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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Kardiologie
Schlaflosigkeit als Herzinfarktrisiko
Marcos Calvo, istockphoto
Insomnie und ≤ 5 Stunden Schlaf pro Nacht sind gemäss einer neuen Metaanalyse deutlich mit einer erhöhten Herzinfarktinzidenz assoziiert (1). Die Assoziation sei mit derjenigen anderer Herzinfarktrisiken vergleichbar, sodass Insomnie als offizieller Risikofaktor in
die Abschätzung des Herzinfarktrisikos und entsprechende Leitlinien eingehen sollte, fordern die Autoren der Metaanalyse. Sie hatten die englischsprachige Literatur nach kontrollierten Beobachtungsstudien durchsucht, in denen Angaben zur Insomnie und zum Herzinfarktrisiko der Probanden zu finden waren. Studien zur obstruktiven Schlafapnoe und zu ähnlichen Phänomenen wurden nicht einbezogen. Insomnie wurde definiert als Einschlaf- oder Durchschlafstörung, als zu frühes Erwachen ohne wieder einschlafen zu können, oder als
zu kurze Schlafdauer – zusammenfasst mit dem Akronym DIMS (disorders of initiating and maintaining sleep). Die Stichwortsuche lieferte zunächst über 1000 Artikel, von denen sich die weitaus meisten als irrelevant erwiesen. Am Ende blieben noch 9 Kohortenstudien übrig mit insgesamt rund 1,2 Millionen Teilnehmern, von denen 153 881 unter Insomnie litten. Bei Personen mit DIMS war Insomnie mit einem statistisch signifikant erhöhten Herzinfarktrisiko assoziiert (relatives Risiko [RR]: 1,69; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,41–2,02). Die deutlichste Assoziation fand sich beim Vergleich der Schlafdauer von ≤ 5 Stunden und 7 bis 8 Stunden; eine längere Schlafdauer ≥ 9 Stunden brachte keinen Vorteil. Bei Männern wie Frauen fanden sich ähnliche Risikoprofile. Es gibt bereits mehrere Studien, die Zusammenhänge zwischen Insomnie und einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen nahelegen. Die neue Metaanalyse bestätigt diesen Verdacht; ihre Resultate stimmen aber nicht in allen Punkten mit denjenigen früherer Studien überein. Zum Beispiel fand sich in anderen Untersuchungen, dass nicht nur Insomnie, sondern auch nicht erholsamer Schlaf das kardiovaskuläre Risiko steigerte,
und eine 2010 publizierte Studie ergab, dass die kurze Schlafdauer von ≤ 5 Stunden pro Nacht per se noch kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko bedeute, sondern dies nur auf Personen zutreffe, die schlecht schlafen (2). Die Autoren der neuen Metaanalyse gehen darauf nicht näher ein. Sie argumentieren vielmehr mit der grossen Anzahl von Probanden aus 6 Ländern auf 3 Kontinenten, die in ihre Analyse eingegangen seien, sodass die Resultate ihrer Studie verallgemeinert werden könnten. In 8 der 9 Beobachtungsstudien habe es sich zudem um prospektive Kohorten gehandelt, sodass eine Kausalität postuliert werden dürfe. Gleichzeitig geben die Autoren zu, dass die einbezogenen Studien sehr heterogen bezüglich Umfang, Alter der Probanden und Follow-up-Dauer gewesen seien und die Daten meist in Form von Fragebögen erhoben wurden, was immer mit einem gewissen Bias-Risiko verbunden sei. RBO s
1. Dean YE et al.: Association between insomnia and the incidence of myocardial infarction: A systematic review and meta-analysis. Clin Cardiol. 2023;10.1002/clc.23984.
2. Chandola T et al.: The effect of short sleep duration on coronary heart disease risk is greatest among those with sleep disturbance: a prospective study from the Whitehall II cohort. Sleep. 2010;33(6):739-744.
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ARS MEDICI 6 | 2023