Transkript
STUDIE REFERIERT
Schwanger trotz Notfallverhütung
Keine postovulatorischen Effekte der «Pille danach»
Gemäss einem systematischen Review gibt es keine Hinweise darauf, dass eine erst nach erfolgter Ovulation angewendete Notfallkontrazeption mit Levonorgestrel die fetale Entwicklung oder nachfolgende Zyklen stört oder das Risiko für Fehl- beziehungsweise Totgeburten erhöht.
Contraception
Das Gestagen Levonorgestrel wird als «Pille danach» zur Notfallverhütung eingesetzt. Das Hormon schützt vor einer unerwünschten Schwangerschaft, indem es den Eisprung inhibiert und dadurch eine Fertilisation verhindert. Die Notfallkontrazeption mit Levonorgestrel wurde in den 1990er-Jahren eingeführt; die Effizienz von Levonorgestrel wurde auf 84 Prozent geschätzt, wenn es innerhalb von 3 Tagen nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr eingenommen wird. Studien belegen, dass unerwünschte Wirkungen der «Pille danach» selten und berichtete Nebenwirkungen eher mild sind. Dennoch sind viele Frauen besorgt über potenzielle Nebenwirkungen von Levonorgestrel, und nicht wenige glauben, dass eine Notfallverhütung zu angeborenen kindlichen Fehlbildungen führt, wenn es dennoch zur Konzeption kommt. Darüber hinaus äusserten in einer Untersuchung 40 Prozent der befragten Frauen Bedenken, dass eine wiederholt durchgeführte Notfallkontrazeption zu Infertilität führen könnte. Eine Publikation wies darauf hin, dass eine Levonorgestrel-Notfallverhütung die Implantation beeinträchtigen könnte, falls die Inhibition des Eisprungs nicht gelingt und es zur Konzeption kommt. Ein Forscherteam untersuchte nun in einer systematischen Übersichtsarbeit den Wirkmechanismus der Levonorgestrel-Notfallkontrazeption und welche Folgen es hat, wenn Levonorgestrel nach bereits erfolgter Ovulation eingenommen wird und es trotz «Pille danach» zu einer Schwangerschaft kommt. Darüber hinaus analysierten
die Wissenschaftler, wie sich die Notfallverhütung mit Levonorgestrel auf die Fertilität in späteren Zyklen auswirkt. Für ihren Review berücksichtigten die Kollegen insgesamt 33 Studien.
Levonorgestrel wirkt nur in engem Zeitfenster
Die Auswertung der Literatur ergab, dass Levonorgestrel im Vergleich zu Plazebo oder zu Kontrollen einen signifikanten inhibitorischen Effekt auf die Ovulation ausübte, wenn es bei einem Follikeldurchmesser von 15 bis 17 mm oder 2 Tage vor dem mittzyklischen Anstieg des luteinisierenden Hormons (LH) genommen wurde. Die Rate der inhibierten oder verzögerten Ovulationen lag in verschiedenen Studien zwischen 71 und 91 Prozent. Wurde Levonorgestrel bei einer Follikelgrösse von ≥ 18 mm eingenommen, gab es im Vergleich zu Plazebo keinen signifikanten Effekt auf den Eisprung. Die Notfallverhütung mit Levonorgestrel wirkt demnach nur in einem umschriebenen Zeitfenster auf die Ovulation. Wird das Hormon direkt nach dem Eisprung eingenommen, hat es wenig bis gar keinen Effekt, und die Konzeptionsraten sind in diesem Fall ähnlich hoch wie nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr. Was ist zu erwarten, wenn Frauen, die eine Levonorgestrel-Notfallkontrazeption angewandt haben, dennoch schwanger werden? Die Implantation der befruchteten Eizelle wird durch die postovulatorische Anwendung der «Pille danach» nicht beeinträchtigt. Die Autoren fanden auch kein erhöhtes Ri-
siko für Fehl- oder Totgeburten, kindliche Fehlbildungen oder Hinweise auf Störungen der fetalen Entwicklung.
Kein Abortivum
Die Notfallverhütung mit Levonorgestrel sei eine sichere Methode, die das Risiko für ungeplante Schwangerschaften reduziere, indem sie den Eisprung inhibiere, fassen die Autoren zusammen. Der vorliegende Review zeige, dass Frauen diese Medikation anwenden könnten, ohne mit unerwünschten Effekten rechnen zu müssen, falls es trotz Levonorgestrelgabe zu einer Schwangerschaft kommen sollte. Befürchtungen, dass es sich bei der «Pille danach» um ein Abortivum handle, seien unbegründet. Zwar gibt es derzeit keine definitive Evidenz zu den Auswirkungen der Levonorgestrel-Notfallverhütung auf die zukünftige Fertilität, doch die Evidenz zu anderen Levonorgestrelkontrazeptiva lässt vermuten, dass nur mit einem minimalen Effekt zu rechnen ist. AW s
Quelle: Endler M et al.: Effect of levonorgestrel emergency contraception on implantation and fertility: a review. Contraception. 2022 Jan 23; pii: S0010-7824(22)00006-3; doi: 10.1016/j.contraception.2022.01.006.
Interessenlage: Die Erstautorin erhielt für die Recherche zu dem vorliegenden systematischen Review ein Honorar von der Foundation Consumer Healthcare. Die beiden Koautoren geben an, Honorare bzw. Forschungsgelder von verschiedenen Firmen bekommen zu haben.
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ARS MEDICI 11 | 2022