Transkript
Zuckerersatz
Erhöhtes kardiovaskuläres Risiko wegen Erythrit?
Süssstoffe stehen seit Jahrzenten wegen potenziell pathogener Wirkungen in der Diskussion. So wurde vor rund 50 Jahren heftig und kontrovers über die Kanzerogenität von Saccharin diskutiert. Heute ist es darüber still geworden, und Sacharin wird weiterhin über-
Feinkörniges Erythrit (Foto: Thomas Kniess, CC4.0)
all verkauft. Ähnliche Diskussionen gab es um die künstlichen Süssstoffe Cyclamat, Aspartam, Sucralose und Acesulfam-K. Erythrit (Erythritol, E 968) ist ein natürlicher Bestandteil von bestimmten Lebensmitteln. Optisch und in seiner Konsistenz unterscheidet er sich nicht von Zucker, seine Süsskraft ist aber nur halb so hoch. In der EU darf der Zuckerersatz Lebensmitteln ohne Mengenbegrenzung zugesetzt werden. Gemäss einer kürzlich publizierten Studie könnte Erythrit mit einem erhöhten Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse (MACE: Tod sowie nicht tödlicher Herzinfarkt oder Schlaganfall) und mit einer gesteigerten Thromboseneigung assoziiert sein. Die Studienautoren führten dafür Untersuchungen in vivo und in vitro in 4 Abschnitten durch. In die erste Untersuchungsreihe (discovery cohort) wurden 1157 Personen mit hohem Risiko für Herzkreislauferkrankungen aufgenommen und 3 Jahre lang nachverfolgt. Die Teilnehmer, bei denen in diesem Zeitraum ein MACE auftrat, wiesen eine erhöhte Konzentration von multiplen Polylen, vor allem von Erythrit auf. In einer Metabolomicsanalyse studierten die Autoren 2 Kohorten mit stabilen Patienten (2149 aus den USA und 833 aus Europa), die sich einer kardialen Untersuchung unterzogen; bei ihnen bestätigte sich diese Assoziation.
Bei präklinischen Versuchen führte die Fütterung von Mäusen mit Erythrit zu einer erhöhten Reaktivität von Thrombozyten in vitro und in vivo sowie zu einer erhöhten Thromboseneigung. In einer prospektiven Interventionspilotstudie mit 8 gesunden Personen führte die Aufnahme von 30 g Erythrit zu einer länger als 2 Tage anhaltenden Erhöhung des Erythritspiegels deutlich über die Schwelle hinaus, bei der sich in vitro und in vivo eine gesteigerte Reaktivität der Thrombozyten und ein erhöhtes Thrombosepotenzial gefunden hatte. In geringen Mengen wird Erythrit vom Körper selbst produziert. Somit stellt sich die Frage, ob herzgefährdete oder herzkranke Personen nicht selbst vermehrt Erythrit bilden. Eine genetisch bedingte Erhöhung der Erythritproduktion wurde ebenfalls im Zusammenhang mit Herzerkrankungen und Thromboseneigung diskutiert. Ob man die Resultate der oben referierten Studie, die an bereits herzgefährdeten Patienten erhoben wurden, auf die Allgemeinbevölkerung übertragen kann, ist fraglich. Erythrit ist in vielen als «zuckerfrei» verkauften Lebensmitteln enthalten, insbesondere in Getränken. So ist der Erythritgehalt von 30 g, der in der Pilotstudie den Erythritspiegel im Blut der Probanden sehr stark anhob, vergleichbar mit der üblichen Dosis in einem «zuckerfreien» Süssgetränk oder in einem halben Liter einer «Diät-Eiscreme». Inwieweit die in der Studie unter Erythrit beobachtete erhöhte Neigung zu Herzkreislauferkrankungen und Thrombose längerfristig relevant ist, bleibt abzuwarten. Die Autoren schreiben in ihren Schlussfolgerungen, dass Langzeitstudien erforderlich seien, um diese abzuschätzen. Auf jeden Fall kann dazu geraten werden, als Standardgetränk ganz einfach Wasser zu sich zu nehmen. Helmut Schatz/red s
Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie: https://blog.endokrinologie.net/suessstoff-erythrit-kardiovaskulaere-ereignisse-5263/ Witkowski M et al.: The artificial sweetener erythritol and cardiovascular event risk Nat Med. 2023;10.1038/ s41591-023-02223-9.
ARS MEDICI 7 | 2023
173