Transkript
FORTBILDUNG
Management der rheumatoiden Arthritis
Update der European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR)
Die EULAR hat ihre Empfehlungen zum Management der rheumatoiden Arthritis (RA) mit krankheitsmodifizierenden antirheumatischen Medikamenten (DMARD) überarbeitet. Im Gegensatz zu früheren Jahren sind seit dem letzten Update keine neuen Medikamentenklassen hinzugekommen. Die Auswertung neuer Daten, die vor allem Sicherheitsaspekte bereits bekannter Substanzen betreffen, führte dennoch zu signifikanten Änderungen im Vergleich zur früheren Guideline.
Annals of Rheumatic Diseases
In der neuen Version formulierte die Task-Force 11 Empfehlungen zur Anwendung von konventionellen synthetischen DMARD (csDMARD), Glukokortikoiden (GC), biologischen DMARD (bDMARD) und zielgerichteten synthetischen DMARD (tsDMARD) (Kasten). Die übergeordneten Prinzipien blieben unverändert.
Empfehlung 1: frühzeitige Behandlung
Die Behandlung der rheumatoiden Arthritis mit DMARD sollte unmittelbar nach der Diagnose beginnen. In diesem Zusammenhang ergab sich die Frage, ob sich die Diagnose einer RA nur auf Patienten mit dem vollen Krankheitsbild oder auch auf solche mit einer vermuteten RA beziehen sollte. Die Experten einigten sich darauf, dass die Behandlung bei einer überzeugenden klinischen Diagnose beginnen sollte und nicht erst bei einem vollständigen klassischen Krankheitsbild, das heute ohnehin nur noch selten anzutreffen ist.
Steckbrief
Wer hat die Guidelines erstellt? European League Against Rheumatism (EULAR)
Wann wurden sie erstellt? 2022
Für welche Patienten? Patienten mit rheumatoider Arthritis
Was ist neu? ▲ Die explizite Formulierung, dass GC völlig abgesetzt werden müs-
sen. ▲ JAK-Inhibitoren sollen nur unter Berücksichtigung bestimmter Risi-
kofaktoren des Patienten angewendet werden. ▲ Nach Erreichen einer Remission kann die Dosis von csDMARD und/
oder bDMARD in beliebiger Reihenfolge reduziert werden.
Empfehlung 2: Ziel ist die Remission
Die Behandlung sollte darauf abzielen, bei jedem Patienten eine anhaltende Remission oder eine geringe Krankheitsaktivität zu erreichen. Hier gab es Überlegungen, ob die geringe Krankheitsaktivität im Guideline-Text vor der Remission stehen sollte, weil es sich in den meisten Fällen um eine etablierte Krankheit handle und hier das Hauptziel eine geringe Krankheitsaktivität sei. Die EULAR-Empfehlungen orientieren sich jedoch am Verlauf der Erkrankung und sind somit bei neu diagnostizierten Patienten gültig (Abbildung). Da hier die Remission angestrebt wird, wurde diese auch weiterhin vor der geringen Krankheitsaktivität platziert.
Empfehlung 3: Behandlung entsprechend der Krankheitsaktivität
Das Überprüfen der Behandlung sollte bei aktiver Erkrankung häufig erfolgen (alle 1 bis 3 Monate). Wenn spätestens 3 Monate nach Beginn der Behandlung keine Besserung eingetreten oder das Ziel nach 6 Monaten noch nicht erreicht ist, sollte die Therapie angepasst werden. Die Experten der TaskForce kamen überein, diese Empfehlung unverändert aus der vorherigen Fassung zu übernehmen.
Empfehlungen 4: Methotrexat (MTX) ist das Medikament der ersten Wahl
MTX sollte Teil der ersten Behandlungsstrategie sein. Diese Empfehlung wurde im Zusammenhang mit der nachfolgenden Empfehlung 5 diskutiert. Dabei ging es auch um die Anwendungsmodalitäten von Hydroxychloroquin. Da es sich Studien zufolge eher um ein schwaches DMARD handelt, kann diese Substanz bei früher oder milder Erkrankung (ohne ungünstige prognostische Faktoren) angewendet werden, wenn die 3 anderen csDMARD kontraindiziert sind oder nicht vertragen werden. Die Experten weisen jedoch darauf hin, dass MTX nicht durch Hydroxychloroquin ersetzt werden kann. Im klinischen Alltag wird Hydroxychloroquin bei RA oft im Rahmen von Dreifachtherapien, beispielsweise in Kombina-
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Phase 1
keine Kontraindikation gegenüber MTX
Klinische Diagnose der rheumatoiden Arthritis
Kontraindikation gegenüber MTX
Beginn mit MethMoTtrXexat
Kombination mit Kurzzeit-
GlukokoGrCtikoiden
Beginn mit Leflunomid
+ +(reduzieren und so bald wie
oder Sulfasalazin
möglich absetzen)
Phase 2
Verbesserung nach 3 Monaten
und Erreichen des Ziels nach 6 Monaten
Ja
Fortsetzen
Dosisreduzierung in anhaltender Remission
ungünstige prognostische Faktoren
Nein
keine ungünstigen prognostischen Faktoren
bDMARD zufügen JAK-Inhibitor nur nach
Risikoevaluierung
Phase 3
Verbesserung nach 3 Monaten und Erreichen des Ziels nach 6 Monaten
Ja
Nein
Wechsel des csDMARD oder Zugabe eines zweiten csDMARD (+GC)
Fortsetzen
Dosisreduzierung / Intervallverlängerung
in anhaltender Remission
Wechsel des bDMARD oder
JAK-Inhibitor
Verbesserung nach 3 Monaten
und Erreichen des Ziels nach 6 Monaten
Ja
Fortsetzen
Dosisreduzierung / Intervallverlängerung
in anhaltender Remission
Nein
Abbildung: Therapiealgorithmus für das Management der rheumatoiden Arthritis (MTX: Methotrexat, GC: Glukokortikoide, bDMARD: biological disease-modifying anti-rheumatic drugs, csDMARD: konventionelle DMARD, JAK: Januskinase; modifiziert nach Smolen et al., 2023)
tion mit MTX und Sulfasalazin angewendet. In älteren Studien wurde mit dieser Strategie allerdings kein zusätzlicher Nutzen erzielt, sondern es traten mehr unerwünschte Ereignisse auf. Da einige Rheumatologen initial eine Dreifachtherapie verordnen, wurde die Formulierung beibehalten, dass MTX ein Teil der Ersttherapie sein soll. Als Strategie der 1. Wahl empfehlen die Experten jedoch eine MTX-Monotherapie in Kombination mit kurzfristig applizierten GC. Bei ausreichender
Folatsupplementierung kann MTX rasch bis zu 25 mg 1-mal wöchentlich aufdosiert werden.
Empfehlung 5: Leflunomid oder Sulfasalazin anstelle von MTX
Bei Patienten mit einer Kontraindikation gegen MTX (oder frühzeitiger Unverträglichkeit) sollten Leflunomid oder Sulfasalazin als Teil der (ersten) Behandlungsstrategie in Betracht gezogen werden. Diese Empfehlung wurde unverän-
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Kasten
DMARD zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis
csDMARD ▲ Methotrexat (diverse Generika zur oralen und parenteralen An-
wendung) ▲ Leflunomid (Arava® und Generika) ▲ Sulfasalazin (Salzopyrin®) ▲ Hydroxychloroquin (Plaquentil®; Autogenerikum Hydroxychloro-
quin Zentiva®)
tsDMARD ▲ Baricitinib (Olumiant®) ▲ Filgotinib (nicht in der Schweiz) ▲ Tofacitinib (Xeljanz®) ▲ Upadacitinib (Rinvoq®)
bDMARD TNF-Inhibitoren ▲ Adalimumab (Humira®) ▲ Certolizumab (Cimzia®) ▲ Etanercept (Enbrel®) ▲ Golimumab (Simponi®) ▲ Infliximab (Remicade®) IL-6R-Inhibitoren ▲ Sarilumab (Kevzara®) ▲ Tocilizumab (Actemra®) Kostimulationsinhibitor ▲ Abatacept (Orencia®) CD-20-Antikörper ▲ Rituximab (Mabthera®) Biosimilars für ▲ Adalimumab ▲ Etanercept ▲ Infliximab
dert aus der Fassung von 2019 übernommen. Sulfasalazin wird in einer Dosierung von 3000 mg täglich und Leflunomid in einer Dosierung von 20 mg täglich ohne Ladungsdosis empfohlen.
halb dieser Zeit entfaltet ein csDMARD wie MTX üblicherweise Wirksamkeit. Wenn Patienten dann immer noch zusätzlich CG zur Krankheitskontrolle benötigen, sollte die Behandlung als unzureichend betrachtet und entsprechend verändert werden. In Kombination mit bDMARD oder tsDMARD sind GC nicht angezeigt.
Empfehlung 7: csDMARD nach csDMARD
Wenn das Behandlungsziel mit der ersten csDMARD-Strategie nicht erreicht wird und keine ungünstigen prognostischen Faktoren vorliegen, sollten andere csDMARD in Betracht gezogen werden. Diese Empfehlung wurde unverändert aus der vorherigen Fassung übernommen.
Empfehlung 8: bDMARD oder JAK-Inhibitor nach csDMARD
Wenn das Behandlungsziel mit der ersten csDMARD-Strategie nicht erreicht wird und ungünstige prognostische Faktoren vorliegen, sollte ein bDMARD hinzugefügt werden; Januskinase-(JAK-)Inhibitoren können unter Berücksichtigung der einschlägigen Risikofaktoren in Betracht gezogen werden. Im Jahr 2019 galten JAK-Inhibitoren als gleichwertig mit Biologika im Hinblick auf Wirksamkeit und Sicherheit. Da in der ORAL-Surveillance-Studie bei RA-Patienten > 50 Jahre mit kardiovaskulären Risikofaktoren unter Tofacitinib im Vergleich zu TNF-Inhibitoren jedoch mehr schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse und höhere Malignitätsraten beobachtet wurden, war eine Änderung dieser Empfehlung erforderlich. In Registerdaten wurden diese Effekte allerdings nicht beobachtet. Die Experten raten daher nicht generell von JAK-Inhibitoren ab, weisen aber darauf hin, dass eine Verschreibung nur unter Berücksichtigung bestimmter Risikofaktoren erfolgen sollte. Dazu gehören Alter über 65 Jahre, Raucherstatus, andere kardiovaskuläre Risikofaktoren (wie Diabetes, Fettleibigkeit, Bluthochdruck), andere Risikofaktoren für bösartige Erkrankungen (aktuelle oder frühere bösartige Erkrankungen mit Ausnahme von erfolgreich behandeltem Nicht-MelanomHautkrebs), Risikofaktoren für thromboembolische Ereignisse (Herzinfarkt oder Herzinsuffizienz in der Vorgeschichte), Krebserkrankungen, vererbte Blutgerinnungsstörungen oder eine Vorgeschichte mit Blutgerinnseln sowie die Einnahme kombinierter hormoneller Verhütungsmittel oder eine Hormonersatztherapie.
Empfehlung 6: csDMARD über kurze Zeit mit CG kombinieren
Kurzfristig applizierte GC sollten bei der Einführung oder beim Wechsel von csDMARD in verschiedenen Dosisschemata und Verabreichungswegen in Betracht gezogen, aber so schnell wie möglich reduziert und abgesetzt werden. Diese Empfehlung wurde in der aktualisierten Version durch den Zusatz «und abgesetzt» präzisiert. In der Version von 2019 war mit «reduzieren» eine allmähliche Verringerung der Dosis bis auf null gemeint, allerdings wurde die Formulierung häufig lediglich im Sinne einer Senkung der Dosis interpretiert. Des Weiteren weisen die Experten darauf hin, dass die Formulierung «kurzfristig» definitionsgemäss einen Zeitraum von maximal 3 Monaten bezeichnet (Tabelle). Inner-
Empfehlung 9: bDMARD und tsDMARD mit csDMARD kombinieren
bDMARD und tsDMARD sollten mit einem csDMARD kombiniert werden; bei Patienten, bei denen keine csDMARD als Komedikation angewendet werden können, können IL-6-Signalweg-Inhibitoren und tsDMARD im Vergleich zu anderen bDMARD einige Vorteile haben. Hier gab es seit 2019 keine neue Evidenz. Daher empfiehlt die EULAR auch weiterhin die fortgesetzte Behandlung mit MTX (oder einem anderen csDMARD), wenn eine Therapie mit bDMARD oder JAK-Inhibitoren vorgesehen ist. Im Rahmen einer Kombinationstherapie kann die MTX-Dosis auf 10 mg pro Woche reduziert werden.
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Tabelle:
Begriffe, Formulierungen und Definitionen
Begriff/Formulierung
Definition
ungünstige prognostische Faktoren
anhaltende mittlere oder hohe Krankheitsaktivität nach csDMARD-Therapie
hohe Werte der Akutphasereaktanden
hohe Anzahl geschwollener Gelenke
Vorhandensein von Rheumafaktoren und/oder Antikörpern gegen citrullinierte Protein-
Antigene (ACPA), insbesondere bei hohen Werten
Vorhandensein von frühen Erosionen
Versagen von 2 oder mehr csDMARD
niedrig dosierte Glukokortikoide
< 7,5 mg/Tag Prednisonäquivalent kurzfristig bis zu 3 Monate reduzieren Verringerung der Medikamentendosis oder Verlängerung des Intervalls zwischen den Applikationen kann auch das Absetzen des Medikaments beinhalten (Ausschleichen bis auf 0), dann aber nur nach langsamer Reduzierung Remission entsprechend der ACR-EULAR-Remissionsdefinition anhaltende Remission: ACR-EULAR-definierte Remission für ≥ 6 Monate geringe Krankheitsaktivität niedrige Krankheitsaktivität gemäss validierten Instrumenten zur Erfassung der Krankheits- aktivität, die von einem Arzt durchgeführte Gelenkzählungen beinhalten anhaltend niedrige Krankheitsaktivität: niedrige Krankheitsaktivität für ≥ 6 Monate mässige/hohe Krankheitsaktivität jeweiliger Krankheitsaktivitätsstatus gemäss validierten Instrumenten zur Erfassung der Krankheitsaktivität inklusive einer vom Arzt durchgeführten Gelenkzählung modifiziert nach Smolen et al., 2023 ACR: American College of Rheumatology, csDMARD: «conventional synthetic disease-modifying anti-rheumatic drugs», EULAR: European League Against Rheumatism Empfehlung 10: Medikamentenwechsel in derselben Klasse oder Substanz mit anderem Wirkmechanismus Wenn ein bDMARD oder tsDMARD versagt hat, sollte eine Behandlung mit einem anderen bDMARD oder einem tsDMARD in Betracht gezogen werden; wenn eine Therapie mit einem TNF- oder IL-6-Rezeptor-(IL-6R-)Inhibitor versagt hat, können die Patienten ein Medikament mit einem anderen Wirkprinzip oder einen zweiten TNF- oder einen IL-6R-Inhibitor erhalten. Aus der Literaturrecherche ging hervor, dass Sarilumab Tocilizumab ersetzen kann und auch bei Patienten wirksam ist, bei denen mit Tocilizumab kein Erfolg erzielt werden konnte. Die Empfehlung konnte somit um die Klasse der IL-6R-Inhibitoren erweitert werden, statt sich auf TNF-Inhibitoren zu beschränken. Zur Wirksamkeit und Sicherheit eines JAK-Inhibitors, der im Anschluss an einen anderen gegeben wird, liegen bisher keine ausreichenden Daten vor. Empfehlung 11: In Remission ist Dosisreduzierung möglich Wenn GC abgesetzt wurden und sich der Patient in einer anhaltenden Remission befindet, kann eine Dosisreduktion der DMARD (bDMARD/tsDMARD und/oder csDMARD) in Betracht gezogen werden. Diese neue Empfehlung setzt sich aus 2 älteren zusammen, in denen geraten wurde, zunächst die Dosis des bDMARD und erst danach die des csDMARD zu senken. Neue Evidenz weist jedoch darauf hin, dass es im Hinblick auf das klinische Ergebnis keinen Unterschied macht, welche Dosis zuerst verringert wird. Diese Entscheidung kann deshalb individuell gemeinsam von Arzt und Patient getroffen werden. Des Weiteren zeigte sich mit überzeugender Evidenz, dass ein Absetzen von bDMARD und/oder csDMARD bei den meisten Patienten mit einem Aufflammen der Erkrankung verbunden ist. Deshalb empfehlen die Experten eine Dosisreduzierung oder eine Applikation in längeren Intervallen, raten jedoch von vollständigem Absetzen der DMARD ab. s Petra Stölting Quelle: Smolen JS et al.: EULAR recommendations for the management of rheumatoid arthritis with synthetic and biological disease-modifying antirheumatic drug: 2022 update. Ann Rheum Dis. 2023;82:3-18. Interessenlage: Die referierte Publikation wurde von der EULAR finanziert. 23 der 48 Autoren haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten. 198 ARS MEDICI 7 | 2023