Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Nur zwei Prozent der Menschheit sind natürlich blond, alle anderen Blonden (von Neymar bis zur Nachbarin) helfen mit Farbe oder H2O2 nach. Aber warum färben sich Leute die Haare hell, wo doch Blondinen so oft als Witzobjekte herhalten müssen? «Blond», so die Soziologin Tressie McMillan Cottom, «ist keine Haarfarbe, sondern Bezeichnung für einen bestimmten Menschentyp.» Die Frau ist Afroamerikanerin, was den Stuss auch nicht besser macht. Aber natürlich gewichtiger. Vor allem, weil damit ein neuer Weg gefunden ist, weisse Menschen – diesmal Frauen, oho! – der «Aneignung» zu bezichtigen. Nicht der kulturellen, sondern der sozialen. Wer die Haare blond färbe, so McMillan Cottom, versuche, sich aufzuwerten und über andere zu erheben, denn natürliches Blond verleihe einer Frau Ansehen und Macht, hohen sozialen Status und Privilegien und stehe für Reinheit und Unschuld. Blondinen wie Jane Mansfield, Kim Novak, Pamela Anderson oder Kim Basinger wären bereits in der Antike Schönheitsideale gewesen. Blondfärberinnen jedoch, so die Soziologin, versuchten bloss, Überlegenheit und Machtansprüche zu demonstrieren. Arme Blondinen! Erst gelten sie als naiv und jetzt plötzlich als arrogante Aneignerinnen. Nun ja, dem braunhaarigen wie dem glatzköpfigen alten weissen Mann ist das egal, solange Filme wie «Gentlemen Prefer Blondes» (1953, mit Marylin Monroe und Jane Russel) nicht wegen sozialer Aneignung verboten werden.
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Die frivole Gisela meint, sie liebe Euphemismen. Etwa die Rechtfertigung der berühmt gewordenen beiden Kunstschwestern, die noch vor Weinachten das Clubhaus des FC Tössfeld auf sehr eigenwillige Weise verziert hatten. Sie antworteten auf die Kritik von Kunst(un)sachverständigen: «Die Wahl einer niederschwelligen Bildsprache ermöglicht jedem Betrachter, eine Meinung zu formu-
lieren.» Genial! Nun wissen wir auch, wie wir künftig Dummköpfe nennen dürfen, ohne sie zu beleidigen: «niederschwellig intelligent».
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Recht sprechen ist schwierig, denn Taten und Worte lassen sich unterschiedlich interpretieren. Beispiel gefällig? Herr X hielt abends mit seinem Wohnmobil auf einem Parkplatz in einer Waldschutzzone (oder so) und beobachtete bis Mitternacht Vögel (oder was auch immer). Danach wurde er müde und schlief ein – vielleicht am Steuer, vermutlich aber im Bett. Bis 9 Uhr morgens. Eine Polizeipatrouille verzeigte Herrn X daraufhin wegen «unerlaubten Campierens». Der beteuerte, er habe nicht «campiert», sondern parkiert und dann geschlafen. Die Gemeinde aber bestand darauf: Herr X habe eindeutig campiert, denn gemäss Wikipedia sei Campieren «eine Form des Tourismus, bei welcher Urlauber in Zelten, Hängematten, Wohnwagen u. Ä. übernachten», Punkt. Auch ohne Zelt, Tisch, Stuhl oder Kaffeekocher. Ausserdem sei das «Aufstellen eines Wohnmobils ausserhalb bezeichneter Plätze» sowieso verboten, und das Parkieren, in der Absicht, im Wohnmobil zu schlafen, bedeute eben «Aufstellen». Herr X muss also Busse und Gerichtsgebühren bezahlen. Was lernen wir daraus? 1. Sprache und Definitionen sind entscheidend, auch im Wald und beim Schlafen. 2. Wer über Definitionen bestimmt, bestimmt übers Recht. 3. Sei kreativ: Schlaf auf dem Beifahrersitz eines SUV und behaupte, Medikamente hätten dich ermattet – dann waren‘s «keine Absicht», kein «Camping», kein «Wohnmobil» und kein «Aufstellen». 4. Aber: Unterschätze nie Kreativität und antikriminelle Energie der Gegenpartei!
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Sie: Du bist also Vegetarier, richtig aus Tierliebe und so? – Er: Nein, aus Pflanzenhass, reinem Pflanzenhass.
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Es geht immer alles so schnell vorbei. Vor allem Ereignisse, die in populären Medien stattfinden, sind ein, zwei Tage später schon fast wieder vergessen. So ergeht es auch dem «Dschungelcamp» von RTL, obschon der Sender das Format und die darin Vorkommenden bis auf die letzte Minute vermarktet. Dieses Jahr war das «Dschungelcamp» auch für Schweizer von Interesse. Zwar wissen wir nicht, ob Thomas Borer, unser ehedem umtriebiger Ex-Botschafter in Berlin, das diesjährige «Dschungelcamp» gesehen hat. So oder so war der Mann aber täglich irgendwie präsent – genau wie «SonntagsBlick» und Ringier-Verlag. Denn Siegerin des gruseligen diesjährigen «Zehn-Kleine-Negerlein»-Verschnitts im australischen Urwald wurde – verdientermassen! – Djamila Rowe, bekannt geworden durch eine 2002 von ebenso gruseligen «SonntagsBlick»-Journalisten frei erfundene Affäre zwischen ihr und besagtem Herr Borer. Borer erhielt von Ringier für die Fake-Story (die man damals noch nicht so nannte) nachträglich ein Schmerzensgeld von, so heisst es, mehr als 1 Million Franken. Zu Recht natürlich. Die leider weder von Herrn Borer noch vom Leben verwöhnte Frau Rowe erhält als «Königin des Dschungels» von RTL immerhin 100 000 Euro. Geld, das sie für die Ausbildung ihrer Kinder verwenden will. Man gönnt es ihr. Und staunt: So schnell gehen die Personality-Stories offenbar doch nicht vergessen.
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Und das meint Walti: Um Energie zu sparen, fordern manche Aktivisten, sofort das Licht am Ende des Tunnels auszuschalten!
Richard Altorfer
50 ARS MEDICI 3 | 2023