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Titel
Allgemeine Innere Medizin/Hausarztmedizin – Rückfragen der Kassen nehmen immer groteskere Formen an
Untertitel
Dr. med. Adrian Müller FA für Allgemeine Innere Medizin FMH in Horgen und Präsident der APA (Ärzte mit Patientenapotheke)
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Rückblick 2022 / Ausblick 2023
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62520
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RÜCKBLICK 2022/AUSBLICK 2023

Allgemeine Innere Medizin/ Hausarztmedizin
Dr. med. Adrian Müller FA für Allgemeine Innere Medizin FMH in Horgen und Präsident der APA (Ärzte mit Patientenapotheke)
Rückfragen der Kassen nehmen immer groteskere Formen an
Worüber haben Sie sich im vergangenen Jahr besonders gefreut?
Darüber dass die Gesundheitsdirektionen mehrerer Kantone, zum Beispiel in den Kantonen Zürich und Glarus, begriffen haben, dass mit den jetzigen Tarifstrukturen nicht wirtschaftlich gearbeitet werden kann. Gewisse Tarifanpassungen müssen gemacht werden, damit die ambulante Versorgung gewährleistet bleibt. Sie haben versucht, die Taxpunkte anzuheben, sind aber leider gescheitert, da die Krankenkassen juristische Schritte dagegen eingeleitet haben. Das dauert jetzt ein paar Jahre, bis das vielleicht doch noch durchkommt, so lange «sparen» die Krankenkassen extrem viel Geld – und mehr und mehr Praxen werden schliessen. Und dann hat das Sparen die Kassen ein Mehrfaches gekostet, wenn die Gatekeeper so ausgerottet wurden und die akademisch-ökonomische Medizin boomt.
Und worüber haben Sie sich geärgert?
Besonders gross ist der Ärger darüber, dass gewisse Krankenkassen nur finanzielle Ziele zu verfolgen scheinen, ohne Interesse an ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Das merken wir bei den Rückfragen der Kassen, die immer groteskere Formen annehmen. Bei jeder Limitation werden automatisch Rückfragen gestellt, egal wie sinnvoll, damit man das Medikament nicht wieder verschreibt, weil es so mühsam ist. Am meisten hat mich aber der staatliche Eingriff in die Verordnung von Psychotherapien geärgert. Der Versorgungsengpass in der Psychiatrie wird auf dem Rücken der Hausärzte ausgetragen, wir sollen neu Psychotherapie im Verordnungsmodell verschreiben und dafür die Verantwortung übernehmen. Als Hausarzt muss ich die Therapie verschreiben und habe die Verantwortung dafür, das heisst, ich muss die Indikation stellen und die Wirksamkeit überprüfen, genau wie bei

der Ergotherapie oder der Physiotherapie. Bis vor Kurzem musste man für delegierte Psychotherapie noch einen Fachausweis mit 60 Ausbildungsstunden erwerben. Anstatt die psychiatrischen Ressourcen zu stärken und zum Beispiel die Taxpunktwerte der Psychiater anzuheben, hat die Politik zur Behebung des Versorgungsengpasses in einem Schnellschussmodell beschlossen, die vorhandenen Psychotherapeuten in ein Verordnungsmodell einzubinden – ohne das Ausmass dieses Eingriffs in das fachliche Gefüge beurteilen zu können, ohne Ahnung von Kompetenzen und haftungsrechtlichen Aspekten. Wahrscheinlich können die Zuständigen nicht einmal zwischen Psychiatern und Psychotherapeuten unterscheiden, wie die meisten Laien – allerdings sollte das BAG nicht aus Laien bestehen. Das geht so lange gut, bis etwas passiert. Und dann interessiert die Staatsanwaltschaft nur, wie schuldig wir Hausärzte sind.
Seit wann besuchen Sie Kongresse und Fortbildungsveranstaltungen wieder vor Ort, und wie haben Sie sich zu Beginn dabei gefühlt?
Ich besuche nur wenig Kongresse vor Ort, das ist auch ein Zeitproblem. Mittlerweile bevorzuge ich Onlinefortbildungen, die zeitlich sehr viel effizienter sind. Und beim ersten Apéro nach der Fortbildung im Regionalspital, 3 Wochen nach Ende des Lockdowns, war das ein seltsames Gefühl, so nah beieinander. Das Gefühl kennt wahrscheinlich auch jeder ÖV-Benutzer.
Welche neuen Erkenntnisse waren in Ihrem Fachgebiet besonders spannend? Was könnte Diagnose und Therapie in der Hausarztpraxis künftig verändern?
Hier wären sicherlich die Erkenntnisse zu den SGLT2-Hemmern zu erwähnen. Die grösste Veränderung in den nächsten Jahren werden aber wohl die Intervallinjektionen bei Hypercholesterinämie bringen. Irgendwann werden wir zur Cholesterinsenkung nur noch alle 6 bis 12 Monate eine Spritze geben müssen, und die Statine werden passé sein.
Ist die Impfbereitschaft seit Corona gestiegen?
Nein, die Impfbereitschaft ist seit Corona gesunken – mit einer Ausnahme. Seit der Zulassung der 2. Impfung gegen Gürtelrose wird so viel darüber geschrieben, wohl auch in der Laienpresse, dass ich jeden Tag mehrfach darauf angesprochen werde und dann oft erklären muss, warum jemand noch nicht dafür infrage kommt. Das kostet viel Zeit. Gegen Grippe wurde leider ebenfalls recht wenig geimpft, obwohl wir eine stärkere Grippewelle erwarten. Schade. s

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