Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Katar ist in aller Munde. Und Katar ist überall. In der Schweiz zum Beispiel auf dem Bürgenstock. Der wunderschöne Berg beziehungsweise seine Hotels wurden von der Schweizer Besitzerfamilie in den Neunzigern an eine Schweizer Bank, dann an französische Spekulanten und von denen mit Gewinn den Katarern verkauft. Die investierten mehr als 600 Millionen Franken für drei 5-Sterne-Hotels, in denen … na ja, jedenfalls nichtWandervögel und Bike-Touristen übernachten. (Einer der reichsten Inder verbrachte die Corona-Tage mit seiner Entourage auf dem Covid-sicheren Berg, für ca. 75 000 Franken – pro Tag.) Was man davon halten soll? Ohne Katarer wären aus den alten Hotels vermutlich hässliche Ruinen geworden, dafür stünde irgendwo ein trostloser Kiosk für Wanderer. Dank der Katarer profitierten und profitieren mehrere Hundert Angestellte von den Geldern, die zuvor für Gas und Erdöl nach Arabien flossen. Ein faires Gegengeschäft? Na ja. Jedenfalls bleibt das Bedauern, dass die guten alten Zeiten endgültig vorbei sind, als die Schweiz noch das zu bieten hatte, was sie so sympathisch und liebenswert machte: luxuriöse Biederkeit. Audrey Hepburn, Sophia Loren, «James Bond» und andere Hollywood-Grössen, die sich einst am berühmten Bürgenstock-Pool erfreuten, waren noch mit Spaghetti zufrieden. Heute müssten es vermutlich Kaviar und Blattgold-Steaks sein. Und das können – und tun – sie besser in Abu Dhabi.
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Die erste Kritik an der Fussball-WM in Katar war nicht menschenrechtlich, sondern meteorologisch begründet: «Wie kann man nur! Fussball mitten im Winter!» Winter? Da war doch was – genau: Südamerikaner, viele Afrikaner und einige Asiaten und Ozeanier freuen sich, dass die Fussball-WM heuer endlich zum ersten Mal im Sommer stattfindet. Nur eben nicht im europäischen.
Auch Wölfe kommunizieren, aber sie erzählen nie die Geschichte von Rotkäppchen.
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Paul G. Allen war zusammen mit Bill Gates Gründer von Microsoft und wurde einer der reichsten Männer der Welt. Nach seiner Zeit als Unternehmer wurde er als Besitzer von Profisportteams und als Kunstsammler bekannt. Er besass drei Jachten, die grösste («Octopus») gehörte mit 126 m Länge zu den Top Ten der Welt. In seiner Gemäldesammlung befanden sich Werke von Gauguin, Klee, van Gogh, Picasso, O’Keefe, Manet, Monet, Degas, Lichtenstein, Brueghel, Seurat – es könnten einem die Tränen kommen ob so vieler, so seltener und so bedeutender und schöner Kunstwerke. Die Tränen könnten einem aber auch kommen, wenn man daran denkt, dass Paul G. Allen all das Schöne bereits mit 65 Jahren aufgeben musste. Er starb 2018 an einem Hodgkin-Lymphom. Seine Kunstsammlung wurde vorletzte Woche bei Christie’s versteigert. Die Auktion brachte mehr als 1,6 Milliarden Dollar ein. Schön für die Stiftungen, die davon etwas erhalten, völlig belanglos für Paul G.Allen. Auch von einem der reichsten Männer der Welt bleibt am Ende nicht viel mehr übrig als ein gut 2-seitiger Eintrag bei Wikipedia. Das mag gerecht sein, traurig ist es trotzdem.
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Ernst war ein liebenswerter Mensch und ein leidenschaftlicher Verkäufer. Er verkaufte jedem alles. Und ihm war eine typische Art der Begrüssung eigen, die einige nervte, die meisten aber belustigte. Ernst lief immer freudig auf Freund, Kunde oder Mitarbeiter zu, die Hand ausgestreckt, und sagte in einem Atemzug: «Sali wie goht’s der guet gäll das freut mi i ha di scho lang welle froge …» und schon war er bei seinem Anliegen. Ernst
hat wohl etwas richtig gemacht, denn er war ein guter Verkäufer. Vielleicht liegt das Geheimnis in seiner Frage: «Wie geht es dir?» Das jedenfalls behauptet Psychologieprofessor Christian Waugh. Wer andere (oder sich selbst) das fragt, bewirkt mit der Antwort darauf, dass es dem Gefragten tatsächlich besser geht. Und zwar unabhängig davon, wie die Antwort lautet. Das ist spannend, aber im Hinblick auf Ernsts Erfolg etwas unbefriedigend. Ernst hat nämlich nie eine Antwort abgewartet, sondern sie immer gleich selbst gegeben. Vielleicht hat Herr Waugh ja etwas übersehen, und für die Befindlichkeit ist nicht die reale Antwort entscheidend, sondern allein die Möglichkeit, auf eine Frage nach der Befindlichkeit zu antworten. Oder schlicht die Tatsache, gefragt worden zu sein. Ernst wird, so sieht es aus, die forschenden Psychologen noch beschäftigen.
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Unaufgefordert und ungebeten (oder vielleicht doch, man weiss ja nie, was man alles bestätigt, wenn man im Internet irgendwelche Geschäftsbedingungen akzeptiert) schickt Microsoft Viva am Sonntagabend eine Mail mit der Mahnung: «Sie haben Ihren Körper und Geist im letzten Monat an 27 Tagen strapaziert, da Sie nach Mitternacht gearbeitet haben. Sorgen Sie für eine optimale Erholung in der Nacht, indem Sie in der wichtigen Zeit zwischen 24 und 5 Uhr keine arbeitsbezogenen Aktivitäten durchführen.» Echt jetzt? Woher wollen die wissen, was daran «arbeitsbezogen» war?
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Und das meint Walti: Wie herrlich ist es, nichts zu tun und dann vom Nichtstun auszuruhn. (Heinrich Zille)
Richard Altorfer
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ARS MEDICI 24 | 2022