 29 Autoren der referierten Studie haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.