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STUDIE REFERIERT
Pilzresistenzen
Neue Wirkstoffe erweitern die therapeutischen Möglichkeiten
Die Fortschritte in der Medizin bergen ein steigendes Risiko für invasive Pilzinfektionen. Anlass zu Besorgnis geben dabei die Resistenzen gegen antimykotische Substanzen sowie das Auftreten weniger verbreiteter Pilzarten, für die keine optimale Therapie definiert ist. Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang neue Antimykotika?
Current Infectious Disease Reports
Die Ausgangssituation ist komplex: Zunehmende Multiresistenzen bei Bakterien führen häufiger zur Verschreibung von Breitspektrumantibiotika, was mit einem erhöhten Risiko für invasive Candidosen einhergeht. Auch Fortschritte im Bereich der Chirurgie, etwa bei implantierbaren medizinischen Geräten, Organtransplantationen (mit immunsuppressiver Medikation) oder anderen invasiven Eingriffen, erhöhen das Risiko für invasive Pilzinfektionen. Zudem erweitert die Entwicklung neuer chemotherapeutischer Medikamente und Immunmodulatoren zur Behandlung von Patienten mit onkologischen und rheumatologischen Erkrankungen das Spektrum der immungeschwächten Patienten. Eine routinemässige AntiSchimmel-Prophylaxe bei gewissen immungeschwächten Patienten führt wiederum zur Zunahme von Pilzen, die bis anhin als weniger häufig oder selten gelten, wie zum Beispiel MucoralesArten. Und neu auftretende Arten wie Candida auris stellen aufgrund ihrer Neigung zur Multiresistenz eine Bedrohung für die vorhandenen antimykotischen Optionen dar.
Limitationen bisheriger systemischer Antimykotika
Für eine wirksame Behandlung invasiver Pilzinfektionen wurden im Allgemeinen 3 Klassen von systemischen Antimykotika eingesetzt: Azole, Echinocandine und Polyene. Die Vertreter der Echinocandine (Caspofungin, Anidulafungin, Micafungin) gelten hinsichtlich ihres Spektrums, ihrer Sicherheit und ihres klinischen Nutzens als relativ austauschbar, und sie sind gleichermassen von relevanten Resistenz-
mechanismen betroffen. Die Anwendung von Amphotericin B, einem Polyen, wird durch sein Nebenwirkungsprofil limitiert. Dank Fortschritten in der Entwicklung besser verträglicher Triazol- und EchinocandinAntimykotika in den letzten 20 Jahren gilt Amphotericin B nicht mehr als Mittel der ersten Wahl für bestimmte Pilzinfektionen, einschliesslich invasiver Aspergillose und Candidose. Schon eine Resistenz gegen eines der Antimykotika kann bei gleichzeitiger Berücksichtigung von Nebenwirkungen und Toxizitäten die therapeutischen Optionen im Einzelfall einschränken. Die Resistenz gegen Azole (z. B. Fluconazol, Voriconazol, Posaconazol), erworben oder intrinsisch, beruht auf multiplen Mechanismen. Sie nimmt mit der Zeit zu, insbesondere bei CandidaArten (nicht C. albicans). Da der Wirkmechanismus der Echinocandine sich von dem der Azole unterscheidet, stellen Erstere eine sehr wichtige Klasse von Antimykotika insbesondere bei der Behandlung der invasiven Candidiasis dar. Sie hemmen die Synthese von Glukan, einer wichtigen Komponente der Zellwand von Pilzen. Noch sind sie gegen die meisten azolresistenten Candidaspezies aktiv, aber auch die Resistenzen dagegen nehmen zu.
Neue antifungale Wirkstoffe
In Anbetracht der zunehmenden Resistenzen gegen verfügbare Antimykotika besteht ein Bedarf an neuen Wirkstoffen, die angesichts bestehender Resistenzmechanismen wirksam bleiben. Zum Zeitpunkt seiner Zulassung durch die FDA 2015 war Isavuconazol das erste neue Antimykotikum seit fast ei-
nem Jahrzehnt. Es handelt sich dabei um ein Breitspektrum-Triazol-Antimykotikum, für dessen Einsatz bei invasiver Aspergillose und Mukormykose Evidenz vorliegt. In Leitlinien wird es als alternative Behandlung für Aspergillose (Infectious Diseases Society of America) sowie als Erstlinientherapie bei Mukormykose (European Confederation of Medical Mycology) empfohlen. In der Praxis sei es insbesondere für Patienten mit einem hohen Risiko für Amphotericin-bedingte Nebenwirkungen oder als orale Step-down-Therapie nach einer Erstbehandlung mit Amphotericin B zu empfehlen, wie Logan et al. berichten. Mechanistisch ist es den anderen Triazolen ähnlich, bietet aber klinische Vorteile (keine QT-Verlängerung, gleichmässige Bioverfügbarkeit). Seine Nützlichkeit bei der Behandlung von Voriconazol-resistenten CandidaInfektionen sollte, falls verfügbar, durch Empfindlichkeitstests bestätigt werden, so die Autoren weiter. Ein vielversprechender Wirkstoff ist auch Ibrexafungerp, es wurde 2021 von der FDA zur Therapie der vulvovaginalen Mykose zugelassen. Auch seine fungizide Aktivität gegenüber Candida basiert auf der Hemmung der Glukansynthase. Der orale Wirkstoff mit geringer Kreuzresistenz unter den derzeit verfügbaren Antimykotika, inklusive der Echinocandine, ist vielversprechend für die Behandlung einer invasiven Candidiasis, einschliesslich azolresistenter Candidaarten. Bei Aspergillose kann er in Kombination mit Voriconazol eingesetzt werden. Dank des Spektrums der gezeigten In-vitro-Aktivität gegenüber den häufigsten Candidaspezies wird die Substanz derzeit in Studien zur
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Behandlung verschiedener Pilzinfektionen, einschliesslich arzneimittelresistenter Spezies, weiter untersucht.
Pipeline umfasst weitere Ansätze
Daneben finden sich weitere Antimykotika in der Pipeline, einige mit neuartigen Mechanismen. Dazu zählt Rezafungin, ein neuartiges Echocandin, dass sowohl wegen seiner einzigartigen Dosierungsstrategie als auch wegen seines potenziellen Nutzens gegen Echinocandin-resistente Isolate vielversprechend scheint. Der seit April 2022 zur oralen Behandlung von rezidivierenden Vulvovaginalcandidosen in den USA zugelassene Wirkstoff Oteseconazol, ein orales Tetrazol-Antimykotikum, könnte ein verbessertes Sicherheits- und Wechselwirkungsprofil im Vergleich zu Triazolen haben. Olorofim, der erste Wirk-
stoff der neuen Klasse der Orotomiden, unterbricht die Pyrimidinsynthese durch Hemmung des Enzyms Dihydroorotat-Dehydrogenase – ein Mechanismus, der sich von allen anderen derzeit verfügbaren Antimykotika unterscheidet. Und Opelcanozol schliesslich ist ein lang wirkendes Triazol-Antimykotikum (Aktivitätsspektrum Candidaspezies), das inhaliert wird, um systemische Toxizität zu vermeiden und die Wirkstoffkonzentration in der Lunge zu maximieren.
Fazit
Sowohl Isavuconazol als auch Ibrexafungerp seien willkommene Ergänzungen zum Arsenal der Antimykotika, so die Autoren, und die Aussicht auf mehr antimykotische Optionen in der Zukunft ist ermutigend. Eine solche Auswahl an Antimykotika wird wichtig
sein, da die Resistenzen gegen Pilze mit
der Weiterentwicklung der medizini-
schen Praxis weiter zunehmen werden.
Die Behandlung resistenter Pilzinfektio-
nen wird jedoch immer komplexer wer-
den. Therapeutische Entscheidungen
können nicht mehr zuverlässig auf der
Grundlage von Annahmen über die
Antimykotikaklasse oder die Wirk-
mechanismen getroffen werden – ins-
besondere wenn eine Resistenz gegen
einen oder mehrere Wirkstoffe vorliegt
oder wenn die identifizierte Pilzart we-
niger verbreitet ist.
s
Christine Mücke
Quelle: Logan A et al.: Antifungal Resistance and the Role of New Therapeutic Agents. Curr Infect Dis Rep. 2022;24(9):105-116.
Interessenlage: Die Autoren der Studie geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Antibiotikaforschung in der Schweiz: Nationales Forschungsprogramm sucht Antworten für zunehmende Resistenzen
Im Zuge der weltweit zunehmenden Resistenzen gegen bekannte Antibiotika können vormals leicht zu behandelnde Infektionen zu tödlichen Erkrankungen werden. Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, wird im nationalen Forschungsprogramm «Antimikrobielle Resistenz» (NFP 72) nach Lösungen gesucht.
Im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierten Forschungsprogramms haben Forscher als Antwort auf die wachsende Bedrohung durch die Resistenzen wissenschaftliche Erkenntnisse gesammelt und neue Instrumente entwickelt. So ist es etwa dank neuer Gensequenzierungstechnologien gelungen, Übertragungswege aufzuzeigen, die bislang nur unzureichend nachvollzogen werden konnten. Die Forscher haben beispielsweise eine Übertragung multiresistenter Erreger von Tieren auf Mitarbeiter von Veterinärkliniken sowie erhöhte Resistenzkonzentrationen in Flüssen unterhalb von Kläranlagen nachweisen können, Ansatzpunkte für konkrete Massnahmen.
Swiss Pathogen Surveillance Platform Für einen Überblick über die Verbreitung von Resistenzen über das ganze System MenschTier-Umwelt wurde die Swiss Pathogen Sur-
veillance Platform (SPSP) entwickelt, um genetische Informationen zu bakteriellen Erregern künftig verknüpfen und analysieren zu können. Diese Plattform konnte sich in der COVID-19-Pandemie bereits bewähren, indem sie stattdessen laufend Analysen von SARS-CoV-2-Varianten zur Verfügung stellen konnte. Weiter entwickelten die Forscher Instrumente zur Unterstützung einer verantwortungsvollen Verschreibung von Antibiotika sowie schnelle Tests, die es erlauben, rechtzeitig ein geeignetes Antibiotikum zu wählen – oder darauf zu verzichten. Last but not least wurde auch die Prävention berücksichtigt. Ein Beispiel für das grosse Potenzial vorbeugender Massnahmen zeigt etwa ein neues Betriebskonzept für die Kälbermast, mit dem der Einsatz von Antibiotika um rund 80 Prozent reduziert werden konnte.
Rahmenbedingungen schaffen Die Entwicklung neuer antibiotischer Wirkstoffe ist ein weiterer Fokus. DieWissenschafter haben im Rahmen des Forschungsprojekts sowohl neue Substanzen in der Natur entdeckt als auch im Labor synthetisiert. Zudem lassen sich Bakteriophagen gezielt gegen Krankheitserreger nutzen.Viele der gewonnenen Erkenntnisse könnten in den vorhande-
nen Strukturen umgesetzt werden, heisst es in einer Pressemitteilung des SNF. Zum Beispiel biete die Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR) auf nationaler Ebene einen geeigneten Rahmen. Dennoch brauche es in vielen Bereichen ein deutlich stärkeres Engagement von anderen Seiten, so Joachim Frey, Präsident der NFP-72-Leitungsgruppe. «In der Human- und in derTiermedizin müssen etwa die Kantone bereit sein, gezielte Programme zum verbesserten Antibiotikaeinsatz mit entsprechenden Ressourcen auszustatten.» Zudem seien Partner aus Industrie und Politik gefragt: Für die Umsetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse brauche es Rahmenbedingungen, innerhalb deren sich die Entwicklung dieser für die moderne Medizin zentralen Medikamente wieder lohnen könne. Mü
Quelle: Schweizerischer Nationalfonds (SNF)/ Medienmitteilung, 15.11.2022
NFP 72 auf dem SNF-Datenportal
Zu den 33 Projekten, an denen Wissenschafter an Schweizer Universitäten und Hochschulen während 5 Jahren im Rahmen des NFP 72 geforscht haben, kommen Sie hier direkt via QR-Code.
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