Transkript
FORTBILDUNG
Von der Diagnose zur Therapie
Vorgehen bei Reizdarmsyndrom
Beim Reizdarmsyndrom kommt es darauf an, möglichst früh eine Diagnose zu stellen, potenziell tödlich verlaufende Erkrankungen wie Malignome auszuschliessen und Wiederholungsuntersuchungen zu vermeiden, um eine somatische Fixierung zu verhindern. Dabei sollte man die Patienten als zentrales Element einer vertrauensvollen und erfolgreichen Zusammenarbeit über den zwar chronischen Verlauf der Erkrankung, aber deren gute Prognose informieren.
Miriam Goebel-Stengel, Andreas Stengel
Die überarbeitete Fassung der von der Deutschen Gesellschaft für Verdauungskrankheiten und Stoffwechsel (DGVS) initiierten S3-Leitlinie zum Reizdarmsyndrom (RDS) wurde unlängst publiziert (1). Dabei änderte sich im Kapitel der Diagnostik jedoch nur wenig im Vergleich zu 2011. Für die positive Diagnosestellung eines RDS sollen grundsätzlich folgende Komponenten erfüllt sein: s Die Anamnese, das Muster und das Ausmass der Be-
schwerden sind mit einem RDS vereinbar. s Andere Krankheiten, die differenzialdiagnostisch erwogen
werden müssen, weil sie sich mit ähnlichen Symptomen manifestieren können, sind symptomabhängig gezielt auszuschliessen. s Die vom Patienten angegebenen Beschwerden beziehen sich auf den Darm, das heisst, es können Bauchschmerzen, Blähungen oder Stuhlunregelmässigkeiten ohne eine obligate Symptomkombination vorliegen. s Die Patienten erfahren eine relevante Beeinträchtigung durch die Beschwerden. Da die Patienten oft jahrelang unter den Symptomen leiden, ist eine möglichst frühe Diagnosestellung eines RDS anzustreben. Um Patienten mit einem RDS von solchen mit anderen organischen Erkrankungen zu unterscheiden, gibt es Warnsymptome, die jeder Arzt kennen sollte. Hierzu gehören ein signifikanter Gewichtsverlust, Fieber, rektaler Blutabgang, eine Anämie, eine positive Familienanamnese für Karzinome, hier insbesondere für kolorektale Karzinome, stark ansteigende Beschwerden innerhalb kurzer Zeit oder eine Veränderung der Beschwerden sowie nächtlich auftretende Beschwerden. Vor allem die Symptome Gewichtsverlust, Anämie oder starke neu aufgetretene Beschwerden innerhalb kurzer Zeit lassen an das Vorliegen einer Tumorerkrankung denken.
MERKSÄTZE
� Da Patienten mit Reizdarmsyndrom (RDS) oft jahrelang unter den Symptomen leiden, sollte man ein RDS früh diagnostizieren.
� Entscheidender ist es, die Hauptbeschwerden zu erfassen, statt den Subtyp zu bestimmen.
� Eine Wiederholungsdiagnostik ist zu vermeiden.
Kasuistik: Bauchschmerzen mit «Lockdown-Booster»
Eine 43-jährige Patientin (Sozialarbeiterin, verheiratet, 2 Kinder, keine Vorerkrankungen, Z. n. Appendektomie im Kindesalter) klagt über Bauchschmerzen, eher im Unterbauch, krampfartig, und das nun schon seit etwa 10 Jahren. Es sei mal besser, mal schlechter. Gewichtsabnahme oder Blut im Stuhl bestehen nicht. In der Familie gibt es keine Krebserkrankungen. Auf Nachfrage gibt sie auch Blähungen und Völlegefühl an, die im Laufe des Tages zunehmen, sodass abends die Hose nicht mehr passt. Nachts bestehen keinerlei Beschwerden. Der Stuhlgang ist eher hart, durchschnittlich 2-mal/Woche. Zahlreiche Vorbefunde bringt sie mit. Innerhalb der letzten 10 Jahre wurden mehrere Gastroskopien und Koloskopien durchgeführt, jedoch immer ohne wegweisende Befunde. Basislabor und Urinstatus waren ebenfalls unauffällig. Die Abdomensonografie ergab lediglich eine leichte Fettleber. Auch gynäkologisch gab es keine Auffälligkeiten. Die Patientin beklagt nun eine Zunahme der Beschwerden in der Zeit des coronabedingten Lockdowns. Die Grundstimmung habe von fröhlich zu traurig gewechselt. Der Stress zu Hause sei nicht mehr auszuhalten. Sie als ihr neuer Hausarzt seien die letzte Hoffnung auf Heilung.
Hier ist unverzüglich eine weiterführende Diagnostik einzuleiten. Die Patientin aus unserer Kasuistik erfüllt alle Kriterien für die Diagnose eines RDS. Zur Differenzierung zwischen einem obstipationsprädominanten RDS (RDS-O) und einem diarrhöprädominanten RDS (RDS-D) sind die Stuhlfrequenz und -konsistenz heranzuziehen (Tabelle 1). Diese lassen sich gut mit einem Stuhltagebuch (14 Tage) erfragen und anhand der Bristol-Stuhlformen-Skala (BSF; Abbildung 1) einteilen (3). Merke: Im klinischen Alltag ist es entscheidender, die Hauptbeschwerden herauszuarbeiten, als die genaue Diagnose RDS-O, RDS-D, RDS-M (Mischtyp) oder RDS-U (undefined) zu stellen. Bestehen eher Durchfälle, Verstopfung, Schmerzen oder Blähungen? Handelt es sich hierbei wirklich um pathologische Zustände? Die Aufklärung der Patienten über «normales» Stuhlverhalten ist oft erhellend. Jede Stuhlfrequenz zwischen 3-mal täglich und 3-mal wöchentlich liegt im Be-
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FORTBILDUNG
Tabelle 1:
Subtypen des Reizdarmsyndroms (RDS) und vorherrschende Symptome1
RDS-O RDS-D RDS-M RDS-U
(obstipationsprädominantes (diarrhöprädominantes
(gemischter Typ)
(unklassifizierter Typ)
RDS) RDS)
> 25% harte Stühle und
> 25% dünnflüssige Stühle
> 25% dünnflüssige Stühle
< 25% dünnflüssige Stühle < 25% dünnflüssige Stühle und < 25% harte Stühle und > 25% harte Stühle
und < 25% harte Stühle V. a. harte Stühle (BSF 1–2) V. a. weiche Stühle (BSF 6–7) Ausgewogenes Verhältnis Normale Stuhlform überwiegt, zwischen harten und weichen harte oder weiche Stühle Stühlen, aber selten normale eher selten Stuhlform Stuhlgang steht im Vordergrund Stuhlgang steht im Vordergrund Stuhlgang steht oft nicht im Stuhlgang steht oft nicht im der Beschwerden der Beschwerden Vordergrund der Beschwerden Vordergrund der Beschwerden Schmerzen und Blähungen Schmerzen und Blähungen Oft Schmerzen oder Oft Schmerzen oder können zusätzlich auftreten können zusätzlich auftreten Blähungen vordergründig Blähungen vordergründig BSF: Bristol-Stuhlformen-Skala 1 nach (2) reich des Normalen und ist individuell. Stuhlformen auf der BSF zwischen 3 und 5 werden als «normal» bewertet. Sinnvolle Diagnostik Zur Basisdiagnostik gehören eine ausführliche Anamnese, eine körperliche und rektale Untersuchung, ein Basislabor, eine Stuhluntersuchung und eine Abdomensonografie (1). Bei der Anamnese sollte auf die oben geschilderten Alarmsymptome eingegangen werden. Jedoch ist es auch sinnvoll, extraintestinale Symptome zu erfragen, da sie nicht selten mit einem RDS einhergehen. Hierzu zählen Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Schwindel. Weiter sollte im Rahmen der Anamnese auf den vorliegenden Medikamentenplan eingegangen werden. Da viele von einem RDS Betroffene ihre Symptome auf Ernährungsfaktoren zurückführen, ist es wichtig, eine Ernährungsanamnese durchzuführen. Hierbei sollte auf folgende Punkte eingegangen werden: s Körperschema s angestrebtes Gewicht (Hang zu Diäten? Gewichtsab- nahme angestrebt? Wohlfühlen im eigenen Körper? Gerade bei jungen Frauen können gastrointestinale Beschwerden Ausdruck einer Essstörung sein [4]) s Erfragen von Essgewohnheiten (Regelmässigkeit, Ausgewogenheit, Vorlieben) s vermehrter Genuss kohlensäurehaltiger und zuckerhaltiger Getränke oder zuckerfreier Süssigkeiten (diese verursachen oft Beschwerden durch hohen Fruktose- oder Sorbitgehalt). Da psychosoziale Faktoren bei Genese, Aufrechterhaltung und Verschlechterung eines RDS eine Rolle spielen (5), ist es ratsam, im Gespräch auf das Umfeld der Betroffenen einzugehen. Hier kommt dem Hausarzt eine besondere Rolle zu, da er die Betroffenen oft langjährig kennt und das familiäre oder berufliche Umfeld einzuordnen vermag. Die Stuhluntersuchung dient dem Ausschluss infektiöser Durchfallerkrankungen und dem Ausschluss einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung. Hierbei sollten pathogene Keime im Stuhl sowie das Calprotectin als Entzündungsmarker untersucht werden. Zum Basislabor gehören nicht nur die Infektparameter (kleines Blutbild, C-reaktives Protein [CRP]) Typ 1 Einzelne feste Kügelchen (schwer auszuscheiden) Typ 2 Wurstartig, klumpig Typ 3 Wurstartig mit rissiger Oberfläche Typ 4 Wurstartig mit glatter Oberfläche Typ 5 Einzelne weiche, glattrandige Klümpchen, leicht auszuscheiden Typ 6 Einzelne weiche Klümpchen mit unregelmässigem Rand Typ 7 Flüssig, ohne feste Bestandteile Abbildung 1: Bristol-Stuhlformen-Skala und die Schilddrüsenhormone, sondern mittlerweile auch die Zöliakieantikörper (Endomysiumantikörper, Gewebetransglutaminaseantikörper) sowie die Bestimmung von Immunglobulin A (IgA) gesamt (6). Der selektive IgA-Mangel als häufigster Immundefekt in der Bevölkerung ist mit 2 bis 3 Prozent bei Zöliakiebetroffenen deutlich häufiger (7). Bei Frauen ist die gynäkologische Vorsorgeuntersuchung im Rahmen der vorgeschriebenen Intervalle Pflicht. ARS MEDICI 23 | 2022 703 FORTBILDUNG Diagnose RDS benennen + individuelle Zusatzdiagnostik Frauen: gynäkologische Untersuchung Vorbefunde sichten Abdominelle Beschwerden V. a. RDS •••••••AnaAeMERplrxesallenagytimsdrräceamehihmkninrosaueeytsmensimonsegeztpinianttloaemleeSymptome Körperliche und rektale Untersuchung Sonografie des Abdomens Stuhluntersuchung Basislabor Zöliakieantikörper Abbildung 2: Die wichtigsten Schritte zur Diagnose eines RDS Kommt Darmkrebs in der Familie vor oder ist der Patient älter als 45 Jahre und/oder leidet an einer wässrigen Diarrhö, ist eine Ileokoloskopie mit Stufenbiopsien durchzuführen. Diese dient zum einen dem Ausschluss eines kolorektalen Karzinoms und zum anderen dem Ausschluss einer (chronisch) entzündlichen Darmerkrankung und mikroskopischen Kolitis (Abbildung 2). Zeigen sich weder bei der körperlichen und der rektalen Untersuchung noch im Labor, im Ultraschall, bei der gynäkologischen Untersuchung oder bei der Magen-Darm-Spiegelung (inklusive Biopsien) Auffälligkeiten und entsprechen die Symptome den Reizdarmkriterien, kann die Diagnose eines RDS gestellt werden. Wenn die Patienten hinsichtlich eines RDS initial gewissenhaft und vollständig untersucht wurden, sollte eine erneute Diagnostik im Sinne einer Wiederholungsdiagnostik vermieden werden. Verschiedene Studien haben den Verlauf eines RDS überprüft und die Diagnose in 97 Prozent der Fälle als stabil bewertet (8–10). Verbindungsstelle Hausarzt/Spezialist Die initiale Diagnostik kann und sollte regelhaft durch den Hausarzt erfolgen. Lediglich die gynäkologische Untersuchung und die individuelle Zusatzdiagnostik müssen vom jeweiligen Facharzt erbracht werden. In den meisten Fällen wurden diese Untersuchungen jedoch bereits mehrfach durchgeführt und bedürfen daher keiner Wiederholung zur Verhinderung einer somatischen Fixierung. Merke: Eine sorgfältige Anamnese und eine Sichtung der Vorbefunde reichen meist aus, um die Verdachtsdiagnose eines RDS zu erhärten. Die Basisdiagnostik sollte einmal umfassend und komplett durchgeführt werden. Eine frühzeitige Symptomkontrolle sollte angestrebt werden. Gefährliche Differenzialdiagnosen Zu den potenziell gefährlichen Differenzialdiagnosen gehören das kolorektale Karzinom und das Ovarialkarzinom bei der Frau. Insbesondere bei RDS-typischen Beschwerden, die seit weniger als 3 Monaten neu aufgetreten sind, ist das Risiko, an einem kolorektalen Karzinom erkrankt zu sein, 8,4fach erhöht (11–13). 85 Prozent der Patientinnen mit Ovarialkarzinom zeigen typische RDS-Symptome. Dabei trat bei vielen das erste Symptom bereits 6 Monate vor Diagnosestellung auf (14). Die mikroskopische Kolitis ist vor allem bei älteren Patienten eine relevante Differenzialdiagnose. 10 Prozent der Patienten, die die Kriterien für ein RDS-D erfüllen, haben eine mikroskopische Kolitis (15). Die Zöliakie als Chamäleon unter den gastrointestinalen Erkrankungen stellt eine relevante Differenzialdiagnose dar. 4 Prozent der Patienten mit typischen RDS-Symptomen leiden an einer Zöliakie (11, 16). Merke: Die Differenzialdiagnosen orientieren sich an der vorherrschenden Reizdarmsymptomatik. Lebensbedrohliche Erkrankungen wie Karzinome oder Entzündungen des oberen oder unteren Gastrointestinaltrakts müssen ausgeschlossen werden. Welche Untersuchungen sind nicht empfohlen? Verschiedene Biomarker wurden und werden diskutiert (20, 21). Derzeit gibt es jedoch keine Biomarker, die gezielt ein RDS erkennen können. Daher kann die Messung solcher Parameter nicht empfohlen werden. Ein Zusammenhang zwischen einer Imbalance der Darmmikrobiota und dem RDS ist bekannt (22). Aufgrund der zum Teil widersprüchlichen Aussagen der Studien und fehlender Referenzwerte sollte jedoch keine mikrobielle Analytik der kommensalen Darmmikrobiota (Stuhlanalyse) zur Diagnosestellung eines RDS erfolgen. Obwohl Ernährungsfaktoren nachgewiesenermassen eine grosse Rolle bei der Bildung von Symptomen bei RDSBetroffenen spielen, empfiehlt die aktuelle Leitlinie, keine Bestimmung nahrungsspezifischer IgG durchzuführen (1). Zum Ausschluss oder zur Erhärtung von nahrungsassoziierten Beschwerden sollte eine Kohlenhydratmalabsorption ausgeschlossen werden und eine Ernährungsberatung erfolgen. Strukturiertes Vorgehen im hausärztlichen Bereich Der Vorteil im hausärztlichen Bereich liegt darin, dass viele Befunde bereits vorliegen. Es lohnt sich also, diese einmal systematisch durchzuarbeiten, um «Lücken» in der Diagnostik aufzudecken. Die Basisdiagnostik sollte komplett sein. Die in Tabelle 2 dargestellte Checkliste soll die Struktur der Konsultation vereinfachen. Merke: Nicht selten finden sich doch Patienten, die trotz Diarrhö und Bauchschmerzen noch nie eine Ileokoloskopie bekommen haben. Daher lohnt sich die einmalige gewissenhafte Aufarbeitung der Befunde. Häufige Fallstricke Gastrointestinale Beschwerden können Ausdruck einer Essstörung (4) oder einer Nahrungsmittelunverträglichkeit sein. Viele Patienten meinen, genau die auslösenden Nahrungsmittel zu kennen, und meiden diese konsequent, was mitunter zu Mangelernährung führen kann. Daher ist die Zusammenarbeit mit einer Ernährungsberatung überaus wichtig. Der Umgang mit Patienten mit chronischen abdominellen Beschwerden wird von Primärversorgenden oft als Herausforderung beschrieben. Als Gründe werden eine ausgeprägte Anspruchshaltung der Patienten und die Sorge seitens der Ärzte, relevante Erkrankungen übersehen zu haben, angeführt. Das führt dazu, dass viele Untersuchungen trotz gleichbleibender Beschwerden und Befunde mehrfach durchgeführt werden. Aussagen wie «Meine Beschwerden müssen doch eine Ursache haben.» oder «Ich bilde mir das doch nicht ein.» sind häufig und triggern weitere Untersuchungen. 704 ARS MEDICI 23 | 2022 FORTBILDUNG Tabelle 2: Diagnostische Checkliste Schritt Was ist zu beachten? Vorbefunde sichten Gastroduodenoskopie einschliesslich Duodenalbiopsien Liegt die Histologie vor? Wurde eine Zöliakie ausgeschlossen? Ileokoloskopie einschliesslich Stufenbiopsien Liegt die Histologie vor? Wurde eine mikroskopische Kolitis ausgeschlossen? Wurde bereits eine Kohlenhydratmalabsorption ausgeschlossen? Gibt es eine valide Abdomenbildgebung? Gibt es aktuelle Laborwerte? Anamnese erheben Allgemein Positivkriterien für RDS abfragen Alarmsymptome (B-Symptome, Blut im Stuhl, nächtliche Symptome, Familienanamnese bezüglich kolorektales Karzinom) Extraintestinale Symptome Medikamente Ernährung Reise Psychosoziale Belastungen Psychische Komorbiditäten Labor ergänzen, falls nicht ausreichend Blutbild, CRP, TSH Zöliakieantikörper, falls kein histologischer Ausschluss der Zöliakie erfolgt ist (Endomysium-AK, tTG-AK, IgA gesamt) Stuhl auf pathogene Keime und Parasiten (falls Reiseanamnese auffällig) und Calprotectin bei Diarrhö Urinstatus Körperliche, rektale, Ultraschalluntersuchung Hinweise auf Mangelernährung oder Essstörung, tastbare oder sichtbare Resistenzen Diagnostik komplettieren Ggf. endoskopische Untersuchungen ergänzen Ggf. Wasserstoffatemtests ergänzen Ggf. andere Untersuchungen ergänzen, falls die Anamnese richtungsweisend ist Bei entsprechenden Hinweisen weitere Differenzialdiagnosen erwägen RDS: Reizdarmsyndrom, CRP: C-reaktives Protein, TSH: thyreoideastimulierendes Hormon, AK: Antikörper, tTG: Gewebetransglutaminase, IgA: Immunglobulin A Nicht selten wechseln Patienten den Arzt, wenn ihnen die nächste Untersuchung verwehrt wird. Unnötige Wiederholungsuntersuchungen sind aber doppelt gefährlich für die Patienten: Sie sind womöglich ganz unmittelbar mit einer Gefährdung verbunden und fördern die somatische Fixierung, erschweren damit die weitere Therapie und verschlechtern die Prognose. Hier ist eine gute Kommunikation gefragt. Die Psychoedukation umfasst unter anderem folgende Punkte (5): s Benennen Sie konkret die Diagnose eines RDS. s Klären Sie über die gutartige, aber leider chronische Er- krankung mit normaler Lebenserwartung auf. s Es gibt eine wirkungsvolle symptomatische Therapie. s Klären Sie frühzeitig die Erwartungen der Patienten. Ma- chen Sie ihnen klar, dass sich die Symptomatik verbessern lässt, aber dass eine kurzfristige Heilung bei jahrelang bestehender Symptomatik eher unwahrscheinlich und nicht realistisch ist. s Partizipative Entscheidungsfindung: Beziehen Sie die Patienten in die Therapie ein. Fragen Sie, was gut tut. s Beschwerden können variieren, der Verlauf und «Attacken» können nicht vorhergesagt werden. s Arbeiten Sie gemeinsam den Einfluss von Stress, Ernährung oder Infektion heraus. s Bei psychosozialen Belastungen: Thematisieren Sie diese, sensibilisieren Sie ggf. für eine Psychotherapie. s Die Therapie ist zum Teil langwierig und frustrierend. Gespräche dieses Inhalts wirken in den meisten Fällen entlastend für Arzt und Patienten. Therapie Gemäss der S3-Leitlinie sollen bei nicht ausreichendem Ansprechen auf eine Monotherapie sowie zur Behandlung verschiedener Beschwerden Kombinationen verschiedener Medikamente, aber auch Kombinationen medikamentöser und nicht medikamentöser Behandlungen eingesetzt werden (1). Diese Optionen werden nun näher erörtert. Ernährung Viele Patienten mit RDS machen die Ernährung für die Symptomentstehung, -aufrechterhaltung und -zunahme verantwortlich. Auch wenn dies nicht immer objektivierbar ist, spielen ernährungsmedizinische Aspekte eine Rolle bei der Therapie des RDS. Bei Patienten mit RDS und überwiegend Obstipationsbeschwerden (RDS-O) können vor allem lösliche Ballaststoffe als hilfreich erlebt werden (23). Spezielle Diäten wurden für das RDS beschrieben. So kann bei Patien- ARS MEDICI 23 | 2022 705 FORTBILDUNG ten mit RDS und vorwiegend Schmerzen, Blähungen und Diarrhö die sogenannte Low-FODMAP-Diät eingesetzt werden (24). FODMAP (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole) sind kurzkettige Kohlenhydrate, die im Dünndarm schlecht absorbiert und damit osmotisch aktiv und später im Dickdarm von Bakterien zersetzt werden, was mit Gasbildung einhergeht. Dies fördert die Entstehung von Durchfall, Schmerzen und Blähungen. Bei der LowFODMAP-Diät werden FODMAP in der Nahrung vermieden (Eliminationsphase). Wenn sich die Symptome in der Eliminationsphase verbessern, können schrittweise Nahrungsmittel mit höherem FODMAP-Gehalt wieder eingeführt werden (Phase der Toleranzfindung). Lebensmittel, die symptomfrei gegessen werden konnten, werden abschliessend in den Langzeiternährungsplan einbezogen (Phase der Langzeiternährung) (25). Eine FODMAP-Diät darf immer nur kurzfristig durchgeführt werden. Lebensstil Es gibt Studien, die auf einen günstigen Effekt von körperlicher Bewegung auf die RDS-Symptomatik hinweisen (26, 27). Dennoch ist die Datenlage, vor allem bezüglich qualitativ hochwertiger Studien, gering, dies gilt auch für andere Lebensstilveränderungen (z. B. Nikotinkarenz, wenig Alkohol, bewusst essen, genug schlafen, Stressreduktion). Dennoch werden diese Massnahmen empfohlen. Symptomorientierte Medikation Eine medikamentöse Therapie des RDS ist immer symptombezogen und nicht kausal. Somit ist es legitim, sich am vorherrschenden Symptom zu orientieren, um ein geeignetes Medikament zu finden. Bei RDS-D werden Flohsamenschalen und der Peristaltikhemmer Loperamid (µ-Opioid-Rezeptor-Agonist) empfohlen. Bei RDS-D ist in den USA seit 2015, in der EU seit 2016 und in der Schweiz seit 2018 der opioidbasierte Wirkstoff Eluxadolin zugelassen. Weiterhin kann bei therapierefraktärem RDS-D eine Off-label-Therapie mit 5-HT3-Antagonisten versucht werden. Nicht zuletzt kann bei chologenen Diarrhöen der Cholesterinresorptionshemmer Colestyramin zum Einsatz kommen. Bei RDS-O sollen Laxanzien vom Macrogoltyp eingesetzt werden (1). Auch kann der 5-HT4-Agonist Prucaloprid zum Einsatz kommen. Erwähnenswert ist der GuanylatzyklaseC-Agonist Linaclotid, welcher bei laxanzienrefraktärer Obstipation und begleitenden Bauchschmerzen und Blähungen gute Ergebnisse erzielen kann. Nicht zuletzt kann an den Chloridkanalaktivator Lubiproston gedacht werden (in der Schweiz nicht mehr im Handel). Bei Vorherrschen von Schmerzen kommen vorzugsweise Spasmolytika wie Butylscopolamin, Pfefferminz und/oder Kümmelöl (z. B. Carmenthin®) sowie die Pflanzenmixtur STW-5 (Iberis amara, Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmelfrüchte, Mariendistelfrüchte, Melissenblätter, Pfefferminzblätter, Schöllkraut und Süssholzwurzel) zum Einsatz (z. B. Iberogast®). Bei vorrangigen Blähungen kann die Off-label-Behandlung mit dem lokal im Darm wirksamen Antibiotikum Rifaximin erwogen werden, für die wiederholte Anwendung gibt es jedoch keine günstige Evidenz. Probiotika Obschon sie oft von Patienten nachgefragt werden und mit hoher Akzeptanz versehen sind, ist die Datenlage hinsichtlich des Einsatzes von Probiotika beim RDS heterogen, was in der Spannbreite der Studienqualität sowie in der Unterschiedlichkeit von Zusammensetzung und Dosierung der Probiotika begründet ist. Einzelne Gattungen wie Bifidobakterien oder Laktobazillen konnten jedoch RDS-typische Symptome wie Schmerzen und Blähungen sowie Stuhlfrequenz und -konsistenz verbessern. Somit empfiehlt die aktuelle Leitlinie den probatorischen Einsatz von Probiotika (sowie das Wiederabsetzen bei fehlender Besserung) (1). Psychopharmaka Bei RDS vorrangig mit Schmerzen und Diarrhö kann das Trizyklikum Amitriptylin «off label» zum Einsatz kommen (mit regulärer Indikation bei komorbidem Vorliegen einer depressiven oder Angststörung) (28). Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) wie zum Beispiel Citalopram verkürzen die orozökale Transitzeit, sodass diese bei RDS-O «off label» zum Einsatz kommen können. Der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI) Duloxetin kann bei Erwachsenen mit komorbider Angst- und depressiver Störung eingesetzt werden (29). Psychotherapie Neben der oben erwähnten Psychoedukation (wo bereits psychotherapeutische Elemente zum Tragen kommen) kom- men Strategien zum verbesserten Umgang mit Stress und/oder Krankheitsbewältigung (coping) und angeleitete Selbsthilfe (30) zum Einsatz. Hierbei wurden onlinebasierte Angebote (E-Health-Interventionen) als hilfreich erlebt (31). Weiterhin gibt es gute Evidenz für sowohl verhaltensthera- peutisch orientierte als auch psychodynamisch orientierte Psychotherapie, wobei die Studienlage traditionell für die Verhaltenstherapie breiter ist, obgleich für die psychodyna- mischen Verfahren ein klar positiver Effekt gezeigt werden konnte (32). s PD Dr. med. Miriam Goebel-Stengel Klinik für Innere Medizin Helios Klinik Rottweil D-78628 Rottweil Prof. Dr. med. Andreas Stengel Innere Medizin VI Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Universitätsklinikum Tübingen D-72076 Tübingen Interessenlage: M. G.-S. erhält Vortrags- und Beratungshonorare von Dr. Willmar Schwabe GmbH und Medice. A. S. erhielt Vortrags- und Beraterhonorare von a&r Berlin, Boehringer Ingelheim, Dr. Willmar Schwabe GmbH, Medice, Microbiotica und Takeda. Dieser Artikel erschien erstmals in «doctors today» 7/22. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren. 706 ARS MEDICI 23 | 2022 FORTBILDUNG Literatur: 1. 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