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BERICHT
Pulmonale arterielle Hypertonie
An diese Differenzialdiagnose sollten Sie denken
Foto: vh
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Die pulmonale arterielle Hypertonie ist eine seltene Erkrankung. Dennoch sollte man bei unklarer Symptomatik an diese Differenzialdiagnose denken, vor allem bei Hochrisikopatienten. Denn unbehandelt ist die Prognose schlecht. Wer für ein Screening infrage kommt, wie die Behandlung aussieht und welche Neuigkeiten es dazu gibt, wurde an zwei Veranstaltungen erörtert.
Die pulmonale arterielle Hypertonie (PAH) ist
eine Form der pulmonalen Hypertonie (PH), zu
der auch die PH bei Erkrankungen des Her-
zens, der Lunge, aufgrund von Hypoxie, chro-
nischen Thromboembolien oder unklaren,
multifaktoriellen Mechanismen gehören.
Weil die PAH so selten sei, vergingen in der
Regel mehrere Jahre bis zur definitiven Dia-
gnose, erklärte Prof. Otmar Pfister, Herzzen-
Prof. Otmar Pfister
trum, Universitätsspital Basel, am FOMFWebUp. Bei Erstdiagnose befinden sich die
meisten Patienten bereits in einem fortgeschrit-
tenen Krankheitsstadium, was eine Prognose-
verbesserung durch eine Therapie einschränkt.
Die Mortalität der PAH ist hoch, das 3-Jahres-
Überleben liegt bei 60 bis 70 Prozent (1).
Die PAH kann nicht mit einer Blickdiagnose
festgestellt werden, die Symptome sind unspe-
zifisch. Eine erhöhte Vortestwahrscheinlichkeit
liegt bei Belastungsdyspnoe, Abgeschlagenheit,
Dr. Hossein Ghofrani
Schwindel bei Belastung und Synkopen vor. Das Lungenparenchym kann im Röntgentho-
rax jedoch unauffällig sein, ebenso die Spiro-
metrie. Ein auffälliges EKG mit Zeichen einer
Rechtsherzbelastung und ein erhöhtes NT-
proBNP sollten aber Anlass zu einer Echokar-
diografie geben, so Pfister. Ziel dabei ist es, die
Wahrscheinlichkeit für eine PH einzuschätzen,
die anhand der Geschwindigkeit der Trikuspi-
dalinsuffizienz festgelegt wird. Die Druckwerte
an sich sind sekundär, weil sie mit dieser Mess-
methode zu ungenau sind.
Prof. Horst Olschewski
Patienten mit bestimmten Erkrankungen haben
eine höhere Prävalenz für eine PAH (3–15%).
Deshalb sollte bei ihnen ein PAH-Screening (NT-proBNP,
EKG, Echokardiografie) grosszügig durchgeführt werden. Zu
diesen Hochrisikopopulationen gehören Patienten mit Binde-
gewebserkrankungen (z. B. Sklerodermie, Sjögren-Syndrom),
angeborenen Herzerkrankungen, HIV-Patienten sowie Patie-
nen mit portaler Hypertonie wie beispielsweise bei Leberzir-
rhose. Wird eine PAH diagnostiziert, sollten die Patienten an
ein PH-Zentrum überwiesen werden.
Die Therapie der PAH bestehe je nach funktioneller Klasse beziehungsweise Risiko aus einer initialen Mono- oder Kombinationstherapie zur Drucksenkung des Gefässwiderstands, wie Prof. Hossein-Ardeschir Ghofrani, Oberarzt Pneumologie und Intensivmedizin am Universitätsklinikum Giessen und Marburg (D), ausführte. Die weitere Eskalation besteht aus einer Dreifachtherapie. Mögliche Wirkstoffklassen sind dabei Kalziumkanalantagonisten, Prostazyklinderivate (z. B. Iloprost, Treprostinil), Endothelinrezeptorantagonisten (z. B. Ambrisentan, Bosentan), PDE-5-Hemmer (z. B. Tadalafil, Sildenafil) sowie sGC-Stimulatoren (z. B. Riociguat). Die Therapie mit PDE-5-Hemmern ist laut Ghofrani bei PAH etabliert, doch nicht allen Patienten verhilft diese Therapie zu einer Senkung des Risikos. Die REPLACE-Studie mit 224 Patienten konnte zeigen, dass ein Wechsel von einem PDE-5-Hemmer zu Riociguat (2,5 mg 3-mal täglich) nach 24 Wochen doppelt so vielen Patienten (41%) eine klinische Verbesserung bringt, verglichen mit der Weiterführung der PDE-5-Hemmer-Therapie (20%) (p = 0,0007). Zudem verschlechterte sich der Zustand unter Riociguat bei weniger Patienten (1%) als unter dem PDE-5-Hemmer (9%) (2). Damit steht laut Ghofrani eine weitere Behandlungsstrategie für Patienten mit PAH zur Verfügung.
Updates vom amerikanischen Lungenkongress
Gegen das vaskuläre Remodeling bei PAH wurde das Fusionsprotein Sotatercept entwickelt, das sich in klinischer Prüfung befindet und vielversprechende Resultate zeigt. Am Jahreskongress der American Thoracic Society (ATS) wurde eine Extensionsstudie der PULSAR-Studie vorgestellt. Die Wirksubstanz Sotatercept sei ein Activinantagonist und habe in der ursprünglich doppelblind randomisierten Phase-IIStudie nach 24 Wochen unter den Dosierungen von 0,3 und 0,7 mg eine signifikante Abnahme des pulmonalen Gefässwiderstands versus Plazebo bewirkt (3), wie Prof. Horst Olschewski, Leiter der Klinischen Abteilung für Pulmonologie, Medizinische Universität Graz (A), am PneumoLive ausführte. In der Open-Label-Extension-Studie über 2 Jahre, an der fast alle Patienten teilnehmen (92 von 106), zeigten die Patienten aus dem Verumarm anhaltend stabile Werte beim anfänglich erreichten pulmonalen Gefässwiderstand und im 6-Minuten-Gehtest. Die Patienten der ehemaligen
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Plazebogruppe, die ab der Verlängerung Sotatercept erhielten, konnten sich hinsichtlich des pulmonalen Gefässwiderstands und im 6-Minuten-Gehtest steigern (4). In der Verlängerungsphase wurden keine neuen schweren Ereignisse gemeldet, doch kam es zu einem signifikanten Anstieg des Hämoglobinspiegels, was aber gemäss Olschewski nicht weiter stört, da die PAH-Patienten meist etwas anämisch sind. Bei 11 Prozent der Patienten traten jedoch Teleangiektasien auf, einige beendeten deshalb die Studie vorzeitig. Auf die Resultate der Phase-III-Studie, die sich momentan in der Rekrutierungsphase befindet, darf man gespannt sein.
ehemaligen Plazebogruppe nahm sie unter Treprostinil kon-
tinuierlich zu (6). Diese Ergebnisse seien vielversprechend,
aber auch widersprüchlich, so der Kommentar von Horst
Olschewski am PneumoLive. Es brauche wohl noch mehr
Studien dazu.
Scheitern alle medikamentösen Eskalationsstrategien, sollten
laut Olschweski immer Alternativen wie die Intensivierung
der psychosozialen Unterstützung oder ein Therapierückzug
zusammen mit dem Patienten erwogen werden. Das zum Bei-
spiel bei hohem Alter, Komorbiditäten, Demenz, Schmerzen
und Luftnot.
s
Bei interstitieller Lungenerkrankung
Für Patienten mit PH und einer chronischen Lungenerkrankung wie der interstitiellen Lungenerkrankung gab es ebenfalls Neuigkeiten am ATS-Kongress. Im letzten Jahr konnte mit der INCREASE-Studie gezeigt werden, dass eine PH bei Patienten mit einer interstitiellen Lungenerkrankung mit inhaliertem Treprostinil gut behandelt werden kann. Die doppelblind randomisierte Studie wurde mit 326 Patienten durchgeführt und dauerte 16 Wochen, die Patienten erhielten entweder Plazebo oder 12 Atemzüge mit Treprostinil (total 72 µg) 4-mal täglich. Beim primären Endpunkt, der Veränderung im 6-Minuten-Gehtest vom Zeitpunkt 0 bis zur 16. Woche, kamen die Patienten in der Treprostinilgruppe um 31 Meter weiter als unter Plazebo, was signifikant war (5). Ob die verbesserte Leistungsfähigkeit auch länger als 16 Wochen anhält, wurde in einer Open-Label-Extension-Studie (INCREASE OLE) weiterverfolgt, an der 242 Patienten mit der Treprostiniltherapie während eines Jahres teilnahmen. Die Ergebnisse wurden am ATS-Kongress präsentiert. Die ehemalige Verumgruppe konnte die im ersten Studienteil erreichte Distanz während dieser Zeit mehr oder weniger halten, während sich die ehemalige Plazebogruppe unter dem Verum distanzmässig nicht verbessern konnte. Die Vitalkapazität blieb im ehemaligen Verumarm ungefähr stabil, in der
Valérie Herzog
Quellen: «Pulmonale Hypertonie erkennen und behandeln», FOMF-WebUp
13.6.22, virtuell; «PneumoLive post DGP/ATS 2022», 8.6.22, virtuell.
Referenzen: 1. Humbert M et al.: Survival in patients with idiopathic, familial,
and anorexigen-associated pulmonary arterial hypertension in the modern management era. Circulation. 2010;122(2):156-163. 2. Hoeper MM et al.: Switching to riociguat versus maintenance therapy with phosphodiesterase-5 inhibitors in patients with pulmonary arterial hypertension (REPLACE): a multicentre, open-label, randomised controlled trial. Lancet Respir Med. 2021;9(6):573-584. 3. Humbert M et al.: Sotatercept for the treatment of pulmonary arterial hypertension. N Engl J Med. 2021;384(13):1204-1215. 4. Humbert M et al.: PULSAR Open-Label Extension: Long-Term Efficacy and Safety of Sotatercept for the Treatment of Pulmonary Arterial Hypertension (PAH). ATS 2022. https://doi. org/10.1164/ajrccm-conference.2022.205.1_MeetingAbstracts. A2150 5. Waxman A et al.: Inhaled treprostinil in pulmonary hypertension due to interstitial lung disease. N Engl J Med. 2021;384(4):325334. 6. Waxman A et al.: Long-term effects of inhaled treprostinil in patients with pulmonary hypertension due to interstitial lung disease: The INCREASE study open-label extension. ATS 2022. https://doi.org/10.1164/ajrccm-conference.2022.205.1_ MeetingAbstracts.A5671
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