Transkript
BERICHT
Fortschritte und Schwierigkeiten
Aktuelle Entwicklung bei Reiseimpfungen
Für Fernreisen stehen einige Impfungen zur Verfügung. Welche Impfungen neu empfohlen werden und wo die Forschung bei der Entwicklung neuer Impfstoffe steht, erläuterte Dr. med. Cornelia Staehelin, Leitende Ärztin an der Universitätsklinik für Infektiologie, Tropen- und Reisemedizin am Inselspital Bern und Präsidentin der Swiss Society of Tropical and Travel Medicine, am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM). Sie ist Mitautorin der Website www. healthytravel.ch, die jeweils die neuesten Informationen für Reisende und Fachpersonen bereitstellt.
Tollwut
In verschiedenen Ländern Asiens, Afrikas und in einigen lateinamerikanischen Ländern wie Bolivien ist das Risiko für eine Tollwutinfektion immer noch sehr hoch (1). Der Impfplan 2022 des BAG empfiehlt bei Langzeitaufenthalten oder bei kurzen Reisen mit einem erhöhten Risiko sowie bei Reisen mit dem Fahrrad, dem Motorrad oder zu Fuss in abgelegene Gebiete eine präexpositionelle Impfung (2). Für Erwachsene und Kinder wird eine präexpositionelle Prophylaxe (PrEP) mit 2 Dosen empfohlen, die idealerweise an den Tagen 0 und 28 verabreicht werden, man kann die zweite Impfung auch schon am Tag 7 geben. Immunsupprimierte Personen sollten 3 Impfdosen erhalten. Trotz der PrEP wird den Reisenden dringend empfohlen, nach einer Exposition eine Postexpositionsprophylaxe mit 2 Dosen an den Tagen 0 und 3 zu machen. Der Boostereffekt ist in der Regel stark und rasch. Dieser Booster wird empfohlen, weil nicht alle Geimpften mit der PrEP protektive Antikörper(AK-)Titer erreichen. Es wird empfohlen, die AK-Titer am Tag 14 zu kontrollieren, und wenn sie < 0,5 IE/ml betragen, die Impfung wöchentlich weiterzuführen, bis ein Titer > 0,5 IE/ml erreicht ist.
Polio
Seit Jahren möchte man die Polio eradizieren (3), was aber bisher nicht gelang. So ist Polio immer noch ein international dringendes Gesundheitsproblem (4). In den letzten Jahren traten vor allem in Pakistan, Afghanistan, Malawi, Madagaskar und im Jemen Fälle auf. Vor allem in Afghanistan und Pakistan wurden die Impfprogramme nicht flächendeckend durchgeführt. Auch konnten sich die in der Schluckimpfung verwendeten «Impfviren» in der nicht immunisierten Bevölkerung verbreiten. Die Entdeckung eines Poliofalls stellt immer nur die Spitze des Eisbergs dar. Beim Wildtyp des Poliovirus ist mit 1 Lähmung auf 200 Infektionen zu rechnen, bei den Virenabkömmlingen der Schluckimpfung mit 1 auf 2000 Infektionen. Es ist sehr wichtig, dass Reisende die Krankheit nicht verbreiten. Solche Virenübertragungen wurden in den letzten Jahren über Landesgrenzen und gar Kontinente beobachtet.
In den am stärksten betroffenen Ländern ist ein Booster zwingend, wenn die letzte Impfung länger als 1 Jahr zurückliegt, für andere stark betroffene Länder wird er dringend empfohlen. Für Reisen in weniger stark betroffene Länder in Asien und Afrika sollte mindestens alle 10 Jahre ein Booster gemacht werden. Aber auch in näher gelegenen Ländern kann Polio auftreten. So trat der letzte Poliofall in der Ukraine am 24. Dezember 2021 auf, also noch vor Kriegsbeginn (3). Da die Durchimpfung dort nicht komplett ist, sollten ukrainische Patienten, die in die Schweiz gekommen sind und neu eine Hausarztpraxis aufsuchen, immer nach ihrem Impfstatus gefragt werden.
Ebola
Mit Erleichterung wurden die Erfolgsmeldungen bei der Ebolaimpfung aufgenommen. Diese Impfung steht nun auch Entwicklungshelfern zur Verfügung, die in einem Gebiet mit einem Ebolarisiko arbeiten. Der Impfstoff VSV-ZEBOV ist ein vermehrungsfähiger Lebendimpfstoff, wobei sich nur der Vektor vermehrt. Dieser beruht auf dem Virus der vesikulären Stomatitis plus einem Gen des Ebolavirus, das die Immunantwort gegen Ebola auslöst. Die Impfung rVSVΔG-ZEBOV-GP (Ervebo®) wurde bei einem Ebolaausbruch in Guinea, Westafrika, eingesetzt. Dabei wurden möglichst viele Kontaktpersonen geimpft. Der Impfstoff war zu 100 Prozent wirksam (5). In einer neueren Studie wurden 124 Entwicklungshelfer geimpft, die beabsichtigten, in ein Ebolarisikogebiet zu reisen. Bei vielen Geimpften traten leichte Nebenwirkungen wie Schmerzen an der Impfstelle, Fieber oder Müdigkeit auf, die Symptome verschwanden jedoch innert 3 Tagen (6). Heute steht die Impfung für Personen ab 18 Jahren zur Verfügung, die als Entwicklungshelfer in Ebolarisikogebiete reisen.
Dengue
Die Infektionen mit dem Denguevirus haben seit den 70erJahren massiv zugenommen. Derzeit zirkulieren 4 verschiedene Denguestämme (Serotypen). Viele Millionen Menschen sind konstant dem Risiko für eine Infektion ausgesetzt. Man
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Linktipps
www.healthytravel.ch Viele Informationen, Merkblätter zu gesundem Reisen allgemein, zu spezifischen Krankheiten oder zur aktuellen Situation in verschiedenen Länder sind gratis. Detaillierte Karten sind nur mit Log-in und gegen Bezahlung möglich.
Schweizerischer Impfplan 2022 www.rosenfluh.ch/qr/impfplan-2022-bag
Neuer Impfstoff – neue Hoffnung
Inzwischen ist ein neuer Impfstoff in Prüfung (TAK-003). Dieser hat eine sehr gute Effizienz (13), auch wenn der Impfschutz nach 3 Jahren etwas zurückgeht. Weiter scheint man weniger Unterschiede zwischen Seropositiven und Seronegativen (13) zu sehen. Bis jetzt scheint es, dass nach der Impfung von seronegativen Personen keine schwereren Verläufe beobachtet werden. Aber möglicherweise wird man auch hier die Leute vorher testen müssen. Ein ganz neuer Ansatz in der Denguebekämpfung geht dahin, die Moskitos mit einem Bakterium (Wolbachia) zu infizieren, was dazu führt, dass sie RNA-Viren nicht mehr übertragen können (14).
schätzt, dass bei Reisenden nach einer Rückkehr aus einem Dengueendemiegebiet die Seropositivität 5 bis 10 Prozent beträgt. Zwar gibt es einen Impfstoff (Dengavaxia®), in den zu Beginn grosse Hoffnungen gesetzt wurden (7). Die Wirksamkeit schien in den ersten Studien auch sehr gut zu sein. Doch 2 bis 4 Jahre später entdeckte man nach einem national durchgeführten Impfprogramm auf den Philippinen höhere Hospitalisationsraten bei Kindern. Man fand schliesslich heraus, dass die seropositiven Kinder (also Kinder, die bereits1-mal an Dengue erkrankt waren) sehr gut vor weiteren Infektionen geschützt waren. Kinder, die zum Zeitpunkt der Impfung aber seronegativ waren, zeigten schwere Verläufe. Das Problem ist die AK-abhängige Verstärkung der Immunantwort (8). Die erste Dengueinfektion verläuft in der Regel mild und führt zu einer starken AK-Bildung auf den entsprechenden Serotyp. Während zirka 2 Jahren nach der ersten Dengueepisode ist man auch gegen die 3 anderen Dengueserotypen relativ gut geschützt (9). Die zweite Dengueepisode verläuft hingegen meist viel schwerer, und das will man eigentlich mit einer Impfung verhindern. Die dritte und die vierte Episode sind dann in der Regel wieder milder. Wenn man nun Kinder impft, die noch nie an Dengue erkrankt sind, imitiert die Impfung die erste Episode. Wenn es dann zu einer Infektion kommt, ist das die gefährliche zweite. Erfolgreich ist die Impfung bei Kindern, die eine erste Dengueinfektion durchgemacht haben, bei ihnen kann man mit der Impfung die schwerer verlaufende zweite Infektion verhindern (10). Dengavaxia® ist also effizient und sicher bei seropositiven Personen und schützt dann bei 72 bis 80 Prozent vor Dengueepisoden jeden Schweregrads und bei > 90 Prozent vor schweren Verläufen. Allerdings ist das Risiko für einen schweren Verlauf bei seronegativen Personen um das 2- bis 3-Fache erhöht. Deshalb sollte man nur seropositive Personen impfen. Der Impfstoff ist in mindestens 20 Ländern zugelassen, Brasilien und die Philippinen haben ihn verwendet. Aber keines der Länder führt nach dem Impfskandal noch staatliche Impfprogramme durch (11, 12). Aufgrund des etwas komplizierten Dosierungsschemas mit 3 Dosen nach 0, 6 und 12 Monaten ist die Impfung für Personen, die kurzfristig verreisen wollen, wenig praktikabel.
Zika
Aufsehen erregte die Krankheit bei der Epidemie in Südamerika 2016, als viele Kinder mit zerebralen Missbildungen geboren wurden. Die Infektion führt in der allgemeinen Bevölkerung meist zu einem relativ milden Krankheitsverlauf. Dramatisch ist eine Infektion während einer Schwangerschaft, weil sie beim Fötus eine Mikrozephalie und schwere Hirnentwicklungsstörungen verursachen kann. Es sind einige Impfstoffe in Erforschung mit unterschiedlichem Wirkungsansatz: inaktivierte Lebendimpfstoffe und Vektorimpfstoffe. Einige befinden sich in Phase II, aber noch sind keine zugelassen (15). Für die Entwicklung eines neuen Wirkstoffs existieren ermutigende Faktoren. So gibt es nur einen Serotyp und keine Antigenvarianten. Auch scheint die postinfektiöse Immunität lebenslang zu bestehen. Zudem wird die Forschung von den Behörden massgeblich unterstützt. Eine grosse Herausforderung für die Entwicklung ist jedoch, dass wahrscheinlich eine Virämie (die Virusausbreitung im Blut) bei den Schwangeren gänzlich verhindert werden muss, damit keine Missbildungen entstehen. Weiter muss der Impfschutz über die reproduktiven Jahre der Frau anhalten. Erschwerend kommt hinzu, dass die Inkubationszeit sehr kurz ist, die AK-Titer nach einer Infektion also sehr rasch zur Verfügung stehen müssen (16).
Chikungunya
Das Chikungunyafieber ist eine virale Krankheit, die durch tagaktive Stechmücken übertragen wird. Die Krankheit kann sehr schwere und langwierige Gelenkentzündungen verursachen. Primär kommt dem Schutz vor Mückenstichen deshalb eine grosse Bedeutung zu. Diese Krankheit beschränkte sich lange auf Afrika und Asien, bis sie 2013 und 2014 in die Karibik und nach Südamerika überschwappte. Jetzt ist das Virus vor allem in Südostasien, Afrika und Südamerika zu finden, jedoch zunehmend auch in den USA und in Italien (17, 18). Ein neuer Impfstoff (VLA1553-301d) ist nun in Entwicklung, es ist ein abgeschwächter Lebendimpfstoff, der als Einmaldosis gegeben werden kann. Eine erste Studie mit 6 Monate Follow-up ergab eine Seroprotektion (genügende Impfantikörper) bei 99,9 Prozent der Teilnehmer nach 1 Monat und bei 96,3 Prozent nach 6 Monaten. Die Impfung wurde allerdings nur bezüglich der AK-Bildung gestestet und nicht in einem Gebiet mit Chikungunyainfektionen. So muss sich der Impfstoff noch bei einer tatsächlichen Epidemie bewäh-
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ren. Die Impfung wurde gut toleriert und gilt als sehr sicher. Es wird erwartet, dass der Zulassungsprozess bald gestartet werden kann.
COVID-19 – die wichtigste Reiseimpfung
Da die COVID-19-Impfung die eigentlich wichtigste Reise-
impfung ist, wurde das Thema in einem separatem Referat
abgehandelt. Die Entwicklung des Virus, der Ansteckungs-
zahlen und allenfalls neuer Impfstoffe sowie die Empfehlun-
gen der Politik sind so stark im Fluss, dass sie wohl tagesak-
tuell angepasst werden müssen.
s
Barbara Elke
Quelle: Vortrag «Update on vaccination in travellers» von Dr. med. Cornelia Staehelin am SGAIM-Frühjahrskongress, 1. bis 3. Juni 2022 in Lausanne.
Referenzen: 1. https://apps.who.int/iris/rest/bitstreams/1093327/retrieve 2. Impfplan 2022 3. https://polioeradication.org/where-we-work/key-at-risk-
countries/ 4. https://www.who.int/news/item/24-06-2022-statement-of-
the-thirty-second-polio-ihr-emergency-committee 5. Henao-Restrepo AM et al.: Efficacy and effectiveness of an rVSV-
vectored vaccine in preventing Ebola virus disease: final results from the Guinea ring vaccination, open-label, cluster-randomised trial (Ebola Ça Suffit!). Lancet. 2017;389(10068):505-518. Erratum in: Lancet. 2017;389(10068):504.
6. Carnino L et al.: Feasibility and safety of rVSV-ZEBOV vaccination of humanitarian health workers against Ebola virus disease: an observational study. J Travel Med. 2021;28(8):taab086.
7. Villar L et al.; CYD15 Study Group: Efficacy of a tetravalent dengue vaccine in children in Latin America. N Engl J Med. 2015;372(2):113-23.
8. Sridhar S et al.: Effect of dengue serostatus on dengue vaccine safety and efficacy. N Engl J Med. 2018;379(4):327-340.
9. Anderson KB et al.: A shorter time interval between first and second dengue infections is associated with protection from clinical illness in a school-based cohort in Thailand. J Infect Dis. 2014;209(3):360-368.
10. Flasche S et al.: The long-term safety, public health impact, and cost-effectiveness of routine vaccination with a recombinant, live-attenuated dengue vaccine (Dengvaxia): a model comparison study. PLoS Med. 2016;13(11):e1002181.
11. https://www.cdc.gov/mmwr/volumes/70/rr/rr7006a1.htm 12. https://www.who.int/publications/i/item/who-
wer9335-457-476 13. Rivera L et al.; TIDES study group: Three years efficacy and safety
of Takeda’s dengue vaccine candidate (TAK-003). Clin Infect Dis. 2022;75(1):107-117. 14. Utarini A et al.; AWED study group: Efficacy of Wolbachia-infected mosquito deployments for the control of dengue. N Engl J Med. 2021;384(23):2177-2186. 15. Pattnaik A et al.: Current status of Zika virus vaccines: successes and challenges. Vaccines (Basel). 2020;8(2):266. 16. Biomedical Advanced Research and Development Authority (BARDA) 17. Burt FJ et al.: Chikungunya: a re-emerging virus. Lancet. 2012;379(9816):662-671. 18. Weaver SC et al.: Chikungunya virus and the global spread of a mosquito-borne disease. N Engl J Med. 2015;372(13):1231-1239.
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