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STUDIE REFERIERT
Therapie bei nicht malignombedingten Schmerzen
Auf analgetikainduzierte Obstipation achten!
In einer grossen Registerstudie zur Behandlung chronischer, nicht krebsbedingter Schmerzzustände waren primär starke Opioide Verursacher einer chronischen Obstipation, aber auch andere Substanzen, vor allem wenn sie in Polymedikation verschrieben wurden. Die analgetikainduzierte Obstipation hat signifikante Auswirkungen auf den Schmerzstatus, die Funktionsfähigkeit und die Lebensqualität. Laxanzien können ihrerseits die Schmerzwahrnehmung negativ beeinflussen.
Current Medical Research and Opinion
Bei medikamenteninduzierter Obstipation steht meist die Beeinträchtigung der Darmfunktion durch Opioide im Fokus. Diese Nebenwirkung kann jedoch in der Schmerztherapie auch beim Einsatz anderer Substanzklassen, beispielsweise bei nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR), Antidepressiva oder Antiepileptika, problematisch werden. Patienten mit nicht durch ein Malignom verursachten chronischen Schmerzen erfahren oft eine Polypharmazie, welche die Prävalenz von Obstipation und deren psychosoziale Auswirkungen erhöht.
Rund ein Drittel betroffen
Dieser Frage ging eine nicht interventionelle, retrospektive Querschnittuntersuchung von anonymisierten Daten von 150 488 Patienten mit nicht durch Malignome bedingten chronischen Schmerzen aus dem deutschen Schmerzregister (German Pain e-Registry [GPeR]) nach. Voraussetzungen für den Eingang in die Studie waren die medizinische bestätigte Diagnose des nicht krebsbedingten Schmerzes, die Teilnahme am GPeR zwischen 2015 und 2020, die Dokumentation des multidimensionalen deutschen Schmerzfragebogens zur Information über Schmerzstatus und Analgetikabehandlung sowie eine Erfassung der Darmfunktion mit dem Bowel Function Index (BFI) als validiertem Parameter für eine medikamenteninduzierte Obstipation. Zusätzliche Informationen zum Stadium der Schmerzchronifizierung lieferte das Mainz Pain Staging System (MPSS) und zur Schmerzintensität eine visuelle Analogskala (VAS). Von einer medikamenteninduzierten Obstipation waren 33,5 Prozent der Patienten mit nicht krebsbedingten
chronischen Schmerzen betroffen. Die häufigsten Risikofaktoren waren starke Opioidanalgetika und eine analgetische Polymedikation. Patienten mit einer analgetikainduzierten Obstipation wiesen signifikant schlechtere biopsychosoziale Scores auf. Zudem waren sie zu einem signifikant höheren Prozentsatz von schwerwiegender Verschlechterung der Schmerzen, Beeinträchtigung bei Alltagsaktivitäten sowie der körperlichen und mentalen Lebensqualität und des Allgemeinbefindens betroffen. Unter den Patienten mit analgetikainduzierter Obstipation zeigten diejenigen, welche die Verstopfung als klinisches Symptom deklariert hatten und einen BFI über dem Referenzbereich aufwiesen, eine signifikant ausgeprägtere Beeinträchtigung im Vergleich zu denjenigen Patienten, welche die Verstopfung bloss als Medikamentennebenwirkung rapportiert hatten. 55,9 Prozent der von medikamentös induzierter Obstipation betroffenen Schmerzpatienten nahmen Laxativa ein, mehrheitlich frei verkäufliche Präparate (43,6%), weniger oft rezeptpflichtige (29,3%).
Auslöser meist Opioide und Polymedikation
Diese Studie, welche die bisher weltweit grösste Erfassung zur Häufigkeit von Obstipation und ihrer Beziehung zur analgetischen Therapie in der Alltagssituation bei grossen Patientenzahlen darstellt, bestätigt, dass die analgetikainduzierte Obstipation eine häufige Komorbidität bei chronischen, nicht krebsbedingten Schmerzzuständen ist, mit signifikanten und klinisch relevanten Auswirkungen auf ein grosses Spektrum biopsychosozialer Parameter.
Immerhin ein Drittel der Patienten mit
chronischen Schmerzpen litt unter Obs-
tipation, wofür primär, aber nicht aus-
schliesslich starke Opioidanalgetika
verantwortlich waren. Frauen und äl-
tere Patienten waren häufiger betroffen,
andere demografische Faktoren oder
der Schmerztyp unterschieden sich je-
doch bei Patienten mit oder ohne Ver-
stopfung nicht signifikant.
Diese Studie konnte auch nachweisen,
dass andere Schmerztherapeutika aus-
ser Opioiden die Darmfunktion beein-
trächtigen, vor allem wenn sie in Kom-
bination verschrieben werden. Von
medikamentös induzierter Obstipation
Betroffene berichteten von einer signi-
fikant höheren Einnahme von Laxativa
im Vergleich zu Schmerzpatienten ohne
Obstipation. Diese Medikamente hat-
ten jedoch in Subgruppenanalysen eher
geringen Nutzen bei den obstipations-
bedingten biopsychosozialen Auswir-
kungen. Manche Patienten berichteten
unter Laxativa sogar von einer ver-
stärkten Schmerzsymptomatik. Dies
könnte an einer verstärkten Schmerz-
wahrnehmung, bedingt durch Neben-
wirkungen der Abführmittel wie Blä-
hungen, Völlegefühl, Bauchweh oder
Koliken, liegen. Der heute von Leit-
linien propagierte Laxanzieneinsatz be-
dürfe deshalb weiterer Klärung, schrei-
ben die Autoren.
HB s
Quelle: Ueberall MA et al.: Prevalence of drug-induced constipation and severity of associated biopsychosocial effects in patients with nonmalignant pain: a cross-sectional review of depersonalized data from the German Pain e-Registry. Curr Med Res Opin. 2022;38(1):101-114.
Interessenlage: Die Autoren deklarieren vielfältige Beziehungen zu Pharmafirmen mit Interessen auf dem Gebiet der Schmerztherapie.
ARS MEDICI 12 | 2022
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