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FOKUS PHARMAKOTHERAPIE
Ginkgo biloba bei leichter kognitiver Beeinträchtigung
Häufigere Einnahme kann Demenzrisiko senken
In einer retrospektiven Real-World-Studie zeigte sich, dass die Demenzinzidenz bei Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung (MCI; mild cognitive impairment) mit einem Ginkgo-biloba-Extrakt gesenkt werden kann. Die Demenzinzidenz verringerte sich bereits bei mindestens 3 ärztlichen Verschreibungen und nahm mit zunehmender Anzahl der Verordnungen weiter ab. Der Begriff MCI beschreibt eine kognitive Funktion zwischen der normalen altersgerechten Performance und einer Demenz. Das Risiko, dass sich daraus eine Demenz entwickelt, nimmt mit dem Alter der Betroffenen zu. In einer Studie stieg der Anteil der MCI-Patienten mit Progression zur Demenz von 6,6 Prozent in der Altersgruppe ≤ 60 Jahre auf 39,0 Prozent in der Altersgruppe > 80 Jahre an. In klinischen Studien mit Ginkgo biloba (mehrheitlich mit dem Spezialextrakt EGb 761) wurde bei Patienten mit MCI eine signifikante Verbesserung der Symptomatik im Vergleich zu Plazebo erzielt. Eine neue Studie untersuchte nun die Effekte von Ginkgo biloba bezüglich der Demenzinzidenz unter Alltagsbedingungen.
Ginkgo biloba im Praxisalltag
Im Rahmen ihrer Untersuchung evaluierten Jens Bohlken et al. vom Universitätsklinikum Leipzig den Zusammenhang zwischen der Anzahl ärztlicher Verschreibungen eines Ginkgo-biloba-Extrakts und der Demenzinzidenz. Für ihre Analyse werteten die Forscher Patientendaten der IQVIA Disease Analyzer Database von etwa 3000 niedergelassenen Allgemeinärzten und Neuropsychiatern in Deutschland aus. In die Studie wurden 24 483 Personen (≥ 65 Jahre) eingeschlossen, die zwischen Dezember 2019 und Januar 2000 die Diagnose MCI (ICD-10; F = 6.7) erhalten hatten. Das durchschnittliche Alter der Teilnehmer betrug 77,0 Jahre, und der Frauenanteil lag bei 56,3 Prozent. Der Beobachtungszeitraum betrug durchschnittlich 3,8 Jahre und erstreckte sich bis zu 20 Jahren. Zur Abschätzung des Zusammenhangs zwischen der Anzahl der Verschreibungen und der Demenzinzidenz führten die Autoren eine multivariate Cox-Regressionsanalyse mit einem Abgleich für Alter, Geschlecht, Art der Krankenversicherung, die Co-Diagnosen des Patienten und die Einnahme von Cholinesterasehemmern durch. Mehr als 2 Verschreibungen eines Ginkgobiloba-Extrakts waren im Vergleich zu kei-
ner Verschreibung mit einer signifikanten
Reduktion der Demenzinzidenz um 29 Pro-
zent assoziiert (Hazard Ratio [HR]: 0,71;
95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,55–0,91; p
= 0,007). Bei mehr als 3 Verschreibungen
nahm der positive Effekt weiter zu – und die
Demenzinzidenz um 36 Prozent ab (HR:
0,64; 95%-KI: 0,48–0,86; p = 0,003). Die
ausgeprägteste Senkung (–42%) wurde bei
mehr als 4 Verschreibungen beobachtet
(HR: 0,58; 95%-KI: 0,41–0,82; p = 0,002).
Als Stärke ihrer Untersuchung erachten die
Autoren die lange Beobachtungszeit und
die grosse Patientenzahl. Als Limitation
ihrer Analyse werten sie, dass der ICD-
Diagnose-Code keine Rückschlüsse auf
unterschiedliche MCI-Schweregrade er-
möglicht. Somit werde das Ausmass der
MCI in Deutschland eventuell unterschätzt,
und die fälschliche Einordnung einer MCI
als Demenz könne ebenfalls nicht ausge-
schlossen werden.
PS s
Quelle: Bohlken J et al.: Association Between Ginkgo Biloba Extract Prescriptions and Dementia Incidence in Outpatients with Mild Cognitive Impairment in Germany: A Retrospective Cohort Study. J Alzheimers Dis. 2022;86(2):703-709.
Interessenlage: Die referierte Studie wurde von der Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG in Karlsruhe (Deutschland) finanziert.
ARS MEDICI 22 | 2022
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