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BERICHT
Schmerzen bei rheumatoiden Erkrankungen
Was leisten Opioide und andere Strategien?
Patienten mit rheumatoiden Erkrankungen werden immer wieder von Schmerzen heimgesucht. Obwohl für den Einsatz von Opioiden zur Schmerzbekämpfung bei rheumatischen Erkrankungen nur wenig Evidenz vorliegt, werden sie in den USA inflationär verschrieben. Und in Europa? Am EULAR-Kongress beschäftigten sich sehr unterschiedliche Studien mit den Möglichkeiten einer Schmerzreduktion.
Opioidverschreibungen haben in den USA mittlerweile epidemische Ausmasse angenommen. Allerdings scheint es in europäischen Ländern ähnliche Tendenzen zu geben (1). Zu den häufigsten Indikationen für solche Medikamente gehören rheumatoide und muskuloskelettale Erkrankungen. Britische Wissenschaftler wollten wissen, ob es in den vergangenen Jahren auch im Vereinigten Königreich zu einer Zunahme von Opioidverschreibungen gekommen ist, und untersuchten dafür 6 rheumatoide und degenerative Erkrankungen (2): rheumatoide Arthritis (RA), Psoriasisarthritis (PsA), axiale Spondyloarthritis (AxSpA), systemischer Lupus erythematodes (SLE), Arthrose (OA) und Fibromyalgie. Für die Untersuchung wurden Daten aus der britischen Datenbank Clinical Practice Research Datalink (CPRD) ausgewertet (2). In diese Analyse wurden 21 505 RA-, 8392 PsA-, 4491 AxSpA-, 4508 SLE-, 944 078 OA- und 33 829 Fibromyalgiepatienten aufgenommen, die zwischen 2006 und 2020 neu mit Opioiden behandelt worden waren. Dabei war ab 2006 bei RA-, PsA- und Fibromyalgiepatienten insgesamt ein signifikanter Anstieg von «Opioidneunutzern» zu verzeichnen. Allerdings scheint es ab 2018 zu einer gewissen Umkehr gekommen zu sein, da sich seit diesem Jahr die Zahl der Neunutzer von Opioiden zumindest bei RA, AxSpA and SLE wieder reduzierte. Diese Umkehr fand bei der OA bereits 2013, bei der Fibromyalgie jedoch erst 2019 statt. Insgesamt der höchste Opioidanteil wurde über die Jahre bei RA- (32%) und Fibromyalgiepatienten (31,9%) beobachtet. Die leichte Trendumkehr 2018 könnte das zunehmende Bewusstsein für die negativen Folgen eines immer stärker um sich greifenden Opioidgebrauchs reflektieren, so die Autoren. Allerdings werfe der hohe Anteil von Opioidlangzeitnutzern bei RA und Fibromyalgie kein gutes Licht auf das derzeitige Schmerzmanagement von rheumatischen Erkrankungen sowie dessen Sicherheit und Effektivität.
Kleine Morphininjektion ohne Nutzen
Die gegenwärtige intraartikuläre Standardbehandlung besteht aus der Injektion von Steroiden, die bekanntermassen enorme Nebenwirkungen nach sich ziehen können. Ein neuer therapeutischer Ansatz könnte in der Applikation kleiner, systemisch inaktiver Morphindosen zur Aktivierung von peripheren Opioidrezeptoren liegen. Am EULAR-Kongress wurde dazu eine randomisierte Untersuchung aus Berlin vorgestellt (3). Dazu wurden 93 Patienten mit rheumatoiden inflammatorischen Schmerzen (n = 32) wie bei RA, PsA, SpA oder Oligoarthritis sowie OA (n = 61) evaluiert. Sie litten seit
durchschnittlich 6,7 Jahren unter ihrer Erkrankung sowie unter starken Schmerzen (VAS ≥ 4 von 10) und erhielten intraartikulär entweder Morphin 3 mg, das Steroid Triamcinolon 40 mg oder Plazebo. Die mittlere VAS-Schmerzreduktion nach 7 Tagen betrug –22,8, –37,7 und –19,8. Die Unterschiede waren nicht signifikant für Morphin versus Plazebo, aber für Triamcinolon versus Plazebo (p = 0,013) und Triamcinolon versus Morphin (p = 0,006). Auch die Schmerztagebücher bestätigten dieses Ergebnis. Die Studie zeigte klar, dass eine Einzelinjektion von intraartikulärem Morphin 3 mg keine Schmerzverminderung gegenüber Plazebo bringt und eine solche Therapie nicht zur Schmerzreduktion taugt.
Vergleich im Simulationsmodell
Schmerzen in der unteren Rückenregion sind in den vergan-
genen 30 Jahren weltweit die Hauptursache für Arbeitsun-
fähigkeit. In einer kanadischen Studie wollten Wissenschaft-
ler um Jacek Kopec mithilfe eines Mikrosimulationsmodells
untersuchen, wie 3 unterschiedliche Strategien zur Linderung
der Schmerzen beitragen könnten: Gewichtsreduktion, ergo-
nomische Verbesserungen und ein Sportprogramm (4). In das
Modell flossen unter anderem Parameter wie Alter, Ge-
schlecht, Ausbildung, BMI, Arbeitsrisiko, Rückenprobleme,
Schmerzlevel und Sport mit ein. Die Wissenschaftler vergli-
chen die Auswirkungen einer Reduktion des BMI um 1 Ein-
heit auf die Verminderung der Arbeitsunfähigkeit mit jenen
von ergonomischen Veränderungen und einem Sportpro-
gramm. Ergebnis: Die Auswirkung einer Reduktion des BMI
um 1 Einheit pro Jahr bei übergewichtigen respektive adipö-
sen Patienten entsprach im gleichen Zeitraum einer Vermin-
derung der Arbeitsunfähigkeit durch ergonomische Inter-
ventionen bei 35 Prozent der «Risikoarbeiter» oder den Aus-
wirkungen eines Bewegungsprogramms bei 27 Prozent der
Patienten mit Rückenproblemen. Mit anderen Worten: Wer
seinen BMI um 1 Einheit verminderte, hatte einen ähnlich
positiven Effekt hinsichtlich seiner Rückenschmerzen wie
rund 1 Drittel derjenigen, die es mit einer verbesserten Ergo-
nomie oder mit Sport versuchten.
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Klaus Duffner
Quelle: Hybride Jahrestagung der European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR). 1. bis 4. Juni 2022 in Kopenhagen. EULAR-Pressemitteilung und Referenzen.
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Referenzen: 1. Jani M et al.: Time trends and prescribing patterns of opioid
drugs in UK primary care patients with non-cancer pain: A retrospective cohort study. PLoS Med. 2020;17(10):e1003270. 2. Huang JYT et al.: Trends for opioid prescriptions among patients with rheumatic and musculoskeletal diseases between 2006– 2020. Ann Rheum Dis. 2022;81(1):34;OP0051. 3. Haibel H et al.: Intraarticular morphine in chronic knee-arthritis – results of a randomized placebo-controlled trial. Ann Rheum Dis. 2022;81(1):33;OP0050. 4. Kopec J et al.: Reducing the burden of low back pain: results from a new microsimulation model. Ann Rheum Dis. 2022;81(1):36; OP0054.
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