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Titel
Innere Medizin – Man muss jetzt konkret darüber reden, wie viel mehr Stellen geschaffen werden müssen und wie viel das kostet
Untertitel
PD Dr. Markus Schneemann Chefarzt Klinik für Innere Medizin Kantonsspital Schaffhausen
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Rückblick 2022 / Ausblick 2023
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62533
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RÜCKBLICK 2022/AUSBLICK 2023

Innere Medizin
PD Dr. Markus Schneemann Chefarzt Klinik für Innere Medizin Kantonsspital Schaffhausen
Man muss jetzt konkret darüber reden, wie viel mehr Stellen geschaffen werden müssen und wie viel das kostet
Worüber haben Sie sich im vergangenen Jahr besonders gefreut?
Es hat mich sehr gefreut zu sehen, wie die jungen Arztkolleginnen und -kollegen, viele davon Berufsanfänger direkt nach dem Staatsexamen, nach den 2 Jahren Pandemie wieder mit viel Freude und Interesse an die Arbeit gegangen sind. Auch im Studentenkurs am Patienten war es schön zu sehen, wie sie wieder gern gekommen sind. Denn während der Pandemie fand der Studentenunterricht häufig ohne Patienten statt. Was mich weiter gefreut hat, ist die Tatsache, dass zwar viele Arbeitskollegen im Spital an COVID-19 erkrankt sind, dies aber glücklicherweise nicht wirklich schwer.
Und worüber haben Sie sich geärgert?
Ich bin enttäuscht darüber, wie die Politik die Pandemie für beendet ansieht und zum Normalbetrieb übergegangen ist. Dabei haben wir mit vielen Krankheitsfällen und mit vielen Austritten beim medizinischen Personal zu kämpfen. Man sagt zwar, dass die Personalknappheit als Folge der Pandemie momentan das grösste Problem darstellt, doch scheint die Politik etwas ratlos zu sein, wie man dieses Problem lösen sollte. Eine vertiefte Diskussion darüber fehlt, und konkrete Vorschläge werden zu wenig gemacht, das finde ich sehr ärgerlich.

Meines Wissens finden leider, wenn überhaupt, nur wenige systematische Befragungen bei Angestellten statt, die ihre Stelle gekündigt haben. Die Frage nach dem Kündigungsgrund und danach, was sich verändern müsste, damit die Aussteiger wieder in den Beruf zurückkommen, würde sicher konkrete Anhaltspunkte darüber liefern, was verbessert werden kann. Ich vermute, dass ein Grund sicher die fehlende Planbarkeit der Dienste ist, ähnlich wie bei den Piloten der Swiss, die kürzlich mit Streik drohten. Die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben ist essenziell. Wenn zugesicherte freie Tage oder Wochenenden wegen häufig geänderter Dienstpläne immer wieder umgestossen werden, ist das Gift für die Motivation. Man muss jetzt konkret darüber reden, wie viel mehr Stellen geschaffen werden müssen und wie viel das kostet, um eine Planbarkeit herzustellen, damit das Personal nicht davonrennt und der Beruf für Neue wieder attraktiver wird.
Seit wann besuchen Sie Kongresse und Fortbildungsveranstaltungen wieder vor Ort, und wie haben Sie sich zu Beginn dabei gefühlt?
Seit letztem Frühjahr gehe ich wieder an Kongresse, wie beispielsweise an die Jahresversammlung der SGAIM. Ich habe mich dort gut und sicher gefühlt. Bei Kongressen ist mir der persönliche Austausch wichtig, und man bekommt mehr mit, als wenn man nur vor dem Computer sitzt. Wenn das Angebot allerdings hybrid ist, überlege ich mir jeweils schon, ob ich hingehe oder ob ich online teilnehme. Bei Veranstaltungen, die nur ein Thema behandeln oder die beispielsweise 2 Stunden dauern, ist es bequem, wenn man nicht mehr einen halben Tag inklusive An- und Rückreise aufwenden muss.
Die Bevölkerung hat zum Thema Impfen in den letzten 2 Jahren viel gehört und gelernt. Haben Sie den Eindruck, dass sich die Impfbereitschaft mit der Coronaviruspandemie verändert hat?
Mein Eindruck ist, dass jene, die sich sowieso impfen lassen, gegen Grippe oder anderes, sich jetzt noch bewusster dafür

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entscheiden. Und es gibt vielleicht welche, die es nicht so ernst genommen haben, die sich jetzt fürs Impfen entscheiden. Diejenigen, die von Anfang an impfkritisch waren, haben ihre Meinung jedoch nicht geändert. Im Gegenteil: Sie fühlen sich bestätigt, weil man sich so häufig boostern lassen muss, und finden die mRNA-Technologie suspekt.
Welche neuen Erkenntnisse und Erfahrungen des letzten Jahres waren für Ihr Fachgebiet besonders spannend?
Für mich war es spannend zu sehen, wie sich das Klima auf die Gesundheit auswirkt. Das war im heissen Sommer vom letzten Jahr augenfällig, und ich habe verstärkt wahrgenommen, dass das Bewusstsein dafür ausgeprägter ist. Angefangen von den präventiven Ratschlägen für ältere Menschen, wie sie sich vor der Hitze schützen können, bis zum Umdenken im Städtebau, wo grüne Inseln zur Temperaturregulierung und Bäume als Schattenspender vermehrt eingeplant werden. Bisher hatte man das Gefühl, dass die Klimaerwärmung unseren Alltag nicht so direkt beeinflusst. Das hat sich jetzt geändert. Die Gesundheit war sogar ein Thema am vergangenen Klimagipfel. Auch in meinem zweiten Fachgebiet neben der Inneren Medizin, der Infektiologie, haben so warme Sommer Auswirkungen. Erreger und Überträger von Infektionskrankheiten, die sich eher in südlichen Regionen ausgebreitet haben, werden weiter nach Norden vorrücken. Die Tigermücke haben wir schon, Malaria und Denguefieber könnten dazukommen. Die Globalisierung mit der grossen Reisetätigkeit beschleunigt die Verbreitung zusätzlich. Das hat man bei den Affenpocken gesehen und bei SARS-CoV-2, das ein Paradebeispiel dafür war, wie schnell sich eine Infektion rund um den Globus

verbreiten kann. Es ist ausserdem spannend zu sehen, wie schwierig gute Kommunikation ist beziehungsweise wie schwierig es als Fachperson ist, so zu kommunizieren, dass die Allgemeinheit es richtig versteht. Das hat man bei Corona sehr gut gesehen. Abgesehen von Klima und Corona tut sich in den Fachgebieten Kardiologie, Diabetologie und Nephrologie mit den SGLT2-Hemmern viel. Aufgrund von stetig neuen Studiendaten werden sie immer breiter einsetzbar.

Welche davon könnten Diagnose und Therapie in der Hausarztpraxis künftig verändern?
Anfänglich nur zur Blutzuckerkontrolle eingesetzt, können die SGLT2-Hemmer mittlerweile zur Herzinsuffizienztherapie und bei chronischer Nierenerkrankung eingesetzt werden. Und dies unabhängig davon, ob jemand Typ-2-Diabetes hat. Das macht die Therapie dieser 3 Erkrankungen, die man alle gleichzeitig haben kann, einfacher, und es verbessert deren Prognose. Das wird sich in Zukunft auch in der Hausarztpraxis durchsetzen.

Die Hausarztmedizin leidet immer noch unter

akutem Nachwuchsmangel. Was braucht es un-

mittelbar?

Es gibt gute Entwicklungen in der Nachwuchsförderung,

doch braucht es auf diesem Weg noch stärkere Anstrengun-

gen. Vor allem bei den Praxisassistenzstellen. Zwar hat jeder

Kanton sein eigenes Praxisassistenzprogramm, doch ist das

Angebot mit gesamthaft etwa 250 Praxisassistenzstellen für

die ganze Schweiz verhältnismässig klein. Vor allem wenn

man bedenkt, wie viele Hausärzte in den nächsten Jahren in

Pension gehen werden. Da braucht es viel mehr.

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