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Therapie bei diarrhölastigem Reizdarm
Mukosaschutz als Alternative
BERICHT
In der Therapie des Reizdarms gibt es bislang keine empfohlene Standardbehandlung. Bei Patienten mit Diarrhö als Hauptsymptom ist das der häufigste Grund für das Fernbleiben von der Arbeit. Mit einer Kombination aus Polysacchariden, Präbiotika, Proteinen und Tanninen kann eine Symptomlinderung erreicht werden, wie eine Cross-over-Studie nahelegt.
Etwa 40 Prozent der Reizdarmpatienten (irritable bowel syndrome, IBS) leiden unter einem diarrhölastigen Reizdarmsyndrom (IBS-D), bei dem die Patienten unter Abdominalschmerzen mit häufigem Stuhlabgang, Bauchkrämpfen, Schleim im Stuhl und häufig akuter Diarrhö leiden. Eine kausale Therapie gibt es nicht; um die Symptome zu lindern, ist ein multidisziplinärer Ansatz nötig. Zur Kontrolle der chronischen oder rezidivierenden Diarrhö bei IBS gibt es verschiedene medikamentöse Therapiemöglichkeiten (z. B. Loperamid, Colestyramin, Rifaximin), aber auch Probiotika, pflanzliche Fasern oder eine FODMAP-Diät sind eine Option, die es zu versuchen gilt. Eine weitere Möglichkeit besteht aus der Verwendung einer Kombination aus Xyloglukan, Erbsenprotein, Tannin aus Traubenkernextrakt und Xylooligosacchariden (Gelsectan®). Xyloglukan stammt aus pflanzlichen Zellwänden und ist Teil der menschlichen Nahrung. Dieses Kombinationsprodukt lindert die Symptome einer chronischen oder rezidivierenden Diarrhö und beugt dieser vor, lindert das abdominale Spannungsgefühl, Schmerzen, Blähungen und Flatulenz. Die Wirkung resultiert aus dem protektiven Effekt auf die intestinale Mukosa. Diese kommt durch die mukoadhäsiven Eigenschaften von Xyloglukan (XG) zustande, das durch die Errichtung einer physikalischen Schleimhautbarriere mittels Gelfilm die Mukosazellen vor Schädigung durch Mikroorganismen, Allergenen und proinflammatorischen Verbindungen schützt. Erbsenprotein und Tannin aus Traubenkernextrakt (pea protein and tannins, PPT) sind ebenfalls mukoprotektiv. Xylooligosaccharide (XOS) wirken andererseits präbiotisch im Kolon mit bifidogenem Effekt.
Effiziente und anhaltende Symptomkontrolle
Nach ermutigenden Ergebnissen im Rattenmodell, wonach eine signifikante Bindung von Xyloglukan an Mucin-2 im Kolon, eine signifikante Bioadhäsion der Kombination ohne Absorption und eine signifikante Wiederherstellung der Mukosazellen gemessen werden konnten (1), ist die Wirkung dieser Kombination auch bei Menschen gemäss den Resultaten einer Cross-over-Studie nachgewiesen. In der multizentrischen, doppelblinden und plazebokontrollierten, randomisierten Studie erhielten 60 IBS-D-Patienten im Alter von 18 bis 65 Jahren im Cross-over-Verfahren während 28 Tagen das Verum (XG + PPT + XOS [Gelsectan®], 2 Kapseln/Tag jeweils vor dem Frühstück und vor dem Abendessen) oder das Plazebo und im Anschluss während weiterer 28 Tage umgekehrt Plazebo oder das Verum zur weiteren Behandlung. Die
Teilnehmer waren vorwiegend weiblich (73%). Als Studien-
endpunkte waren die klinische Remissionsrate (Verschwin-
den des Durchfalls bzw. < 2 nicht wässrige Stühle/Tag), die subjektive Verbesserung der Bauschmerzen und der Blähun- gen anhand der Likert-Skala sowie die Lebensqualität an- hand der Fragebogen IBS-Quality of Life und EQ-5D-3L definiert. Follow-up-Untersuchungen wurden 30 und 60 Tage nach Ende der Cross-over-Behandlung durchgeführt. In der Gruppe, die mit dem Verum begann, zeigte sich, dass während der Verumphase signifikant mehr Patienten eine Stuhlnormalisierung erfuhren als in der nachfolgenden Plaze- bophase (87 vs. 0%; p = 0,0019). Von den Patienten, die mit Plazebo begannen und anschliessend in die Verumphase wechselten, wies nach Ende der 2. Phase (Tag 56) ein signi- fikant höherer Anteil einen normalen Stuhl auf (93 vs. 23%; p = 0,001), der Effekt hielt bis zum Ende des Follow-ups (Tag 116) an. Die Remission des Durchfalls trat bei den meisten innerhalb von 15 Tagen nach Beginn der Verumbehandlung ein. Gemäss Selbsteinschätzung der Patienten verringerten sich die inakzeptablen Bauchschmerzen und Blähungen unter dem Verum signifikant, und die Lebensqualität stieg an. Das Verum wurde gut vertragen, es traten keine Nebenwirkungen auf. In einer offenen Langzeitstudie über 6 Monate mit 50 IBS-D- Patienten konnte die symptomverbessernde Wirkung zudem bestätigt und ein anhaltendes Therapieansprechen gezeigt werden, dies bei milden und meist nicht therapieursächlichen Nebenwirkungen (3). Weil IBS-D der Hauptgrund für das Fernbleiben von der Ar- beit darstelle und die Lebensqualität stark beeinträchtige, sei es wichtig, wirksame Therapien zu finden, so die Autoren der Cross-over-Studie. Einen Standardtherapiealgorithmus für die Behandlung von IBS-D gibt es bislang nicht, die therapeu- tischen Optionen reichen von Lebensstil- und Ernährungs- anpassungen, Medikamenten bis zur Psychotherapie. Nicht medikamentöse Massnahmen wie die Verstärkung der Mu- kosabarriere im Darm durch einen Gelfilm können in Kom- bination mit Präbiotika deshalb eine valable Alternative zur Symptomkontrolle darstellen. s Valérie Herzog Quelle: United European Gastroenterology Week (UEGW), 3. bis 5. Oktober 2021, virtuell. ARS MEDICI 23 | 2022 695 BERICHT Referenzen: 1. Esposito E et al.: Evaluating the mucoadhesive properties of a therapeutic containing a combination of xyloglucan, reticulated proteins and xylooligosaccharides on the restoration of intestinal barrier function in rats with diarrhea-predominant irritable bowel syndrome. P0630, presented at UEGW 2021, virtual. 2. Trifan A et al.: Efficacy and safety of Gelsectan for diarrhoea-predominant irritable bowel syndrome: A randomised, crossover clinical trial. United EuropeanGastroenterolJ.2019;7(8):1093-1101.doi:10.1177/2050640619862721 3. de Los Rios CC et al.: Long-term safety and efficacy study of a medical device containing xyloglucan, pea protein reticulated with tannins and xylooligosaccharides, in patients with diarrhoea-predominant irritable bowel syndrome. Therap Adv Gastroenterol. 2021;14:17562848211020570. doi:10.1177/17562848211020570 696 ARS MEDICI 23 | 2022