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Titel
Allgemeine Innere Medizin – Es ist faszinierend zu sehen, wie man damit die Leute abholen kann
Untertitel
Dr. med. Regula Capaul Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin, Zürich Co-Präsidentin SGAIM, Delegierte der FMH-, Ärztekammer und bei mfe, Vorstandsmitglied VZI, Vizepräsidentin Stiftung whm
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Rückblick 2022 / Ausblick 2023
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62519
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RÜCKBLICK 2022/AUSBLICK 2023

Allgemeine Innere Medizin
Dr. med. Regula Capaul Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin, Zürich Co-Präsidentin SGAIM, Delegierte der FMH-, Ärztekammer und bei mfe, Vorstandsmitglied VZI, Vizepräsidentin Stiftung whm

für eine Facharztausbildung in einer Spezialdisziplin. Eine funktionierende Grundversorgung ist aber Voraussetzung für ein gutes und bezahlbares Gesundheitswesen. Wenn die Wartezeiten für die Patienten wie im Ausland länger werden, können auch nicht mehr alle so gut und rechtzeitig behandelt werden.

Es ist faszinierend zu sehen, wie man damit die Leute abholen kann
Worüber haben Sie sich im vergangenen Jahr besonders gefreut?
Es freut mich ungemein, dass sich die Pandemie langsam dem Ende zuneigt und wir unser normales Leben wieder zurückhaben. Es gibt zwar immer noch positive Tests, aber die Leute erkranken daran nicht mehr viel schwerer als an einer starken Erkältung. Selbst die älteren Menschen stecken diese Infektion verhältnismässig leicht weg. Das hat sicher mit dem Impfschutz zu tun. Letztes Jahr um diese Zeit hatten wir eine ganz andere Welle. Es freut mich ausserdem sehr, dass der TarDoc nun endlich einen Schritt weiter ist und vor der Genehmigung steht. Es war eine ziemliche Zangengeburt. Der vom Bundesrat bestellte neue Tarif war nämlich seit 2019 fertig, und seither wurden immer wieder Nachbesserungen verlangt, die von der FMH und von Curafutura jeweils fristgerecht eingereicht wurden. Und trotzdem hat ihn der Bundesrat letzten Frühling einfach zurückgewiesen, weil Santésuisse nicht mitzog. Das war gegenüber der Ärzteschaft ein ziemlicher Affront, zumal hinter der Entwicklung eines solchen Kostensystems sehr viel Arbeit von sehr vielen Personen steckt. Nun haben die zerstrittenen Krankenkassenverbände eine Einigung erzielt, und der TarDoc kann im Januar 2025 wahrscheinlich in Kraft treten.
Und worüber haben Sie sich geärgert?
Die Art und Weise, wie mit uns Ärzten in tariflichen Angelegenheiten umgegangen wird, ist sehr unbefriedigend. Zumal an der Bewältigung der Pandemie Allgemeininternisten in Praxis und Spital massgeblich beteiligt waren, was von der Politik überhaupt nicht anerkannt und wertgeschätzt wird. Die Schweiz tut in vielen anderen Gebieten sehr viel dafür, dass sich alle Interessengruppen berücksichtigt fühlen. Wenn unser Beruf noch unattraktiver wird, gibt es bald gar keine Allgemeinmediziner und somit keine Hausärzte mehr. Ich selbst finde zum Beispiel seit geraumer Zeit keinen ärztlichen Mitarbeiter beziehungsweise keine ärztliche Mitarbeiterin in meiner Hausarztpraxis. Es ist höchste Zeit, die Allgemeine Innere Medizin und damit die Hausarztmedizin politisch sichtbar zu machen und aufzuwerten. In erster Linie mit einer realistischen Abbildung der Leistung in einem zeitgemässen Tarif. Sonst entscheiden sich weiterhin viele junge Mediziner

Seit wann besuchen Sie Kongresse und Fortbildungsveranstaltungen wieder vor Ort, und wie haben Sie sich zu Beginn dabei gefühlt?
Ich ging schon während der Pandemie, sooft es dazu Gelegenheit gab, als Referentin selbst an Veranstaltungen. Dabei hatte ich immer das Gefühl, mehr mitzubekommen als vor dem Bildschirm zu Hause. Ich habe mich durch die jeweiligen Schutzkonzepte sicher gefühlt.  
Wie halten Sie es mit Onlineveranstaltungen?
Ich finde Onlineveranstaltungen grundsätzlich gut. Es ist ein Fortschritt, der weiterhin einfliessen, aber nicht mehr unsere ganze Fortbildungstätigkeit dominieren soll. Präsenzveranstaltungen sind für den Austausch sehr wichtig und nicht ersetzbar, und das Bedürfnis danach ist zum Glück immer noch vorhanden. Um verschiedene Interessen unter einen Hut zu bringen, werden wir beim SGAIM-Kongress im Frühling eine virtuelle Teilnahme für eine beschränkte Gruppe anbieten, die nicht vor Ort sein kann. Ich persönlich bevorzuge Präsenzveranstaltungen, bin aber manchmal froh, wenn eine Sitzung online abgehalten wird, damit die Teilnehmer weniger reisen müssen.
Die Bevölkerung hat zum Thema Impfen in den letzten 2 Jahren viel gehört und gelernt. Haben Sie den Eindruck, dass sich die Impfbereitschaft mit der Coronaviruspandemie verändert hat?
Mein Eindruck ist, dass die Leute gleich viel Ahnung darüber haben wie vor der Pandemie. Sie wissen nichts mehr über Infektiosität und nichts mehr über Impfungen, vielleicht wollen sie auch nichts mehr darüber hören. Die ganze Wissensvermittlung während der Pandemie war leider nicht nachhaltig, es ist nichts hängen geblieben. Bei den Älteren ist das Interesse an Impfungen nicht ganz erloschen, diese Altersgruppe hat Angst vor schweren Erkrankungen. Während der verschiedenen Impfperioden habe ich die Technik des Motivational Interviewing kennengelernt. Es ist faszinierend zu sehen, wie man damit die Leute abholen kann. Denn schon nur die Eintrittsfrage «Was bräuchte es für Sie, damit Sie XY machen würden?» legt den Fokus komplett auf die gegenübersitzende Person, sie fühlt sich ernst genommen, und sie muss aktiv werden. Meistens werden dann Ängste geäussert, die man durch Aufklärung ausräumen kann.
Welche neuen Erkenntnisse und Erfahrungen des letzten Jahres waren für Ihr Fachgebiet besonders spannend?
Für mich hat die Pandemie sehr viel Neues gebracht. Vor allem in der Allgemeinen Inneren Medizin gab es viele neue

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Fragestellungen und Erkenntnisse. Zum Beispiel in Bezug auf die Interaktion von Infektion und Komorbiditäten, LongCOVID sowie die verschiedenen Impfungen. Abgesehen vom Leid, von den vielen Einschränkungen und alltäglichen Schwierigkeiten, die diese Pandemie für viele bedeutete, war es eine eindrückliche Zeit.  
Welche davon könnten Diagnose und Therapie in der Hausarztpraxis künftig verändern?

Corona hat die Diagnose und die Therapie in der Hausarztpraxis zwar nicht verändert, aber es wird gegenwärtig bleiben. Denn man muss diese Erkrankung im Hinterkopf behalten, weil sie so viele verschiedene Auswirkungen haben kann. Ich teste immer noch viele und grundsätzlich alle, die Symptome haben, damit ich weiss, ob ich COVID-19 bei der Abklärung in meine Überlegungen einbeziehen muss. s

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