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FORTBILDUNG
Asthma bronchiale: GINA-Empfehlungen 2022 zur Asthmabehandlung bei Jugendlichen und Erwachsenen
Der Strategiebericht der Globalen Initiative für Asthma (GINA) stellt jährlich aktualisierte, evidenzbasierte Empfehlungen zur Asthmabehandlung und -prävention zur Verfügung, die an lokale Gegebenheiten angepasst werden können. Im folgenden Beitrag werden die wichtigsten Empfehlungen der GINA zur Behandlung von Asthma bei Jugendlichen und Erwachsenen zusammengefasst.
Bei Asthma handelt es sich um eine schwerwiegende, weltweit auftretende Erkrankung, die alle Altersgruppen betrifft. Die Prävalenz hat in vielen Ländern zugenommen. Die Ziele der Asthmabehandlung bestehen darin, eine gute Symptomkontrolle zu erreichen, akute Symptome angemessen zu lindern und das Risiko für Exazerbationen, asthmabedingte Todesfälle, anhaltende Einschränkungen des Luftstroms und Behandlungsnebenwirkungen zu minimieren. Das therapeutische Management beinhaltet neben der Asthmamedikation auch die Behandlung von modifizierbaren Risikofaktoren und Begleiterkrankungen. Des Weiteren gehören nicht pharmakologische Strategien sowie Schulungen und Kompetenztrainings, insbesondere zur Inhalationstechnik, dazu. Die Diagnose «Asthma» sollte bei Erwachsenen und Jugendlichen möglichst vor Beginn der Behandlung mit einem Asthma-Controller bestätigt werden, weil es danach oft schwieriger ist.
Steckbrief
Wer hat die Guideline erstellt? Global Initiative for Asthma (GINA)
Wann wurde sie aktualisiert? 2022
Für welche Patienten? Patienten mit Asthmaerkrankungen
Was ist neu? ▲ Die Asthmabehandlung für Erwachsene und Jugendliche wurde in
zwei Pfade aufgeteilt. ▲ In Pfad 1 dient ICS/Formoterol als Reliever, in Pfad 2 ein SABA. ▲ Die GINA-Experten empfehlen Pfad 1 als zu bevorzugende
Strategie, weil ICS/Formoterol das Risiko für schwere Exazerbationen im Vergleich zu SABA (mit/ohne Controller) bei ähnlicher Symptomkontrolle, ähnlicher Lungenfunktion und geringerer OCR-Belastung senkt. ▲ Stufe 5 haben die GINA-Experten in beiden Pfaden ThymicStromal-Lymphopoietin-Antikörper (Anti-TSLP) als neue Biologika-Klasse hinzugefügt.
Personalisierte Zyklen: Assessment – Behandlung – Überprüfung
Die Asthmabehandlung erfolgt personalisiert und wird in einem kontinuierlichen Zyklus von Assessment, Behandlung und Überprüfung immer wieder angepasst. Dabei sind neben der Symptomkontrolle auch die Risikofaktoren für Exazerbationen und Nebenwirkungen, die Lungenfunktion, die Begleiterkrankungen und die Fähigkeiten zum Selbstmanagement sowie die Ziele und Präferenzen von Patienten und/oder Betreuern zu berücksichtigen.
Inhalative Kortikosteroide (ICS) statt SABA
Bei Erwachsenen und Jugendlichen sollte Asthma nicht ausschliesslich mit kurz wirksamen Beta-2-Agonisten (SABA) gemanagt werden, denn die regelmässige Anwendung von SABA ist – selbst über einen kurzen Zeitraum von 2 Wochen – mit einer erhöhten Atemwegshyperreagibilität (AHR), einer verminderten bronchienerweiternden Wirkung und einem verstärkten allergischen Ansprechen verbunden. Eine übermässige Anwendung von SABA ist zudem mit einem erhöhten Risiko für schwere Exazerbationen und erhöhter Mortalität assoziiert. Aufgrund dieser Sicherheitsaspekte empfehlen die GINAExperten zur Verringerung des Risikos für schwere Exazerbationen und zur Symptomkontrolle ein ICS-haltiges Regime: Entweder täglich oder bei leichtem Asthma ICS/Formoterol bei Bedarf zur Linderung der Symptome.
Definition «leichtes Asthma»
In der GINA werden derzeit die Begriffe zur Beurteilung der Schwere des Asthmas diskutiert. Die Definition «schweres Asthma» erachten die Experten als relevant für den klinischen Alltag. Die Bezeichnung «leichtes Asthma» ist dagegen weniger eindeutig und führt häufig zu der Annahme, dass hier kein Risiko bestehe und daher auch keine Controller-Therapie erforderlich sei. Bis zu 30 Prozent aller Asthmatodesfälle ereignen sich jedoch bei Patienten mit eher seltener Symptomatik. Im Zusammenhang mit «leichtem Asthma» sollte den GINA-Experten zufolge daher immer auf das Risiko schwerer Exazerbationen und die notwendige ICS-haltige Behandlung hingewiesen werden.
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Niedrige, mittlere und hohe tägliche ICS-Gesamtdosen (allein oder mit LABA)
Inhalatives Kortikosteroid
Tägliche Gesamtdosis (µg)
niedrig
mittel
hoch
Beclometasondipropionat (pMDI, Standardpartikel, HFA (Qvar®, Beclo Orion®)
200–500
> 500–1000
> 1000
Beclometasondipropionat (DPI oder pMDI, extrafeine Partikel, HFA) (Beclo Orion Easyhaler Inh Plv 200 µg)
100–200
> 200–400
> 400
Ciclesonid (pMDI, extrafeine Partikel, HFA) (Alvesco®)
80–160
> 160–320
> 320
Fluticasonfuroat (DPI) (z. B. Arnuity®)
100
100 200
Fluticasonpropionat (DPI) (Axotide®)
100–250
> 250–500
> 500
Fluticasonpropionat (pMDI, Standardpartikel, HFA) (Axotide®)
100–250
> 250–500
> 500
Mometasonfuroat (DPI)
Abhängig vom DPI-Device, siehe Produktinformation
Mometasonfuroat (pMDI, Standardpartikel, HFA)
200–400
200–400
> 400
Abkürzungen: DPI: Trockenpulverinhalator, HFA: Hydrofluoralkantreibmittel, pMDI: Druckdosieraerosol; Quelle: nach GINA 2022, www.swissmedicinfo.ch
Zwei alternative Behandlungspfade
Zu den wichtigsten Neuerungen der letzten Jahre gehört eine Aufteilung der Behandlungsstrategien in 2 Pfade entsprechend dem inhalativen Reliever (Abbildung). Innerhalb eines Pfades kann die Behandlung mit demselben Reliever über alle 5 Stufen hinweg nach oben oder nach unten angepasst werden. Wenn erforderlich, ist auch ein Wechsel zwischen beiden Pfaden möglich. Pfad 1 mit niedrig dosiertem ICS/Formoterol als Reliever: In Pfad 1 wird niedrig dosiertes ICS-Formoterol in allen Stufen als Reliever eingesetzt (Tabelle). In den Stufen 1 und 2 (leichtes Asthma) nur bei Bedarf, in den Stufen 3 bis 5 mit täglichem ICS/Formoterol zur Erhaltungstherapie (Erhaltungs- und Entlastungstherapie, MART). Pfad 1 empfehlen die GINAExperten als zu bevorzugende Variante, da diese Vorgehensweise das Risiko schwerer Exazerbationen im Vergleich zu einem SABA-Reliever (mit/ohne Erhaltungstherapie) bei ähnlicher oder besserer Symptomkontrolle senkt. Pfad 2 mit SABA als Reliever: Der alternative Pfad 2 sieht die bedarfsabhängige Anwendung von SABA in allen Stufen vor, ergänzend zur regelmässigen Anwendung von ICS in Stufe 2, oder von ICS und lang wirksamen Betaagonisten (LABA) in den Stufen 3 bis 5. Da die Adhärenz gegenüber ICS meist unzureichend ist und Patienten, die ausschliesslich SABA anwenden, den bereits beschriebenen Risiken ausgesetzt sind, sollte vor Beginn mit einem SABA-Reliever geprüft werden, ob der Patient die ICS-Controller-Therapie einhalten wird. In Stufe 1 ist die gleichzeitige Gabe von ICS, immer wenn SABA appliziert wird, der alleinigen Anwendung von SABA vorzuziehen. In Stufe 5 gibt die GINA für beide Pfade Empfehlungen für lang wirksame Muskarinantagonisten (LAMA), Azithromycin (Zithromax® und Generika) und Biologika (Anti-Immunglobulin-E; Anti-Interleukin-5/5R; Anti-Interleukin-4Rα) als
Add-on bei schwerem Asthma. In der aktuellen Fassung von 2022 haben die GINA-Experten jetzt auch ThymicStromal-Lymphopoietin-Antikörper (Anti-TSLP) als neue Biologikaklasse hinzugefügt. Des Weiteren wurden beide Behandlungspfade in Stufe 5 mit einem Verweis auf GINAEmpfehlungen für schwer behandelbares Asthma versehen (siehe auch Seite 666 ff).
Veränderung der Behandlungsintensität
Bevor die Behandlung zur Symptomkontrolle oder zur Vorbeugung von Exazerbationen intensiviert wird, ist sicherzustellen, dass die Beschwerden auf das Asthma zurückzuführen sind. Ausserdem werden modifizierbare Risikofaktoren wie eine falsche Inhalationstechnik, mangelnde Medikamententreue, Umwelteinflüsse und Multimorbidität ermittelt, behoben oder behandelt. ICS/Formoterol sollte nicht als Reliever bei Patienten angewendet werden, die bereits eine Kombination aus ICS und einem anderen LABA zur Erhaltungstherapie anwenden, da klinische Beweise für die Sicherheit und Wirksamkeit fehlen. Sobald das Asthma 2 bis 3 Monate lang gut kontrolliert werden konnte, raten die Experten zu einer schrittweisen Verringerung der Dosierungen, um die niedrigste wirksame Dosis zur Kontrolle der Symptome und der Exazerbationen zu finden. ICS sollten jedoch nicht vollständig abgesetzt werden, es sei denn, es ist temporär erforderlich, um die Diagnose «Asthma» zu bestätigen.
Schriftliche Notfallpläne
Zur Unterstützung des Asthmaselbstmanagements erhalten alle Patienten einen individuellen schriftlichen Asthmaaktionsplan mit Instruktionen, wie sie ihre Reliever/ControllerMedikation bei einer Verschlechterung des Asthmas anpassen müssen und in welchen Situationen ein Arzt aufgesucht werden sollte.
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Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren
Überprüfung Symptome Exazerbationen Nebenwirkungen Lungenfunktion Patientenzufriedenheit
Assessment Bestätigung der Diagnose, wenn erforderlich Symptomkontrolle und modifizierbare Risikofaktoren Komorbiditäten Inhalationstechnik und Compliance Patientenpräferenzen und -ziele
Anpassung Behandlung modifizierbarer Risikofaktoren Nicht pharmakologische Strategien Asthmamedikation (Anpassung nach oben/unten/zwischen den Pfaden) Schulung und Training
Pfad 1: Controller und bevorzugter Reliever
ICS/Formoterol als Reliever senkt Exazerbationsrisiko im Vergleich zu SABA-Reliever
Stufen 1 – 2
niedrig dosiertes ICS-Formoterol bei Bedarf
Stufe 3
niedrig dosiertes ICS-Formoterol zur Erhaltung
Stufe 4
mittelgradig dosiertes ICS-Formoterol zur Erhaltung
Stufe 5*
Zugabe von LAMA
Überweisung zur Phänotypevaluierung. Erwägen von hoch dosiertem ICS/Formoterol, ± anti-IgE, anti-IL5/5R, anti-IL 4R, anti-TSLP
RELIEVER: Niedrig dosiertes ICS-Formoterol bei Bedarf
Pfad 2: Controller und alternativer Reliever
Vor Erwägung eines Regimes mit SABA-Reliever Therapieadhärenz gegenüber täglichem Controller sicherstellen
Stufe 1
ICS bei jeder SABAApplikation
Stufe 2
niedrig dosiertes ICS zur Erhaltung
Stufe 3
niedrig dosiertes ICS-LABA zur Erhaltung
Stufe 4
mittelgradig/ hoch dosiertes ICS-LABA zur Erhaltung
RELIEVER: SABA bei Bedarf
Stufe 5*
Zugabe von LAMA
Überweisung zur Phänotypevaluierung. Erwägen von hoch dosiertem ICS/Formoterol, ± anti-IgE, anti-IL5/5R, anti-IL 4R, anti-TSLP
Andere Controller-Optionen für jeden Pfad (limitierte Indikationen oder weniger Evidenz für Wirksamkeit und Sicherheit)
niedrig dosiertes ICS bei jeder Applikation von SABA oder täglich LTRA oder Zugabe von HDM SLIT
mittelgradig dosiertes ICS oder Zugabe von LTRA oder HDM SLIT
Zugabe von LAMA oder LTRA oder HDM SLIT oder Wechsel zu hoch dosiertem ICS
Zugabe von Azithromycin (Erwachsene) oder LTRA; Zugabe von niedrig dosiertem OCS, Nebenwirkungen berücksichtigen
* Siehe GINA-Guide für schweres Asthma Abkürzungen: HDM: Hausstaubmilben, SLIT: sublinguale Immuntherapie, LTRA: Leukotrienantagonist, ICS: inhalative Kortikosteroide, OCS: orale Kortikosteroide, TSLP: «thymic stromal lymphopoietin»
Abbildung: Personalisiertes Management für Erwachsene und Jugendliche zur Symptomkontrolle und Risikominimierung
Asthmamanagement während der COVID-19-Pandemie
Für Asthmapatienten besteht kein erhöhtes Risiko für eine Ansteckung mit SARS-CoV-2 oder für einen schweren COVID19-Verlauf. Die Patienten sollten ihre Asthmamedikamente einschliesslich ICS, allein oder in Kombination mit einem LABA, weiter einnehmen. Bei schwerem Asthma gilt dies auch für Biologika. Von der Verwendung von Verneblern raten die GINA-Experten wegen des Risikos der Virenübertragung jedoch ab. In Einrichtungen des Gesundheitswesens sollte sich der Patient nach den örtlichen Modalitäten zur Infektionskontrolle und den Empfehlungen für COVID-19-Tests rich-
ten, wenn eine Spirometrie, eine Messung des exspiratorischen
Spitzenflusses (PEF) oder andere aerosolerzeugende Verfahren
(z. B. Sauerstofftherapie, Sputuminduktion, Beatmung) erfor-
derlich sind. Die GINA-Experten empfehlen auch für Asthma-
patienten eine COVID-19-Impfung. Eine Allergie gegen Nah-
rungsmittel, Insektengift oder Medikamente stellt dabei keine
Kontraindikation dar. Biologika sollten nicht am selben Tag
wie die COVID-19-Impfung appliziert werden.
s
Petra Stölting
Quelle: Global Initiative for Asthma: Global Strategy for Asthma Management and Prevention, 2022. Available from: www.ginasthma.org
GINA-Empfehlungen für Asthmatherapie und -prävention https://www.rosenfluh.ch/qr/gina-2022
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