Transkript
EDITORIAL
sich für energischere Massnahmen gegen die Umweltkrise einsetzen und die Gesellschaft damit nerven. Donald Trump, Elon Musk. Sogar Herr Berset. Auch in der Medizin ist weit und breit keine Zeitenwende in Sicht. Wir verwalten weiterhin Mängel aller Art. Den Mangel an Medikamenten (drug shortage). Einen Mangel an Hausärzten, weil «die Alten» nur teilweise durch Junge ersetzt werden. Zu wenig Pflegende in den Spitälern. Und da und dort trotz Fortschritten in der technischen und Spitzenmedizin: einen Mangel an Menschen mit Empathie.
Jahreswende – Fetzen eines Gesprächs mit einem Freund
Hast du Angst vor dem, was nächstes Jahr kommt? Gegenfrage: Hattest du vor 1, 2, 3 Jahren Angst vor dem, was im folgenden Jahr kam? Niemand hatte Ende 2019 Angst vor Corona. Aber dann kam sie, die Pandemie. Und mit ihr die Angst. Trotz aller Beruhigungen, die leicht als Lügen zu durchschauen waren und die alles nur schlimmer erscheinen liessen. Heute haben wir Corona fast hinter uns, ja wir können uns kaum mehr erinnern, wie es war, als wir nur noch Lebensmittelläden und Apotheken aufsuchen durften und im Übrigen zu Hause sassen und alle Mitmenschen mieden, deren Infektionsstatus wir misstrauten. Wir können uns kaum mehr vorstellen, wie verzweifelt wir nach Desinfektionsmitteln suchten und für ein paar Milliliter davon fast jeden Preis bezahlten. Gefühlt ein Jahrzehnt gar ist es her, dass uns ein Herr vom BAG weismachen wollte, Masken nützten nichts, und meinte, die Leute seien dumm genug, nicht zu merken, dass es einfach zu wenig davon gebe. Heute ist die Angst vor Corona vorbei.
Ende Corona – die Jahreswende also eine Zeitenwende? Ein viel zu grosses Wort, vor allem zu einem Zeitpunkt, in dem sich das Wendende noch gar nicht zeigt. So vieles begleitet uns ins neue Jahr hinüber: der Krieg in der Ukraine und seine humanitären, wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Die Strassenkleberinnen und -kleber, die
Also statt Zeitenwende neue und noch mehr Ängste? Kann sein, wir wurden über die Jahrzehnte hinweg immer ängstlicher. Obschon es uns materiell so gut geht wie noch nie. Wir fürchten uns vor «dem» Blackout, genannt «Strommangellage». Im Hintergrund natürlich vor dem Klimawandel. Vor «schwarzen Schwänen» und «rosa Elefanten im Raum». In anderen Ländern fürchten die Menschen ihre Regierenden und deren Machtapparate. Wir hingegen haben keine Angst vor Diktatoren, wohl aber vor Kälte, Dunkelheit, geschlossenen Läden, stummen Bildschirmen, stillstehendem Verkehr. Mit anderen Worten: vor materiellen und Komfortverlusten. Das übrigens im Gegensatz zu vielen jungen Menschen in Ländern wie Katar, Saudi-Arabien, Indien. Die planen voller Hoffnung die Zukunft – egal wie heiss es draussen ist.
Die Welt also wie immer, nur wir sind anders geworden? Vielleicht! Wir haben mehr zu verlieren als all unsere Vorfahren. Und vielleicht können wir schlicht den Unterschied zwischen kleinen und grossen Sorgen nicht mehr erkennen. Vielleicht weil die Medien nur grosse Sorgen thematisieren und, wenn’s davon zu wenig gibt, aus kleinen grosse machen. Vielleicht sind die Medien unsere heimlichen Diktatoren. Vielleicht sollten wir uns an jungen Ländern ein Beispiel nehmen und die Zukunft positiv sehen – so wie unsere Vorfahren das taten. Sollten uns auf Feiertage freuen, ohne auf eine Zeitenwende zu hoffen oder eine zu fürchten. Vielleicht sollten wir einfach ohne Hintergedanken sagen:
Schöne Weihnachten und ein gutes neues Jahr! s
Richard Altorfer, Verleger
ARS MEDICI 24 | 2022
723