Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Kulturstress ist, wenn sich für die vielen Preise, die Städte und Kantone, private und staatliche Gremien, Banken, Versicherungen, Discounter und Dutzende Stiftungen zu vergeben haben, zu wenige auszeichnungswürdige Künstler finden und die Kulturgelder trotzdem irgendwie unter die Leute gebracht werden müssen (sie dienen ja in der Regel einem Marketingzweck). Wer soll dann die Preise erhalten? Hinz und Kunz? Genau! Immerhin helfen die Steuer- und Stiftungsgelder zumindest Hinz und Kunz, sich auch bei nur durchschnittlicher Begabung künstlerisch selbst zu verwirklichen.
sss
Beim Versuch, einen Ausweg zu finden aus dem Genderzwang, sind wir in einem «Ende»-Zeitalter gelandet. Es gibt keine Forscher mehr, keine Musiker, keine Marktschreier, keine Mörder, es gibt nur noch Forsch«ende», Musizier«ende», Marktschrei«ende» und Mord«ende». Und dazu noch ein paar Verdumm«ende». («Ende» der Durchsage – der Durchsag«ende».)
sss
Mehr als über Social Media sollten wir uns Sorgen machen über Synthetic Media. Synthetic Media werden in Zukunft dank künstlicher Intelligenz alles perfekt vortäuschen können. (Können sie jetzt schon, aber meist noch nicht perfekt.) Wirklichkeit und Manipulation, Wahrheit und Lüge werden auch unter Zuhilfenahme bester Technik nicht mehr auseinanderzuhalten sein. Filme, Fotos, Tondokumente – von Politikerreden bis zu Kriegsverbrechen – alles kann und wird gefaked werden. Sogar historische Dokumente lassen sich nachträglich verändern. Nur: Wenn von jedem echten Video behauptet werden kann, es sei manipuliert, und jeder Fake daherkommt wie die
reine Wahrheit, was passiert mit der Wirklichkeit? Gibt es sie dann überhaupt noch? Was wohl Immanuel Kant dazu meinte? Bestimmt wird sein Hologramm in der Universitätsbibliothek es uns dereinst in echtem Königsberger Deutsch sagen können.
sss
Bedenkenswert: In ihrer 1.-August-Rede schlug Frau Steiner, Regierungsrätin ZH, vor, die Kuh zum neuen Symboltier der Schweiz zu machen.Wegen ihrer Bescheidenheit und der Natur, die sie verkörpert. Tatsächlich findet sich dieses sympathische Vieh trotz der weiten Verbreitung und seiner grossen Bedeutung auf keinem Kantonswappen. Dabei: Die Kuh ernährt uns – ihr und unser Leben lang. Ohne Aufhebens und Wichtigtuerei. Anders als die grossspurigen Löwen, aggressiven Adler oder eitlen Gockel auf den Wappen benachbarter Länder. Kühe verteidigen ihr Territorium und ihre Familie gegen ungebetene Eindringlinge, aber sie erobern nicht. So wie wir Schweizer uns selbst sehen. Sie lieben die Weite, die Weiden, aber leben notfalls friedlich im Stall zusammen. Kaum ein Tier wird stärker unterschätzt, nur weil es mit wenig zufrieden ist und seine Klugheit hinter Unaufgeregtheit versteckt. «Kuhschweizer» schimpften die österreichischen Adligen die Eidgenossen im Spätmittelalter. Was für ein Kompliment! (Das Einzige, worum man dann aber bitten möchte: mehr Wertschätzung für diese Tiere in der Landwirtschaft!)
sss
Ein alter Fussballfreund behauptet seit Langem und immer wieder, zuletzt wieder bei der Fussball-EM, Frauenfussball lebe vom Charme der Unvollkommenheit. Das müsse genügen. Dass die TV-Stationen von Deutschland und der
Schweiz den Anschein zu erwecken versuchten und sich so benähmen, als ob die Zuschauer den Fussball der Frauen für ebenso attraktiv hielten wie jenen der Männer, sei zwar höflich und selbstverständlich politisch korrekt, aber natürlich Quatsch. Die Schweizer Männer-Nati habe der Frauen-Nati nämlich einiges voraus: vor allem den Charme der Selbstüberschätzung.
sss
Gibt es irgendetwas, das wir uns nicht angeeignet haben? Ist eine Welt ohne «kulturelle Aneignung» vorstellbar? Rhetorische Frage! Alles, was wir tun, sagen, trinken, anpflanzen, essen, wie wir aussehen, was uns an Musik, Literatur oder bildender Kunst gefällt, was wir lernen und ausüben – es basiert auf «kultureller Aneignung». Kulturelle Aneignung (mit Respekt vor anderen Kulturen) ist der Kitt, der die Menschen zusammenhält. Wir sollten uns das kulturfeindliche Unwohlsein einiger Verirrter nicht aneignen. (Als George Harrison und Ravi Shankar zusammen Sitar spielten – wer eignete sich von wem etwas an? Jeder vom anderen, ist zu vermuten. Und das war gut so!)
sss
Ein – natürlich – anglophiler Freund klärt ziemlich belustigt über Mentalitätsunterschiede auf: In England beginnen viele witzige Anekdoten mit dem Satz «Walks a man to the bar …». In Deutschland fangen Witze nicht selten an mit «Kommt eine Frau zum Arzt …».
sss
Und das meint Walti: Wir sagen Nein zu Zecken.
Richard Altorfer
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ARS MEDICI 17 | 2022