Transkript
Glukokortikoidtherapie
Tipps zur Osteoporosevorbeugung
BERICHT
Steht ein Patient unter einer Therapie mit Glukokortikoiden oder ist eine solche geplant, müssen Vorkehrungen getroffen werden, um einer Osteoporose oder der Verschlechterung einer solchen vorzubeugen. Welche Abklärungen dabei vorzunehmen sind und welche Therapien in welcher Reihenfolge sich am besten eignen, erläuterten Experten am virtuell abgehaltenen RheumaLive-Seminar.
Die glukokortikoidinduzierte Osteoporose ist die häufigste sekundäre und iatrogene Osteoporose mit einer hohen Frakturprävalenz von 30 bis 50 Prozent. Sie manifestiert sich bevorzugt an trabekulären Knochen wie Wirbelkörpern, Oberschenkelhals und Rippen. Bereits tiefe Kortisondosen (2,5–7,7 mg/Tag) erhöhen das Frakturrisiko (1), der Knochendichteverlust verläuft dabei biphasisch. In der ersten, rasch verlaufenden Phase kommt es durch Osteoblastensuppression und gleichzeitig gesteigerte Knochenresorption zu einem Verlust von bis zu 15 Prozent im ersten Therapiejahr. In der zweiten, langsameren Phase beträgt der weitere Verlust noch 3 bis 5 Prozent pro Jahr. Die Knochenresorption erfolge hier langsamer, doch bestehe weiterhin eine ausgeprägte Suppression der Knochenformation, erklärte Prof. Uwe Lange, Direktor der Abteilung Physikalische Medizin & Osteologie, Kerckhoff-Klinik, Bad Nauheim (D).
Welche Vorsichtsmassnahmen dazugehören
Bei einer geplanten oder etablierten Glukokortikoidtherapie von mehr als 3 Monaten mit Dosen ≥ 2,5 mg/Tag empfehlen die Guidelines des Dachverbands Osteologie (DVO) der deutschsprachigen Gesellschaften auf dem Gebiet der Knochenerkrankungen (2) eine osteologische Basisdiagnostik. Denn das 10-Jahres-Risiko für Frakturen liegt in diesem Fall bei > 10 Prozent. Die empfohlene Basisdiagnostik besteht aus Anamnese, Klinik, Knochendichtemessung (DXA), gegebenenfalls Röntgen oder einer anderen Bildgebung und einem Basislabor. Diese Abklärungen seien zudem bei jüngeren Personen zu empfehlen, auch wenn das so nicht in den Guidelines stehe, so Lange. Als Basismassnahmen zur Frakturprävention sind empfohlen (1): s Vitamin-D-Substitution (800–1000 IE/Tag), Zielspiegel: 50–125 nmol/l, möglichst > 75 nmol/l s Kalziumsubstitution: 1000 mg/Tag Gesamtzufuhr, möglichst über die Nahrung s Förderung der Muskelkraft und der Koordination s Vermeidung von Immobilisation s Sturzanamnese, Behebung vermeidbarer Sturzursachen s Vermeidung eines Body-Mass-Index ≤ 20 kg/m2
s Vermeidung von sturz- und frakturbegünstigender Medikation wie Glukokortikoiden, Protonenpumpenhemmern, Antiepileptika, Antidepressiva, Neuroleptika, Sedativa, Schilddrüsenhormonen, Glitazonen.
Kortison senkt Therapieschwelle
Je nach gemessenem T-Score ist abhängig vom Alter eine osteospezifische Therapie indiziert. Allerdings ist diese bei einer Glukokortikoidtherapie ≥ 7,5 mg Prednisolonäquivalent/Tag während > 3 Monaten bereits ab einem T-Score von ≤ –1,5 indiziert, auch wenn noch keine Frakturen vorliegen (1). Die Patienten befänden sich in diesem Fall noch in einem osteopenischen Bereich, hätten aber trotzdem schon ein erhöhtes Frakturrisiko und müssten deshalb behandelt werden, so Lange. Die Therapieschwelle sinkt weiter bei zusätzlichen Risikofaktoren (z. B . Immobilität, multiple Stürze, Wirbelfrakturen, rheumatoide Arthritis, Zöliakie) im T-Score um je 0,5, jedoch maximal um 2 (1). Das gilt zum Beispiel für rheumatologische Krankheiten, die mit Glukokortikoiden ≥ 7,5 mg/Tag über mehr als 3 Monate therapiert werden. Dazu gehören Kollagenosen, inflammatorische Myopathien, ANCA-assoziierte Vaskulitiden, eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis, Riesenzell- oder Takayasu-Arteriitis, Polymyalgia rheumatica, Still-Syndrom mit schwerem Verlauf und Sarkoidose (1).
Konventionelle Therapie
Die Wahl der osteospezifischen Therapie bei glukokortikoidinduzierter Osteoporose richtet sich nach den prävalenten Frakturen, der langfristigen Kortisongabe und der Vortherapie. Zur Verfügung stehen antiresorptive Substanzen wie Bisphosphonate und der RANKL-Hemmer Denosumab sowie eine osteoanabole Therapie mit Teriparatid (Tabelle). Das Risiko für vertebrale Frakturen kann substanzunabhängig um 50 bis 84 Prozent reduziert werden, wobei Teriparatid gemäss Lange hinsichtlich Reduktion von vertebralen Frakturen wirksamer ist als Alendronat und Risedronat. An die Gefahr eines Reboundphänomens, das bei Therapiestopp von Teriparatid und Denosumab auftreten kann, ist dabei allerdings zu denken. In diesem Fall ist im Nachgang eine zeitlich limitierte antiresorptive Therapie indiziert.
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BERICHT
Tabelle:
Osteospezifische Therapie der GIOP
Substanz Dosis
Alendronat
70 mg/Woche
Risedronat
35 mg/Woche
Zoledronat
5 mg/Jahr
Denosumab
60 mg alle 6 Monate
Raloxifen
60 mg/Tag, nur bei postmeno-
pausalen Frauen
Teriparatid
20 µg/Tag
Romosozumab 210 mg/pro Monat
Eigenschaft antiresorptiv antiresorptiv antiresorptiv antiresorptiv antiresorptiv
osteoanabol osteoanabol
Quelle: mod. nach Prof. U. Lange, Alexander Pfeil, RheumaLive 2022 GIOP: glukokortikoidinduzierte Osteoporose
Frakturrisiko
tief
moderat
hoch
sehr hoch immanent
vertebrale Fraktur Hüftfraktur Jegliche MOF
Lebensstilmassmahmen, Vitamin D ± Kalzium
SERMS orale Bisphosphonate, Teriparatid
Bisphosphonate Denosumab
Zoledronat
Romosozumab Bisphosphonate,
Denosumab
DXA nach 5–10 Jahren DXA nach 2 Jahren
Bisphosphonate (inkl. Zoledronat), Denosumab
SERMS: selektive Östrogenrezeptormodulatoren, MOF: Major-Osteoporosefraktur, gestrichelte Linien: alternativer Therapieweg
Abbildung: Therapieempfehlungen der Schweizerischen Vereinigung gegen die Osteoporose (SVGO) (mod. nach [5])
Bei Patienten mit Niereninsuffizienz oder Kalziumstoffwechselstörungen, schwangeren oder stillenden Frauen seien diese Therapien jedoch kontraindiziert, rief Lange in Erinnerung.
Neue Option etabliert sich
Vor einiger Zeit ist Romosozumab als weitere Option zur Osteoporosetherapie dazugekommen. Romosozumab ist ein gegen das Sklerosin gerichteter Antikörper, was zur vermehrten Knochenbildung und zur verminderten Knochenresorption führe, wie PD Dr. Alexander Pfeil, Rheumatologie und Osteologie, Universitätsklinikum Jena (D), berichtete. Es erhöht die trabekuläre und kortikale Knochenmasse und verbessert die Knochenstruktur und -stärke. Im Vergleich zu Alendronat und Teriparatid zeigte sich in der Phase-II-Studie bei postmenopausalen Frauen unter einer Dosis von 210 mg/ Monat über 12 Monate eine signifikant stärkere Zunahme der Knochendichte im lumbalen Wirbel, Hüftknochen und Femurhals (3). In einer weiteren Studie konnte eine im Vergleich zu Denosumab und Plazebo grössere Reduktion der Inzidenz vertebraler Frakturen nach 12 Monaten beobachtet werden (4).
Womit beginnen?
Gemäss DVO (2) können Bisphosphonate 3 bis 5 Jahre ge-
geben werden, nach Beendigung beziehungsweise einer The-
rapiepause ist keine Folgetherapie notwendig. Grund dafür
ist die längerfristige Einlagerung der Bisphophonate in den
Knochen, die über die Therapiedauer hinaus anhält. Bei der
Therapie mit Denosumab besteht keine zeitliche Limitierung,
doch im Fall einer Beendigung ist eine Anschlusstherapie
nach 6 Monaten (z. B. mit Zoledronat 5 mg) notwendig.
Ohne das ist mit einem sofort ansteigenden Frakturrisiko zu
rechnen. Raloxifen kann bis zu 8 Jahre lang eingesetzt wer-
den, eine Folgetherapie ist nicht notwendig. Die osteoana-
bolen Substanzen seien für eine Therapiedauer von 1 bezie-
hungsweise 2 Jahren (Romosozumab bzw. Teriparatid) zu-
gelassen, direkt danach sollte eine antiresorptive Therapie
anschliessen, um die erreichte Knochendichte erhalten zu
können, so Pfeil.
Mit diesen Optionen stellt sich jedoch die Frage, ob die The-
rapie mit einer osteoanabolen oder einer antiresorptiven
Substanz begonnen werden soll. Beide osteoanabolen Thera-
pien sind nur bei beschränkten Patientengruppen zugelassen:
Teriparatid bei postmenopausalen Frauen und bei Männern
mit primärer oder hypogonadaler Osteoporose sowie bei
Erwachsenen mit glukokortikoidbedingter Osteoporose,
Romosozumab bei postmenopausalen Frauen mit schwerer
Osteoporose während 12 Monaten.
In den Empfehlungen der Schweizerischen Vereinigung gegen
die Osteoporose (SVGO) wird die Reihenfolge der Therapie
vom Frakturrisiko abhängig gemacht. Bei hohem bis sehr
hohem Risiko, das mit dem FRAX-Rechner kalkuliert wird,
kann je nach Lokalisierung und Schwere der Frakturen be-
reits mit einer osteoanabolen Therapie begonnen werden
(Abbildung) (5).
Bei einem Vergleich der Knochendichtezunahme der ver-
schiedenen Sequenzen fällt der Zuwachs nach 24 Monaten
bei Beginn mit Romosozumab, gefolgt von Denosumab oder
Alendronat, am höchsten aus (6). Bei Hochrisikopatienten
empfiehlt sich daher gemäss Pfeil die hinsichtlich Wirksam-
keit bevorzugte Sequenztherapie in der Reihenfolge Romoso-
zumab/Denosumab/Bisphosphonate oder Romosozumab/
Bisphosphonate. Bei vorliegenden Wirbelkörperfrakturen
biete sich die Sequenz Teriparatid/Denosumab/Bisphospho-
nat oder Teriparatid/Bisphosphonat an, so Pfeil. Welche
Sequenz letztlich zur Anwendung kommt, muss mit dem
Patienten zusammen abgestimmt werden.
s
Valérie Herzog
Quelle: «RheumaLive». Osteoporose & Rheuma, 13. September 2022, virtuell.
Referenzen: 1. Oelzner P et al.: Glukokortikoid-induzierte Osteoporose – Fokus Thera-
pie (Teil 1). Z Rheumatol. 2022 Feb;81(1):57-66. 2. DVO-Leitlnie 2017 3. McClung MR et al.: Romosozumab in postmenopausal women with low
bone mineral density. N Engl J Med. 2014;370(5):412-420. 4. Cosman F et al.: Romosozumab treatment in postmenopausal women
with osteoporosis. N Engl J Med. 2016;375(16):1532-1543. 5. Ferrari S et al.: 2020 recommendations for osteoporosis treatment ac-
cording to fracture risk from the Swiss Association against Osteoporosis (SVGO). Swiss Med Wkly. 2020;150:w20352. 6. Cosman F et al.: Romosozumab and antiresorptive treatment: the importance of treatment sequence. Osteoporos Int. 2022;33(6):1243-1256.
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