Transkript
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Gastroösophageale Refluxkrankheit
Management einer häufigen Erkrankung
Die gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) gehört zu den häufigsten Beschwerden bei Patienten in der Hausarztpraxis. Protonenpumpenhemmer (PPI) sind die erste Wahl, aber auch nicht medikamentöse Massnahmen haben weiterhin einen hohen Stellenwert. In den neuen Guidelines des American College of Gastroenterology findet sich neben bewährten Strategien eine Reihe von Neuerungen, vor allem in Bezug auf extraösophageale Manifestationen der GERD, auf die refraktäre GERD sowie auf chirurgische Eingriffe. Auch auf Sicherheitsfragen bezüglich der PPI wird eingegangen.
Die Autoren der Guideline definieren GERD als endoskopisch sichtbare charakteristische Schleimhautschäden und/oder eine abnorme Säureexposition des Ösophagus, die im Refluxmonitoring (pH-Metrie) nachweisbar ist.
7 Tage zuvor abgesetzt wurden. Bei eindeutigen endoskopischen Befunden (Refluxösophagitis der Los-Angeles-[LA-] Grade C oder D, Barrett-Ösophagus) ist das Refluxmonitoring lediglich zum Zweck der Diagnosesicherung überflüssig.
Diagnose und probatorische Therapie
Falls typische GERD-Symptome (Sodbrennen, Regurgitation), aber keine Alarmsymptome vorliegen, kann auch ohne Endoskopie für 8 Wochen ein Protonenpumpenhemmer (PPI) versucht werden. Als Alarmsymptome gelten Brustschmerz, Dysphagie, Gewichtsverlust und der Verdacht auf gastrointestinale Blutungen. Verschwinden die Beschwerden durch die probatorische Therapie, darf man davon ausgehen, dass es sich um GERD handelte. Der PPI sollte nach dem Rückgang der Symptome wieder abgesetzt werden. Wenn die probatorische Therapie keine Besserung bringt, ist eine Endoskopie indiziert. Zuvor müssen die PPI für mindestens 2 bis 4 Wochen abgesetzt werden. Bei Patienten mit Alarmsymptomen sowie für Patienten mit mehreren Risikofaktoren für einen Barett-Ösophagus (z. B. Rauchen, Alkoholkonsum, Übergewicht, höheres Alter) wird die Endoskopie als erste diagnostische Massnahme empfohlen. Eine Ausnahme sind Patienten mit Brustschmerz, bei denen zuerst kardiale Ursachen ausgeschlossen werden müssen. Falls eine GERD vermutet wird, die Diagnose aber trotz Endoskopie nicht eindeutig zu sein scheint, empfehlen die Guideline-Autoren zur Sicherung der Diagnose dringend ein Refluxmonitoring «off therapy», das heisst, dass allfällige PPI
Steckbrief
Wer hat die Guideline erstellt? American College of Gastroenterology (ACG)
Wann wurde sie aktualisiert? 2021
Für welche Patienten? Patienten mit gastroösophagealer Refluxkrankheit (GERD)
Was ist neu? ▲ Empfehlungen zum Langzeitgebrauch von PPI ▲ Empfehlungen für Patienten mit refraktärer GERD ▲ Empfehlungen zu extraösophagealen Symptomen bei GERD ▲ Impfungen für Tumorpatienten ▲ Empfehlungen zu chirurgischen und endoskopischen Therapien
Nicht medikamentöse Massnahmen
Die bekannten nicht medikamentösen Massnahmen werden weiterhin empfohlen: Übergewicht reduzieren, 2 bis 3 Stunden vor dem Schlafengehen nichts mehr essen, mit erhöhtem Oberkörper und bei Seitenlage auf der rechten Seite schlafen. Auf Nahrungsmittel, die sich als Auslöser von Reflux erwiesen haben, sollte man möglichst verzichten, ebenso auf das Rauchen.
Protonenpumpenhemmer
PPI sind erste Wahl, sowohl für die Akut- als auch für die Erhaltungstherapie. Obwohl sich die verfügbaren PPI hinsichtlich ihres säuresenkenden Potenzials unterscheiden, gibt es keine klinisch relevanten Unterschiede in ihrer Wirksamkeit bei GERD. Weil die PPI-Wirkung mit der Einnahmedauer nicht linear ansteigt, sollten die Patienten darauf aufmerksam gemacht werden, dass es etwas dauern kann, bis eine spürbare Wirkung eintritt. Man sollte PPI 30 bis 60 Minuten vor einer Mahlzeit einnehmen. Grund für diese Empfehlung ist die Tatsache, dass PPI nur aktive Protonenpumpen blockieren können. Weil Mahlzeiten die Aktivität der Protonenpumpen im Magen steigern, können PPI den pH-Wert im Magen am besten beeinflussen, wenn sie einige Zeit vor der grössten Mahlzeit am Tag eingenommen werden. Falls unter einem PPI Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, abdominale Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Obstipation oder Flatulenz auftreten, rät man, zu einem anderen PPI zu wechseln. Eine Erhaltungstherapie mit PPI wird für Patienten mit GERD-Komplikationen empfohlen. Dazu gehören eine schwere erosive Ösophagitis (LA-Grad C oder D) und der Barrett-Ösophagus. Bei Patienten ohne erosive Ösophagitis (NERD) sollten PPI hingegen nach dem Eintritt des therapeutischen Erfolgs wieder abgesetzt werden. Bei NERD-Patienten oder bei Patienten mit unkomplizierter GERD kann eine Bedarfsmedikation mit PPI erfolgreich sein. Als weitere Option, besonders für NERD-Patienten, nennen die Guideline-Autoren die Gabe eines H2-Rezeptor-Antagonisten (diese Medikamente sind in der Schweiz nicht mehr
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ACG Clinical Guideline for the Diagnosis and Management of Gastroesophageal Reflux Disease https://www.rosenfluh.ch/qr/reflux
im Handel). Generell empfehlen die Guideline-Autoren für NERD-Patienten eine intermittierende oder bedarfsgesteuerte Therapie mit PPI.
Riskante PPI-Langzeittherapie?
Für jegliche PPI-Therapie gilt, dass sie in der niedrigstmöglichen Dosis erfolgen soll. In den letzten Jahren wurde eine Reihe potenzieller Nebenwirkungen der PPI-Langzeittherapie postuliert. Dazu gehören intestinale Infektionen, Lungenentzündung, Magenkrebs, osteoporotische Frakturen, chronische Nierenerkrankungen, Mangel an bestimmen Vitaminen und Mineralien, Herzinfarkt, Schlaganfall, Demenz und vorzeitiger Tod. Die Autoren der Guideline betonen, dass die einschlägigen Studien erhebliche Schwächen aufwiesen und keine Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen dem Langzeitgebrauch von PPI und den genannten Phänomenen belegten. In qualitativ hochwertigen Studien hätte man hingegen keine Erhöhung der genannten Risiken finden können – mit Ausnahme des in der Tat erhöhten Risikos für intestinale Infektionen. Entsprechend wird auch nicht empfohlen, dass anderweitig gesunde Refluxpatienten ihre Kalzium- und Vitamin-D-Zufuhr steigern oder die Knochendichte routinemässig überprüfen lassen.
Andere Medikamente
Antazida, wie zum Beispiel Alginate, sind für die Linderung von Symptomen bei Bedarf geeignet. Das Prokinetikum Metoclopramid wird bei GERD nicht empfohlen. Darüber hinaus gehen die Autoren der US-amerikanischen Guideline auf Medikamente ein, die in der Schweiz nicht mehr im Handel oder «off-label» bei GERD sind. Dazu gehören H2-Rezeptor-Antagonisten als Option für Patienten, die trotz PPI insbesondere in der Nacht unter Refluxproblemen leiden (H2-Rezeptor-Antagonist zusätzlich vor dem Schlafengehen), Sucralfat als Schleimhautschutz bei Reflux in der Schwangerschaft und Baclofen, dass (off-label) versucht werden könne, wenn trotz optimaler PPI-Therapie weiterhin ein symptomatischer Reflux bei GERD-Patienten bestehe.
Extraösophageale Symptome
Chronischer Husten, Dysphonie, Asthma, Sinusitis, Laryngitis und Zahnerosion werden mit GERD in Verbindung gebracht. Sie sind aber nicht spezifisch für GERD, und es muss in jedem Fall zunächst sorgfältig nach anderen möglichen Ursachen bei diesen Symptome gesucht werden. Ein positiver Endoskopiebefund bedeutet nicht, dass derartige Symptome Folgen der GERD sind. Ebenso wenig beweisen die genannten extraösophagealen Symptome eine GERD bei Patienten ohne typische GERD-Symptome, wobei in diesem Fall vor der Gabe von PPI eine pH-Metrie empfohlen wird. Falls jedoch beides vorliegt, extraösophageale Symptome und typische GERD-Symptome, ist eine probatorische PPI-Therapie möglich (8 bis 12 Wochen, 2-mal täglich PPI).
Refraktäre GERD
Als therapierefraktäre GERD bezeichnet man anhaltende Symptome trotz einer 8- bis 12-wöchigen Therapie mit 2-mal taglich PPI. Für das weitere Vorgehen unterscheidet man 2 Patientengruppen. Bei der ersten Gruppe handelt es sich um empirisch mit PPI behandelte Patienten, bei denen noch keine vollständige GERD-Diagnostik erfolgt ist. Bei ihnen sollte man zunächst die PPI-Therapie optimieren: Wie sieht es mit der Compliance aus, und wird der PPI zum richtigen Zeitpunkt, also 30 bis 60 Minuten vor der Mahlzeit, genommen? Einen Versuch mit einem anderen PPI sollte man höchstens 1-mal durchführen. Führt das nicht zum Erfolg, ist eine Endoskopie von Ösophagus, Magen und Duodenum indiziert, wobei die PPI 2 bis 4 Wochen zuvor abgesetzt werden müssen. Finden sich dann Anzeichen einer erosiven Ösophagitis (LA-Grade B, C, D) oder ein Barrett-Ösophagus > 3 cm ist die GERDDiagnose bestätigt. Falls die Untersuchung ohne Befund ist, soll ein Refluxmonitoring erfolgen, ebenfalls unter PPI-Karenz. Bleiben beide Abklärungen ohne Befund, ist wahrscheinlich eine andere Erkrankung die Ursache der Beschwerden. Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um Patienten mit bereits diagnostizierter GERD. Auch bei ihnen wird zunächst eine Optimierung der PPI-Therapie versucht (2 bis 4 Wochen). Führt das nicht zum Erfolg, richtet sich das weitere Vorgehen nach den dominierenden Symptomen. Falls die Regurgitation im Vordergrund steht und ein abnormer gastroösophagealer Reflux nachgewiesen wurde, können spezielle Verfahren wie die «magnetic sphincter augmentation» (MAS) oder die transorale Fundoplikatio in Erwägung gezogen werden. Ausserdem wird eine pH-Metrie mit Impedanzmessung empfohlen, um die Diagnose GERD zu bestätigen. Ist das der Fall, kommen chirurgische beziehungsweise endoskopische Massnahmen oder eine Steigerung der medikamentösen Therapie infrage. Andernfalls muss man nach der eigentlichen Ursache der Beschwerden suchen: «Es ist wichtig, die PPI-Therapie bei Patienten abzusetzen, bei denen der Refluxtest nach der Therapie negativ ausfällt», betonen die Guideline-Autoren.
Invasive Eingriffe
Antirefluxoperationen kommen generell nur dann infrage,
wenn die Diagnose GERD zweifelsfrei feststeht. Von einer
Antirefluxoperation profitieren wahrscheinlich vor allem
Patienten, die unter einer schweren Refluxösophagitis (LA-
Grad C oder D), grossen Hiatushernien und/oder belastenden
GERD-Symptomen leiden.
Vor jeglichem operativen oder endoskopischen Eingriff muss
eine Manometrie (high resolution manometry, HRM) erfol-
gen, um Achalasie und fehlende Kontraktilität auszuschlies-
sen. Bei Patienten mit mangelnder Ösophagusmotilität sollte
die HRM einen Provokationstest enthalten (z. B. mehrere
rasche Schlucke hintereinander).
Generell empfehlen die Autoren eine gewisse Zurückhaltung
für die Einleitung invasiver Eingriffe, wenn andere PPI-
refraktäre Symptome im Vordergrund stehen als die Regurgi-
tation.
s
Renate Bonifer
Quelle: Katz PO et al.: ACG Clinical Guideline for the Diagnosis and Management of Gastroesophageal Reflux Disease. Am J Gastroenterol. 2022;117(1):27-56.
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