Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Es gab eine Zeit vor Corona: Dezember 2019 – erinnern Sie sich? In Finnland wurde die 34-jährige Sanna Marin zur jüngsten Ministerpräsidentin gewählt. Simonetta Sommaruga wurde Bundespräsidentin. Angela Merkel klebte fest am Kanzlersessel. Kurz: Die Welt war in Ordnung oder nahm zumindest ihren normalen Gang. Gut, in Australien gerieten Buschfeuer ausser Kontrolle, in der Schweiz wurde das AKW Mühleberg abgeschaltet, und Roger Federer war nicht mehr der beste Tennisspieler. Aber sonst: «Business as usual». Doch seither: Corona, Corona! Lockdowns und Kurzarbeit, Impfangst und Maskenstreit, Aluhüte und Fake News. Venedig ohne Touristen und Beizen ohne Gäste. Kinder und Eltern im Dauerstress. Und dann, kaum hatte man SARS-CoV-2 einigermassen im Griff, reisst ein (W)Irrer einen völlig überflüssigen Krieg vom Zaun. Eine sture Regierung in China sieht nicht ein, dass Zero-Covid nicht geht – weil das Virus nicht chinesisch denkt, sondern viral. Die Folgen: Gas, Heizöl und Benzin werden teurer, aus China wird nur verzögert geliefert, es fehlt an allem, von Holz auf dem Bau bis zu Ersatzteilen für Fahrräder. Alles wird teurer, auch Nahrungsmittel, es drohen Hungersnöte in Afrika und Arabien. Die Staaten machen Schulden und investieren wie wild in Waffen, ein dritter Weltkrieg mit Atombomben wird wieder denkbar. Unser Geld wird täglich weniger wert. Das 1,5-Grad-Ziel der Klimaschützer wird um Jahrzehnte verfehlt. Strom wird knapp. Ausserdem werden wir Jahr für Jahr ein Jahr älter – auch das noch. Stehen wir nun vor der grossen Katastrophe, ohne genau zu wissen, wie sie aussehen könnte? Oder war die Welt immer schon so, und wir sind bloss hysterisch? Schliesslich gab’s vor weniger als 100 Jahren einen Zweiten Weltkrieg und danach viele weitere kaum weniger üble Kriege und Krisen, Hungersnöte, Tsunamis, Bankencrashes und – Donald Trump. Andererseits: Es gibt niemanden, dem wir heute noch vertrauen könnten. Nicht mal
dem smarten Richard David Precht, Elon Musk oder dem Papst – vom Dalai Lama hört man eh nichts mehr. Wie sagte eine gute Freundin? «Ich schaue fragend meinen Hund an und ahne: Die Welt ist, wie sie immer war. Nur anders.»
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Was sich für Ihre Patienten zu wissen lohnt über Affen und Pocken: 1. Affenpocken werden ganz selten von Affen übertragen, sondern meist von Nagetieren. 2. Mit einer Pandemie rechnet niemand. 3. Pockenimpfungen gibt’s seit über 200 Jahren; Impfung gegen Menschenpocken schützt auch vor Affenpocken. Super für alle vor 1970 Geborenen. 4. Die Hälfte der an Menschenpocken Erkrankten starb; von den Überlebenden war ein Drittel danach durch Narben entstellt, ein Drittel erblindete. Eine üble Krankheit! 5. Impfungen waren Anfang des 19. Jahrhunderts eine kantonale Angelegenheit. In der Schweiz war der Thurgau 1806 (!) der erste Kanton mit einer Pockenimpfpflicht. Chapeau! 6. Impfskeptiker gab’s schon damals: 1881 berichtete die Bülacher Wochenzeitung, Kinder seien bei der Impfung mit Syphilis angesteckt worden – was sich als falsch herausstellte. Wie zu erwarten. 7. 1882 wurde über ein nationales Impfobligatorium gegen Pocken abgestimmt: 80 Prozent der Abstimmenden lehnten es ab, nur der Kanton Neuenburg stimmte dafür. 8. Von 1921 bis 1925 gab es in der Schweiz eine Pockenepidemie – vor allem in jenen Kantonen, die die Impfpflicht wieder aufgehoben hatten. Logisch. 9. Der Bundesrat verfügte 1923 eine Impfpflicht bei Auftreten von Pocken. Ebenfalls 1923 erschien die Broschüre «Pocken-Schutz-Impfung ist Humbug». 10. In der Schweiz gibt es seit 1933 keine Pockentoten mehr; der letzte Pockenfall wurde 1963 gemeldet. Die letzten Pockenimpfungen fanden 1972 statt. 11. Seit 1979 gelten die Pocken als ausgerottet. 12. Und nein, ein Killervirus
namens Affen-Corona wird es nicht geben. Sicher nicht.
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Moderne Impfgegner nutzen die Gelegenheit der Diskussion über Pockenimpfungen und warnen vor tödlichen Impfnebenwirkungen: «ALLE, die sich 1874 gegen Pocken impfen liessen, sind heute tot!» Erschreckend!
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Auch das gibt’s: gute Bekannte, die über die hohen Benzinpreise schimpfen und am nächsten Tag mit dem 3-LiterBenziner ins «Gym» in der Grossstadt fahren, um Gewichte zu stemmen und … Velo zu fahren.
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«Mein Grossvater ritt auf einem Kamel, ich fahre einen Mercedes, und mein Sohn wird einen Range Rover fahren – aber mein Urenkel wird wahrscheinlich wieder auf einem Kamel reiten. Das ist der ewige Kreislauf: Harte Zeiten formen starke Männer, starke Männer schaffen gute Zeiten, gute Zeiten fördern schwache Männer, schwache Männer hinterlassen harte Zeiten. Anders gesagt: Der Wohlstand in unserem Land erzeugt Parasiten, keine Überlebenskämpfer.» (Angeblich ein Zitat von Sheik Rashid, Gründer von Dubai und Vater des aktuellen Herrschers. Vermutlich hat er das nie so gesagt. Aber egal, kreativ gemixed, ist halb philosophiert.)
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Und das meint Walti: Manchmal ist mir mehr nach einer bösen Miene zum guten Spiel zumute als umgekehrt.
Richard Altorfer
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ARS MEDICI 12 | 2022