Transkript
EDITORIAL
9 Minuten für mehr Hirn
In einer Gesellschaft mit mehrheitlich sitzenden Berufen ist das Risiko gross, sich durch Bewegungsmangel allerlei gesundheitliches Ungemach einzuhandeln. Der Mahnfinger gegen uns oder die Patienten ist entsprechend häufig erhoben. Doch wie wir wissen, sind liebgewonnene und eingespielte Lebensgewohnheiten nur schwer zu ändern, sodass es geradezu nach froher Botschaft klingt, wenn man mit 9 Minuten Herzklopfen pro Tag seine kognitive Leistung verbessern kann.
Eine britische Studie untersuchte nämlich den Einfluss von Bewegung leichter respektive starker Intensität auf die Kognition. 4481 46-jährige Teilnehmer aus der British Cohort Study trugen während 7 Tagen rund um die Uhr einen Akzelerometer um den Oberschenkel und liessen sich zusätzlich auf ihr verbales Gedächtnis und ihre Exekutivfunktionen testen. Mit diesem Akzelerometer konnten die Bewegungsintensität gemessen sowie Bewegungsmuster unterschieden werden, wie langsames oder zügiges Gehen, Laufen, Treppensteigen, aber auch Sitzen, Stehen und Schlafen. Zu den intensiven körperlichen Aktivitäten zählen solche, die die Herzfrequenz erhöhen, wie beispielsweise zügiges Gehen oder Laufen. Als leichte Aktivitäten gelten zum Beispiel normale Hausarbeit oder Gehen.
Die Messdaten zeigten, dass sich die Teilnehmer an einem Tag durchschnittlich 51 Minuten intensiv und etwa 6 Stunden leicht bewegten sowie weitere 9 Stun-
den sitzend und 8 Stunden liegend zubrachten. Weiter zeigte sich eine signifikante positive Assoziation zwischen intensiver körperlicher Aktivität und Kognition. Das heisst, Teilnehmer, die sich in den Kognitionstests in den oberen beiden Quartilen befanden, bewegten sich am Tag länger intensiv, sassen und schliefen weniger. In der untersten Kognitionsquartile wiesen die Teilnehmer den grössten Anteil an leichter Aktivität auf. Die statistische Analyse ergab eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten um 1,3 Prozent im Vergleich zum Durchschnitt, wenn 9 Minuten sitzende durch intensive körperliche Aktivität ersetzt wurden, und um 1,27 Prozent bei 7 Minuten intensiver statt leichter Aktivität. Die stärkste Wirkung hatte die körperliche Aktivität auf das Arbeitsgedächtnis sowie auf Planungs- und Organisationsaufgaben (1). 9 Minuten täglich mehr keuchen anstatt sitzen müsste machbar sein, auch für Ihre Patienten!
Dass auch der Bluthochdruck die Entwicklung einer Demenz durch Schädigung von Hirnregionen fördert, wird schon länger angenommen. Nun weiss man auch wie. Anhand von MRT-Scans von 33 000 Personen aus der UK Biobank, genetischen Analysen und Beobachtungsstudien wurden 9 Hirnregionen identifiziert, die von Hypertonie betroffen sind und von denen angenommen wird, dass sie das Lernvermögen und die Exekutivfunktionen beeinflussen. Die Erkenntnisse wurden dann bei 116 realen Patienten mit und ohne Hypertonie überprüft. Es zeigte sich, dass die identifizierten Hirnregionen bei den hypertonen Patienten tatsächlich betroffen waren, und zwar in Form einer Abnahme von Gehirnvolumen und Hirnrinde sowie einer veränderten Gehirnaktivität (2).
Mit einfachen und günstigen Mitteln – 9 Minuten täg-
lich mehr «schwitzen» und Blutdruckkontrolle – seine
Kognition verbessern oder bewahren zu können, klingt
fantastisch. Finden Sie nicht?
s
Valérie Herzog
Referenzen: 1. Mitchell JJ et al.: Exploring the associations of daily movement behavi-
ours and mid-life cognition: a compositional analysis of the 1970 British Cohort Study. J Epidemiol Community Health. 2023;77(3):189-195. 2. Siedlinski M et al.: Genetic analyses identify brain structures related to cognitive impairment associated with elevated blood pressure. Eur Heart J. 2023 Mar 27:ehad101; doi: 10.1093/eurheartj/ehad101.
ARS MEDICI 8 | 2023
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