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BERICHT
Nebenwirkungen
Antipsychotika, Opioide, Antiepileptika und die Hypophyse
Viele häufig verwendete Medikamente haben Nebenwirkungen auf die Hypophyse. Am diesjährigen Kongress der US-amerikanischen Endokrinologen war diesem Thema ein Symposium unter dem Titel «Drugging the pituary» gewidmet. Die wichtigsten Punkte wurden am PostADA/PostENDO-Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie in Bern präsentiert.
Fast alle Antipsychotika können den Prolaktinspiegel steigern und eine Hyperprolaktinämie bewirken, wobei diese Nebenwirkung bei verschiedenen Substanzen unterschiedlich häufig auftritt. Deshalb sollten Patienten, die Antipsychotika erhalten, auf Hyperprolaktinämie und ihre Symptome gescreent werden. In den Guidelines der US-amerikanischen Endocrine Society wird empfohlen, das Antipsychotikum unter ärztlicher Kontrolle für 3 Tage abzusetzen oder durch ein anderes zu ersetzen und dann erneut den Prolaktinspiegel zu messen (1). Falls dieses Vorgehen nicht möglich ist oder der Beginn der Hyperprolaktinämie nicht mit dem Beginn der Antipsychotikatherapie assoziiert ist, sollte ein MRI der Hypophyse erfolgen, um einen Tumor in der Hypophyse oder im Hypothalamus auszuschliessen. Behandlungsbedürftig ist nur eine symptomatische Hyperprolaktinämie. Testosteron beziehungsweise Östrogen wird für Patienten mit Hypogonadismus (hypogonadale Symptome oder Osteoporose) empfohlen (1). Eine Hyperprolaktinämie kann viele verschiedene Ursachen haben. Wenn das Antipsychotikum die Ursache der Hyperprolaktinämie ist, sollte es, falls möglich, abgesetzt oder durch ein anderes ersetzt werden, welches diese Nebenwirkung kaum oder gar nicht verursacht (1). Hierfür kommt Aripiprazol (Abilify® und Generika) allein oder in Kombination infrage. Es ist das einzige Antipsychotikum ohne diese Nebenwirkung. Im Gegenteil kann es unter Aripiprazol allenfalls zu einem geringen Rückgang des Prolaktins kommen (2). Falls ein Wechsel des Antipsychotikums ausgeschlossen ist, wird bei medikamenteninduzierter Hyperprolaktinämie der vorsichtige Gebrauch von niedrig dosierten Dopaminagonisten unter Vorbehalt empfohlen (1). Dopaminagonisten können zu einer Exazerbation der Psychose führen, sie müssen in diesem Fall sofort abgesetzt werden.
Opioide und die Hypophyse
Opioide interferieren auf vielen Ebenen der HypophysenGonaden-Achse, und sie können eine leichte Hyperprolaktinämie bewirken. Das Nebenwirkungsrisiko für Hypogonadismus ist bei hoch dosierten und lang wirksamen Opioiden
erhöht, ebenso unter Fentanyl, Methadon oder Oxycodon. Hingegen ist es bei Buprenorphin weniger ausgeprägt. Man sollte die Patienten auf diese Nebenwirkung hinweisen, sie zu Beginn sowie regelmässig im Verlauf der Therapie nach Symptomen für Hypogonadismus fragen und die gonadalen Hormonspiegel im Auge behalten. Wenn andere Ursachen für einen Hypogonadismus ausgeschlossen sind, sollte das Opioid abgesetzt oder seine Dosis reduziert werden, und der Wechsel zu Buprenorphin (Temgesic®, Transtec®, Subutex® und Generika) wird empfohlen. Falls diese Massnahmen nicht möglich sind, ist eine Hormonsubstitution indiziert (3). Opioide können auch die hypothalamisch-hypophysäradrenale Achse beeinflussen, wobei die Datenlage hierzu nicht so klar ist als für den Hypogonadismus. Endokrinologen führen dies darauf zurück, dass die Symptomatik bei opioidbedingten Nebenwirkungen und bei Nebenniereninsuffizienz recht ähnlich sei (Fatigue, Übelkeit, Erbrechen). Zudem unterschieden sich die Testverfahren für die einschlägigen Parameter in den verschiedenen Studien (4). Man solle aufmerksam bleiben und gegebenenfalls einen Kortisoltest am Morgen oder einen ACTH-Stimulationstest veranlassen (3). Die Resultate zweier Studien legen nahe, dass Hydrokortison (15–20 mg/Tag, verteilt auf 2 bis 3 Dosen) für Patienten mit opoidinduzierter Nebenniereninsuffizienz hilfreich ist (5, 6).
Antiepileptika
Antiepileptika beeinflussen die Funktion mehrerer Hormone. So führen Phenobarbital, Phenytoin und Carbamazepin über das hepatische P450-Enzymsystem zu einem erhöhten Katabolismus der Schilddrüsenhormone. Bei Patienten mit Epilepsie und sekundärer Hypothyreose aufgrund einer Störung der Hypophysenfunktion führt das zu Problemen beim Titrieren der Levothyroxindosis. TSH kann bei diesen Patienten nicht als Parameter herangezogen werden, der Levothyroxinkatabolismus wird durch die genannten Antiepileptika befeuert und die Messung des freien Thyroxins (fT4) beeinflusst. Es ist deshalb schwierig, die Schilddrüsentherapie bei diesen Patienten zu steuern. Eine Lösung für dieses Problem wurde am Jahreskongress der Endocrine Society in Atlanta nicht präsentiert.
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BERICHT
Carbamazepin und Oxcarbamazepin sowie möglicherweise
Lamotrigin und Felbamat können in der Niere zu einer er-
höhten tubulären Sensitivität gegenüber dem antidiureti-
schen Hormon (ADH) und dem Antidiuretikum Desmopres-
sin führen. Das ist für Patienten mit Diabetes insipidus rele-
vant. Wenn diese neu eine antiepileptische Therapie erhalten,
benötigen sie weniger Desmopressin, ansonsten besteht die
Gefahr für eine Wasserintoxikation.
Auch auf die gonadale Achse haben Antiepileptika einen Ein-
fluss. Estradiol gilt als prokonvulsives Hormon. Als Hor-
monsubstitution kann es bei menopausalen Epileptikerinnen
zu einer erhöhten Anfallsrate führen (7). Dieser Effekt könne
durch Progesteron gemildert werden, hiess es am Jahres-
kongress der Endocrine Society. Für die Männer gilt das
Gegenteil: Androgene haben generell einen antikonvulsiven
Effekt. Antiepileptika können jedoch einen Umbau von
Testosteron zu Estradiol bewirken (Aromatisierung). Die-
ser Metabolismus kann durch die Gabe von Aromatase-
hemmern oder selektiven Östrogenrezeptormodulatoren
gebremst werden.
s
Vortrag «Pituitary» von Dr. med. Julie Refardt am 21st PostADA/PostENDOSymposium in Bern am 1. September 2022 in Bern.
Literatur: 1. Melmed S et al.: Diagnosis and treatment of hyperprolactinemia: an
Endocrine Society clinical practice guideline. J Clin Endocrinol Metab. 2011;96(2):273-288. 2. Hoffer ZS et al.: Evidence for the partial dopaminereceptor agonist aripiprazole as a first-line treatment of psychosis in patients with iatrogenic or tumorogenic hyperprolactinemia. Psychosomatics. 2009;50(4):317324. 3. Gadelha MR et al.: Drugs and Pituitary Function. In: Melmed S (Ed.): The Pituitary. 5th Ed., Elsevier, 2022. 4. de Vries F et al.: Opioids and Their Endocrine Effects: A Systematic Review and Metaanalysis. J Clin Endocrinol Metab. 2020;105(3):1020-1029. 5. Nenke MA et al.: Low-dose hydrocortisone replacement improves wellbeing and pain tolerance in chronic pain patients with opioid-induced hypocortisolemic responses. A pilot randomized, placebo-controlled trial. Psychoneuroendocrinology. 2015;56:157-167. 6. Li T et al.: Clinical Presentation and Outcomes of Opioid-Induced Adrenal Insufficiency. Endocr Pract. 2020;26(11):1291-1297. 7. Harden CL et al.: Hormone replacement therapy in women with epilepsy: a randomized, double-blind, placebo-controlled study. Epilepsia. 2006;47(9):1447-1451.
Renate Bonifer
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