Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Ein Haiku ist ein japanisches Kurzgedicht, bestehend aus fünf plus sieben plus fünf japanischen Lauteinheiten, das sind auf Deutsch zehn bis vierzehn Silben über drei Zeilen. Muss man nicht wissen oder kennen; einige sind bloss schön: «Mal zeigt es die Rückseite / mal die Vorderseite / ein Ahornblatt im Fallen.»
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Ein Freund witzelt: «In Zürich soll es jetzt gebührenpflichtige Fussgängerampeln geben.» Die frivole Gisela: «Sei bloss ruhig, du bringst sie noch auf Ideen.»
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Ursprünglich ein Facebook-Post, nie abgesetzt und deshalb statt an die Person, für die er bestimmt war, auf diesem Weg an alle: «Weisst du, was ich an euch mag? Dass ihr, du und dein Partner, das Leben geniesst. Dass ihr wisst, dass das Leben geniessen nicht bedeutet, dass einem alles Üble in der Welt egal ist, sondern dass die Welt keinen Deut besser wird, nur weil man sich die kleinen Freuden des Lebens mit Partner und Freunden nicht gönnt.»
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In Italien hat sich eine rechte Partei durchgesetzt. In Schweden regieren seit Neuem ebenfalls rechte Politiker mit, völlig ungewohnt für das ehemals linke Schweden. In Deutschland spielt die AFD eine gewichtige Rolle, ziemlich genau seit 2015. Und in Frankreich funkt Frau Le Pen stärker als je in die Politik rein. Schon länger EU-kritisch und rechts politisiert in Ungarn Herr Orban. Alles Zufall? Nein, es ist das Erbe einer einzigen Person, auch wenn man das in Deutschland nicht wahrhaben will: das Erbe von Frau Mer-
kel, die mit ihrer Migrationspolitik im Jahre 2015 die Grundlage gelegt hat für den Erfolg rechtspopulistischer Parteien in ganz Europa (inklusive Brexit). Es war eine Politik der Feigheit (wie der Publizist Robin Alexander später aufarbeitete) – der Feigheit von Frau Merkel selbst, die nicht mit Bildern zurückgedrängter Migranten in Verbindung gebracht werden wollte, aber auch der Feigheit ihrer Parteikollegen, von denen kaum ein Dutzend die Kanzlerin zu kritisieren traute, obschon sie alle wussten, wie die Geschichte enden würde. Ist es wirklich so einfach mit der Schuldfrage? Vielleicht nicht ganz so einfach, aber viel komplizierter auch nicht. Die nächste Migrationswelle wird’s zeigen – sie wird ohne Frau Merkel garantiert anders gehändelt werden.
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Apropos italienische Wahlen: Neben Giorgia Meloni und Matteo Salvini stand bei den Wahlveranstaltungen immer auch eine Figur wie aus einem Mailänder Wachsfigurenkabinett. Eine Gestalt, die man aus früheren Zeiten zu kennen meint, die ähnlich aussieht wie ein gewisser Silvio Berlusconi, die jedoch, man muss es leider so deutlich sagen, ausgesprochen schlechte Handarbeit darstellt.
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Onkel Hugo findet, die Welt wäre besser, wenn alle Menschen so wären wie Roger Federer. Sagt es und stutzt. Geht natürlich nicht. Wären alle so, dann wäre perfektes Tennisspielen nichts Besonderes mehr, und nicht einmal der richtige Roger könnte damit Milliardär werden.
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Ferdinand von Schirach, Jurist und Schriftsteller, Enkel eines führenden Nazis namens Baldur von Schirach, macht es einem mit seinen Texten nicht immer bequem, aber eines lehrt er uns, wenn auch gegen Herz und Bauch: den Wert unseres Rechtsystems. Und der lässt sich in dem einen Satz zusammenfassen: «Das Recht schützt auch Menschen, die es verachten.» Schwierig zu akzeptieren, muss aber wohl so sein. Das Gegenteil von Recht kulminiert im Satz eines Nazi-Juristen: «Alles, was dem Volke nützt, ist Recht, alles, was ihm schadet, ist Unrecht.» Der Satz könnte auch von Herrn Putin stammen.
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Über «kulturelle Aneignung» regen sich vor allem weisse Menschen auf. Sie entscheiden, was andere als rassistisch empfinden sollen, müssen oder dürfen. Interessant.
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Eine liebe Freundin: «Für einen Fisch ist sein Leben genauso wichtig wie dein Leben für dich. Diese Einsicht macht’s nicht unmöglich, aber etwas schwieriger, Fisch zu essen. Gell?» Kurzes Stutzen. Der feine Alaska-Lachs kann dazu zum Glück nichts mehr sagen. Aber immerhin, man denkt kurz an ihn. Und erst recht an das Kälbchen, dessen Filet man gestern noch genossen hat.
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Und das meint Walti: Bei guten Geschichten ist es nicht wichtig, ob sie stimmen.
Richard Altorfer
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ARS MEDICI 21 | 2022