Transkript
BERICHT
Hypertonie
So klappt das Blutdruckmessen daheim
«Blutdruck messen? Nichts einfacher als das!», scheinen viele zu denken. Tatsächlich kann bei der Blutdruckmessung aber viel schiefgehen, sowohl im Spital oder in der Praxis als auch zu Hause. Worauf man beim Messen achten muss, erläuterte Dr. med. Thilo Burkard an der medArt in Basel. Darüber hinaus beantwortete er die nach wie vor oft gestellte Frage, welche Blutdrucksenker man bei welchen Patienten zu welchem Zeitpunkt geben sollte.
Hypertoniepatienten sollten ihren Blutdruck regelmässig zu Hause messen, und dasselbe gelte für Personen mit hoch normalen Blutdruckwerten und zusätzlichen Risikofaktoren, sagte Dr. med. Thilo Burkard, Kaderarzt Kardiologie und Leiter der interdisziplinären Hypertoniesprechstunde am Universitätsspital Basel. Allerdings kann bei der Blutdruckmessung zu Hause – und nicht nur dort – einiges schiefgehen. So ergab eine US-amerikanische Studie (1), dass 95 Prozent der Blutdruckmessungen im Spital nicht lege artis durchgeführt wurden. Mit Abstand der häufigste Fehler (96%) war, dass der Blutdruck nur mit einer einzigen Messung ermittelt wurde. Weitere Fehlerquellen waren, dass sich der Arm mit der Manschette nicht auf Herzhöhe befand (69%), dass man sich während der Blutdruckmessung mit dem Patienten unterhielt (41%), dass man simultan andere Messungen durchführte (Temperaturmessung im Ohr [58%], Pulsoximeter [82%]), dass der Patient in halb sitzender oder liegender Position war (39%) oder dass die falsche Manschettengrösse (36%) gewählt wurde. Man darf wohl davon ausgehen, dass derartige Fehler nicht nur in US-Spitälern, sondern auch hierzulande und nicht zuletzt bei den Selbstmessungen zu Hause gemacht werden.
Standardisiertes Messprotokoll zu Hause
Der Hypertoniegrenzwert für Messungen zu Hause beträgt ≥ 135/85 mmHg. Um valide Daten mit diagnostischer Relevanz zu erhalten, brauche es ein standardisiertes Messprotokoll, betonte der Referent. Es muss an mindestens 5 bis 7 Tagen jeweils zu einer ähnlichen Zeit am Morgen und am Abend gemessen werden, und zwar mindestens 2-mal im Abstand von 1 Minute. Es empfiehlt sich, 3-mal zu messen und jeweils die Ergebnisse der beiden letzten Messungen zu notieren (2). Zuvor muss der Patient mindestens 5 Minuten ruhig sitzen, ohne Gespräche, ohne TV und ohne Smartphone-/Tabletgebrauch. Auch beim Messen wird auf jegliche Ablenkung verzichtet. Der Patient muss gerade sitzen, den Rücken angelehnt, mit den Füssen flach auf dem Boden. Die Beine dürfen nicht gekreuzt sein. Der nackte Oberarm, an dem gemessen wird, muss auf einer Unterlage (z. B. Tisch, Kissen) in Herzhöhe aufliegen.
Gemessen wird prinzipiell vor dem Essen, vor Medikamenteneinnahmen und vor dem Sport. In den 30 Minuten vor der Messung sind Kaffee, Tee, andere koffeinhaltige Getränke und das Rauchen verboten. Zudem sollte man nicht messen, wenn man sich gerade gestresst fühlt oder Schmerzen hat. In einer Tabelle werden Datum und Uhrzeit sowie die Werte der (jeweils letzten) beiden Messungen notiert, und aus diesen wird der Durchschnitt errechnet (vom Patienten selbst oder bei der Konsultation in der Praxis). Aus allen Durchschnittswerten der 5- bis 7-tägigen Messperiode wird am Ende ein Gesamtdurchschnittswert ermittelt. Am Universitätsspital Basel hat man für die Patienten einen Flyer mit einer Anleitung zur korrekten Messung und einer Tabelle zum Notieren der Werte gestaltet, den Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis beim Referenten per E-Mail anfordern können. Damit funktioniere die Heimmessung nach etwas Schulung recht gut, sagte Burkard. Vielen Patienten sei dieses standardisierte Vorgehen allerdings zu aufwendig, sodass sie dann doch lieber gleich eine 24-Stunden-Blutdruckmessung wünschten, fügte er hinzu.
Zertifizierte Messgeräte verwenden
Wichtig ist in jedem Fall, dass nur validierte Blutdruckmessgeräte eingesetzt werden. Nur 8 Prozent der auf dem Markt befindlichen Geräte erfüllten diese Voraussetzung, heisst es auf der Homepage von Stride BP, einer europäischen Initiative, die mit mehreren internationalen Hypertoniegesellschaften zusammenarbeitet (3). Diese und andere Organisationen führen Listen mit validierten Blutdruckmessgeräten (s. Links). Für den klinischen Gebrauch sogenannter Wearables, das heisst die Smartphone- oder Smartwatch-gestützte Messung des Blutdrucks, sei es noch zu früh, sagte Burkard: «Sicherlich sind sie Versprechen für die Zukunft, aber es ist im Moment noch nicht so, dass wir allein darauf unsere Therapie stützen sollten.» Es sei noch nicht klar, wie gut diese Gadgets wirklich funktionierten. In einem 2021 publizierten Konsensus der European Society of Hypertension heisst es, dass diese Geräte zwar vielversprechend seien, aber noch grundlegende Fragen in Bezug auf deren Genauigkeit, Performance und Implementation geklärt wer-
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Links
Guideline der European Society of Hypertension 2021 European Society of Hypertension practice guidelines for office and out-of-office blood pressure measurement https://www.eshonline.org/guidelines/blood-pressure-monitoring/
Übersetzungen: Deutsch: https://www.rosenfluh.ch/qr/blutdruckmessung_d
Französisch: https://www.rosenfluh.ch/qr/blutdruckmessung_f
Italienisch: https://www.rosenfluh.ch/qr/blutdruckmessung_i
Aktuelle Listen validierter Blutdruckmessgeräte Stride BP Datenbank zur Onlinesuche: https://stridebp.org/bp-monitors
PDF-Liste: https://www.rosenfluh.ch/qr/messgeraete_stridebp
Medaval Datenbank zur Onlinesuche: www.medaval.ie
Deutsche Hochdruckliga Zertifizierte Blutdruckmessgeräte mit dem Prüfsiegel der Deutschen Hochdruckliga e.V. https://www.hochdruckliga.de/betroffene/blutdruckmessgeraete
PDF-Liste zum Download: https://www.rosenfluh.ch/qr/messgeraete_d
den müssten, bevor man sie für den klinischen Gebrauch empfehlen könne (2).
Blutdrucksenker von Anfang an kombinieren
Es gebe zwar ein einfaches Schema und gute Medikamente zur Blutdruckkontrolle, aber in der Hypertoniesprechstunde erlebe er es immer wieder, dass die Patienten doch recht «zusammengeschusterte» Therapieschemen hätten, sagte Burkard. An den grundsätzlichen Empfehlungen zur medikamentösen Therapie für Patienten mit arterieller Hypertonie hat sich seit 2018 nichts geändert (4). Von Anfang an sollte man 2 Substanzen kombinieren, und zwar in einer Kombinationstablette. Für die Kombination spricht nicht nur die bes-
sere Compliance, weil nur eine einzige Tablette geschluckt werden muss. Die Kombination senke die Nebenwirkungsrate, weil jede Substanz in der Kombination meist niedriger dosiert sei als das entsprechende Monopräparat, sagte der Referent. Man müsse sich vergegenwärtigen, dass die Verdoppelung einer Dosis in der Monotherapie nur eine Verbesserung um rund 20 Prozent bringe, aber mit deutlich mehr Nebenwirkungen verbunden sei. Kombiniere man hingegen 2 niedrig dosierte Substanzen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen, verdoppele man die Wirkung durch deren additiven Effekt, ohne gleichzeitig die Nebenwirkungsrate zu erhöhen. Empfohlen wird folgendes Vorgehen (4): Stufe 1: Kombinationspräparat mit 2 Substanzen: 1. Substanz: ACE-Hemmer oder Sartan 2. Substanz: Kalziumantagonist oder Diuretikum Monotherapie nur für Patienten mit niedrigem
Risiko und Grad-I-Hypertonie (< 150 mmHg systolisch) oder für Betagte (> 80 Jahre) oder gebrechliche Patienten Stufe 2: Kombinationspräparat mit 3 Substanzen: 1. Substanz: ACE-Hemmer oder Sartan 2. Substanz: Kalziumantagonist 3. Substanz: Diuretikum Stufe 3: Kombinationspräparat mit 3 Substanzen plus Spironolacton (oder ein anderes Diuretikum beziehungsweise ein Alpha- oder Betablocker).
Mithilfe dieser Strategie sei bei 66 Prozent der Patienten in der ersten Stufe eine gute Blutdruckkontrolle möglich, sagte Burkard. Bei den Patienten in Stufe 2 betrage die Kontrollrate mittels 3er-Kombination rund 80 Prozent, und bei Patienten mit resistenter Hypertonie (Stufe 3) erreiche man mit der zusätzlichen Gabe von Spironolacton eine Kontrollrate von 60 Prozent.
Tipps für die Medikamentengabe
In der Schweiz sind 7 ACE-Hemmer, 8 Sartane, 7 Kalziumantagonisten und 3 Thiazide beziehungsweise thiazidähnliche Medikamente verfügbar (Stand: 18. Mai 2022). Man solle aus den verfügbaren Kombinationspräparaten auswählen, empfahl Burkard. Als mögliche 3er-Kombinationen nannte er Perindopril/Amlodipin/Indapamid (Coveram® plus, Perindopril Amlodipin Indapamid Zentiva®), Olmesartan/ Amlodipin/Hydrochlorthiazid (Sevikar HCT®, Vascord HCT®, Co-Olmesartan Amlo Spirig HC®, OlmesartanAmlodipin-HCT-Mepha Lactab®, Olmesartan Amlodipin HCT Zentiva®) und Valsartan/Amlodipin/Hydrochlorthiazid (Exforge HCT®, Amlodipin-Valsartan-HCT-Mepha, Amlodipin Valsartan HCT Sandoz®, Co-Valsartan Amlo Spirig HC®). Zusätzlich erwähnte er als «möglicherweise stärkste Zweierkombination» Azilsartan plus Chlorthalidon (Edarbyclor®). Vor einigen Jahren wurde bekannt, dass mit Hydrochlorthiazid ein erhöhtes Risiko für kutane Malignome einhergehen kann. Auf Nachfrage erläuterte Burkard, dass dieses Risiko erst bei relativ hohen kumulativen Dosen auftrete. Bei jüngeren Patienten beginne er ohnehin eher mit einem RAAS-Inhibitor und einem Kalziumantagonisten. Falls es eine 3er-Kombination brauche, seien die mit der Hypertonie verbundenen
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Risiken vermutlich geringer als das Malignomrisiko durch Hydrochlorthiazid. Man könne aber selbstverständlich auf Indapamid oder Chlorthalidon ausweichen. Eine Hyponatriämie könne bei allen 3 Diuretika auftreten, sodass er seine Patienten immer wieder einmal daraufhin kontrolliere. Bei Spironolacton müsse man an eine mögliche Hyperkaliämie denken. Falls die Nierenfunktion nicht zu sehr eingeschränkt sei, sei eine Dosis von 25 bis 50 mg in Ordnung, aber über 50 mg würde man bei der essenziellen Hypertonie nicht geben, sagte Burkard. Seine Patienten werden nach Beginn der Spironolactongabe sowie jeweils 2 bis 4 Wochen nach einer Dosissteigerung auf Hyperkaliämie getestet. Zu guter Letzt gab der Referent noch ein Statement zu der von manchen propagierten Empfehlung ab, Hypertoniemedikamente abends einzunehmen, weil sie dann besser wirkten (5, 6). Die entsprechende Studie sei zum einen sehr umstritten und zum anderen stelle sich die Frage, ob sich damit möglicherweise die Adhärenz der Patienten verschlechtere. Gemäss der TIME-Studie, die nach der medArt am Jahreskongress der European Association of Cardiology (ESC) im August präsentiert wurde, scheint es in der Tat keine Rolle zu
spielen, ob der Blutdrucksenker bei einer 1-mal täglichen
Gabe morgens oder abends eingenommen wird (siehe Seite
591, «Highlights vom europäischen Kardiologenkongress»
in dieser Ausgabe von ARS MEDICI).
s
Renate Bonifer
Quelle: Dr. med. Thilo Burkard: «State of the art lecture: Arterielle Hypertonie» an der MedArt in Basel, 22. Juni 2022.
Referenzen: 1. Holland M, Lewis PS: An audit and suggested guidelines for in-patient
blood pressure measurement. J Hypertens. 2014;32(11):2166-2170. 2. Stergiou GS et al.: 2021 European Society of Hypertension practice guide-
lines for office and out-of-office blood pressure measurement. J Hypertens. 2021;39(7):1293-1302. 3. https://www.stridebp.org/about-us 4. Williams B et al.: 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension [published correction appears in Eur Heart J. 2019 Feb 1;40(5):475]. Eur Heart J. 2018;39(33):3021-3104. 5. Hermida RC et al.: Bedtime hypertension treatment improves cardiovascular risk reduction: the Hygia Chronotherapy Trial. Eur Heart J. 2020;41(48):4565-4576. 6. https://www.rosenfluh.ch/media/arsmedici/2019/22/HypertonieBlutdrucksenker-vor-dem-Schlafengehen-einnehmen.pdf
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