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Titel
Hausarztmedizin – Das elektronische Patientendossier kommt leider noch nicht zum Fliegen
Untertitel
Dr. med. Isabelle Fuss Hausarztpraxis MZ Brugg
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Rubrik
Rückblick 2022 / Ausblick 2023
Artikel-ID
62523
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RÜCKBLICK 2022/AUSBLICK 2023

Hausarztmedizin
Dr. med. Isabelle Fuss Hausarztpraxis MZ Brugg
Das elektronische Patientendossier kommt leider noch nicht zum Fliegen
Worüber haben Sie sich im vergangenen Jahr besonders gefreut?
Am 10. Dezember 2022 hatte ich meine letzte Prüfung für das CAS «koordinierte Versorgung» an der ZHAW. Für den MAS in Managed Health Care fehlt nun «nur» noch die Masterarbeit. Neben der Praxistätigkeit sowie der Vorstandsarbeit bei MFE Aargau (Haus- und KinderärztInnen Aargau) war das eine Herausforderung. Die Erkenntnisse während der Weiterbildung sowie im Austausch mit den teilnehmenden Gesundheitsfachpersonen aus allen Bereichen waren aber sehr hilfreich, sodass sich der Aufwand definitiv gelohnt hat. Die Sicht der Hausärztinnen und -ärzte kenne ich bereits aus Erfahrung. Während der Weiterbildung habe ich zusätzlich diverse andere Sichtweisen kennengelernt, was mir bei der Einordnung von Herausforderungen hilft.
Und worüber haben Sie sich geärgert?
Diskussionen über Kosten im Gesundheitswesen sind wichtig, die Ressourcen sind sogar in einem reichen Land wie der Schweiz nicht unbegrenzt. In der Weiterbildung habe ich gelernt, dass Ökonomie und Medizin keine Gegensätze sind, sondern sich ergänzen. Ziel ist der sinnvolle Einsatz von finanziellen und personellen Ressourcen. Die Diskussion über Gesundheitskosten wird häufig aber sehr einseitig geführt. Die Lösung ist demnach, dass Leistungserbringer weniger verdienen sollen. Gleichzeitig ist es schon jetzt so, dass viele Gesundheitsfachpersonen – vor allem aufgrund der Arbeitsbelastung – den Beruf verlassen, und die Kostendiskussionen helfen nicht dabei, die Fachpersonen im Beruf zu halten. Folgende Fehlüberlegungen stehen meiner Meinung nach im Vordergrund: s Kosten sind nicht gleich Löhne. Es ist möglich, die Kosten
zu senken, ohne die Löhne zu vermindern. Die Bewegung «smarter mecine – choosing wisely» analysiert wissenschaftlich den Nutzen von aktuell häufig erbrachten Leistungen und macht Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzte auf das Thema aufmerksam. Das erleichtert es uns, eine unnötige Untersuchung auch tatsächlich wegzulassen. s Kosten müssen dem Nutzen gegenübergestellt werden. Untersuchungen und Behandlungen werden immer besser.

Auch chronisch kranke Personen können häufig ein normales Leben ohne grössere Einschränkungen führen. Das wird bei den Kostendiskussionen kaum berücksichtigt. Dass Kosten an anderer Stelle eingespart werden (z. B. dadurch, dass Patientinnen und Patienten arbeitsfähig bleiben), wird häufig nicht erwähnt. s Wir haben kein Kostenproblem, sondern ein Finanzierungsproblem. Die Kosten steigen vor allem im ambulanten Bereich, der durch unsere Versicherungsprämien finanziert wird. Der Anstieg der Versicherungsprämien widerspiegelt deshalb nicht die Gesamtkosten. Die Versicherungsprämien sind – im Gegensatz zu den Steuern – aber nicht vom Einkommen abhängig und belasten deshalb vor allem Familien mit tiefem und mittlerem Einkommen. s Der tatsächliche Bedarf an medizinischen Leistungen ist unklar. Fridolin Marty, Leiter Gesundheitspolitik Economiesuisse, hat es an der Weiterbildung für Qualitätsmedizin in Bern treffend formuliert: «Nicht einmal ich kenne meinen Bedarf an medizinischen Leistungen, deshalb gehe ich zum Arzt.» Aus meiner Erfahrung besteht sowohl eine Über- als auch eine Unterversorgung. Beides sollte reduziert werden.
Seit wann besuchen Sie Kongresse und Fortbildungsveranstaltungen wieder vor Ort, und wie haben Sie sich zu Beginn dabei gefühlt?
Mittlerweile existiert ein sehr gutes Nebeneinander von Online-, Vor-Ort- und Hybridveranstaltungen. Der informelle Austausch ist bei Fortbildungen jeweils genauso wichtig wie die Fortbildung selbst. Online ist dieser aber gar nicht möglich. Wenn eine Teilnahme vor Ort möglich ist, würde ich diese Option deshalb bevorzugen. Onlineveranstaltungen sind eine perfekte Option, wenn eine Teilnahme vor Ort aus Zeit- oder Weggründen nicht möglich ist.
Welche neuen Erkenntnisse und Erfahrungen des letzten Jahres waren für Ihr Fachgebiet besonders spannend?
Da ich 2021 und 2022 die Weiterbildungen zum MAS in Managed Health Care bei der ZHAW absolvierte, blieb weniger Zeit für fachliche Weiterbildungen. In unserer Gruppenpraxis sowie im externen Qualitätszirkel haben wir aber diverse herausfordernde Fälle und «critical incidences» besprochen und uns mit diversen Spezialistinnen und Spezialisten ausgetauscht. Die interessanteste Neuigkeit war für mich die Option, Psychotherapie durch Psychologinnen oder Psychologen verordnen zu können. Das ist prinzipiell im Hinblick auf die Unterversorgung in der Psychiatrie sehr begrüssenswert, bringt aber einige Herausforderungen mit sich. Nun müssen Psychiaterinnen und Psychiater, Psychologinnen und Psychologen sowie Hausärztinnen und Hausärzte zusammenarbeiten und sich organisieren. Jede Gruppe für sich ist hervorragend ausgebildet und hat ihre Standards. Die genaue Verantwortlichkeit sowie der Informationsfluss sind aber noch nicht geklärt und müssen erarbeitet werden. MFE Schweiz hat massgeblich

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RÜCKBLICK 2022/AUSBLICK 2023

den Verordnungsprozess mitbestimmt, und MFE Aargau hat dazu einen Austausch zwischen den Berufsgruppen an der Generalversammlung 2023 geplant. Ausserdem wurde der Verein SOS-Arbeitsplatz im Oktober 2022 gegründet mit dem Ziel, bei drohendem Arbeitsplatzverlust aufgrund körperlicher Einschränkungen rasch eingreifen zu können, um den Arbeitsplatz zu erhalten. Es handelt sich um ein niederschwelliges, ergänzendes und für Patientinnen und Patienten kostenloses Angebot. Das Konzept hat mich so überzeugt, dass ich nach der Vorstellung an unserem Qualitätszirkel durch die Gründer ohne zu zögern dem Vorstand beigetreten bin. Zuweisungen sind an info@sos-arbeitsplatz.ch mit dem Einverständnis von Patientinnen und Patienten möglich. Weitere Infos gibt es auf der Homepage www.sos-arbeitsplatz.ch

Welche davon könnten Diagnose und Therapie in

der Hausarztpraxis künftig verändern?

Spezialisierung und Zahl der Angebote nehmen zu, die Ver-

sorgung wird immer besser. Herausforderungen sind neben

der Finanzierung vor allem die Koordination der Angebote

und der Informationsfluss. Aus Effizienzgründen ist dafür die

IT zentral. Das elektronische Patientendossier (EPD) hätte

einige Probleme gelöst, kommt aber leider (noch?) nicht zum

Fliegen. Zusätzlich entstehen immer mehr private digitale

Plattformen und Apps.

Die Hauptfunktionen der Hausarztmedizin sind die Behand-

lung von häufigen Krankheitsbildern sowie die Koordination

der Behandlungen bei Spezialistinnen und Spezialisten. Der

Informationsaustausch ist deshalb für uns besonders zentral.

Ich hoffe deshalb auf weitere Verbesserungen, welche unsere

Arbeit erleichtern, die Qualität verbessern und Patientinnen

und Patienten unterstützen.

s

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