Transkript
EDITORIAL
Blutdruckmonitoring: Mit oder ohne App?
Neulich ist mir in einem Berner Hotel ein Plakat aufgefallen. Darauf stand, verbunden mit der Aufforderung, möglichst viele schöne Fotos vom Aufenthalt zu posten: «If it wasn’t posted on Social Media – did it really happen?» Und tatsächlich scheint es ja so zu sein, dass viele etwas erst dann wirklich wahrnehmen, wenn es auf dem Display ihres Smartphones aufleuchtet. Auch zahllose Apps im Gesundheitsbereich bauen auf die Faszination der kleinen bunten Bildschirme. Sie sollen beispielsweise die Fitness steigern, die Motivation für einen gesunden Lebensstil fördern oder konkretes Wissen zur Therapie bei bestimmten Erkrankungen vermitteln. Angesichts der Hingabe, mit der viele sich ihrem Smartphone widmen, scheint es in der Tat eine gute Idee zu sein, gesundheitsfördernde Massnahmen auf diesem Weg zu vermitteln. Kürzlich wurde eine in der Schweiz entwickelte Hypertonie-App ausgezeichnet. Sie animiert zum Blutdruckmessen, man protokolliert in der App seine Werte und erhält entsprechende Empfehlungen. Mit Erfolg, denn offenbar sinkt bei den Nutzern der App der systolische Blutdruck (1).
Doch ist der Erfolg des häuslichen Blutdruckmonito-
rings mit App-Unterstützung grösser als ohne? Dieser
Frage ging ein Team in den USA nach (2). Es stattete
2101 Hypertoniker entweder mit einem konventionel-
len Blutdruckmessgerät aus oder mit einem Messge-
rät, das sich via Bluetooth direkt mit einer Hyperto-
nie-Smartphone-App verbindet. Die Probanden, 910
Männer und 1191 Frauen, waren im Durchschnitt
58 Jahre alt, und sie bezeichneten sich selbst als eher
technikaffin. Nach 6 Monaten betrug der Rückgang des
systolischen Blutdrucks im Durchschnitt 10,6 mmHg
in der Gruppe mit dem konventionellen Messgerät und
10,8 mmHg in der Gruppe mit dem Messgerät plus
App. Man sieht es auf den ersten Blick, und die statis-
tische Auswertung bestätigt es: Der Unterschied war
statistisch nicht signifikant.
Wer also sein Blutdruckmonitoring mit einer App kom-
binieren möchte, kann das gern tun – erfolgreicher als
ohne App wird er damit nicht unbedingt sein.
Es kommt auf etwas ganz anderes an, nämlich die kor-
rekte Blutdruckmessung. Dabei kann man erstaunlich
viel falsch machen, was übrigens nicht nur den Laien
zu Hause passiert, sondern ebenso den Fachleuten im
Spital oder in der Praxis. Auch dort werden fundamen-
tale Regeln der Blutdruckmessung nicht immer zuver-
lässig befolgt: So muss man den Blutdruck wirklich
immer mehrfach messen, der Arm mit der Manschette
muss sich tatsächlich auf Herzhöhe befinden, und man
darf sich während der Messung nicht unterhalten – um
nur einige der gängigen Fehler zu nennen. Worauf man
sonst noch achten muss, können Sie auf Seite 594 in
dieser Ausgabe von ARS MEDICI nachlesen.
s
Renate Bonifer
1. Hypertonie-App ausgezeichnet. ARS MEDICI. 2022;112(10):321. 2. Pletcher MJ et al.: Effectiveness of Standard vs Enhanced Self-measure-
ment of Blood Pressure Paired With a Connected Smartphone Application: A Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. 2022;e223355.
ARS MEDICI 20 | 2022
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