Transkript
BERICHT
Häufige Infektionen in der Praxis
Die wichtigsten Antibiotika
Wenn Hausärzte zum Telefon greifen und bei einem Infektiologen um Rat fragen, handelt es sich häufig um Fragestellungen zu Borrelien, Harnwegsinfektionen, Pneumonie, Weichteilinfektionen und zur Antibiotikatherapie, wie Prof. Philip Tarr, Co-Chefarzt Medizinische Universitätsklinik, Leiter Infektiologie und Spitalhygiene, Kantonsspital Baselland, Bruderholz, am FOMF Allgemeine Innere Medizin in Basel, berichtet. Zu diesen Themen hat der Experte ein paar Tipps zusammengestellt.
«Die Wahl des Antibiotikums ist weniger wichtig als die korrekte infektiologische Diagnose. Denn die meisten Antibiotika decken ein breites Spektrum ab. Ein schlechter Verlauf hat oft andere Gründe als eine falsche Wahl des Antibiotikums. Häufig braucht es auch gar keine Antibiotika», gab der Infektiologe allgemein zu bedenken.
Zeckenbiss, was nun?
Nicht jede Hautrötung nach einem Zeckenbiss ist ein Zeichen für eine Borreliose. Ein typisches Zeichen für eine beginnende Borreliose ist ein Erythema migrans, das im Median etwa 7 Tage (mindestens 3 bis maximal 32 Tage) nach dem Zeckenbiss zu sehen ist und in der Regel einen Durchmesser von etwa 5 cm hat. Tritt die Hautrötung mit etwas Sekretion und Juckreiz schon 1 bis 2 Tage nach dem Zeckenbiss auf, handelt es sich um eine allergische Reaktion auf Zeckenspeichelproteine. Die Rötung verschwindet im Gegensatz zum Erythema migrans nach 1 bis 2 Tagen wieder. Obwohl bis zu einem Drittel aller Zecken mit Borrelien infiziert sind – in manchen Gegenden bis zur Hälfte –, ist eine Prophylaxe in der Schweiz nicht empfohlen. Grund dafür seien eine für eine Infektion erforderliche minimale Anhaftzeit der Zecke von 24 bis 36 Stunden (USA: 24 Stunden) und eine sehr tiefe Serokonversion nach Zeckenbiss von 1 bis
KURZ & BÜNDIG
� Die korrekte infektiologische Diagnose ist wichtiger als die Wahl des Antibiotikums.
� Nicht jede Hautrötung nach Zeckenbiss ist Zeichen einer Borreliose.
� Penicillinallergien sind selten.
� Bei einer Penicillinallergie können Cephalosporine gegeben werden, sofern keine anaphylaktoiden Reaktionen aufgetreten sind.
� Bei komplexeren Weichteilinfekten auch an eine Osteomyelitis denken.
5 Prozent, so Tarr. Zudem tritt gemäss einer Schweizer Studie nach Zeckenbiss nur in etwa 0 bis 1 Prozent der Fälle eine klinische Borreliose auf (1). Eine Prophylaxe mit einer Einzeldosis 200 mg Doxycyclin bietet laut einer amerikanischen Studie einen Schutz von 87 Prozent (2). Kommt es dennoch zu einer Borreliose, empfiehlt der Infektiologe, die Klinik zu behandeln und nicht die Antikörper, denn IgM seien oft falsch positiv (ELISA und Western Blot). Sind die IgG-Werte gleichzeitig auch negativ, kann sich das im Zeitverlauf aber noch ändern. Wenn jedoch 6 Wochen nach Symptombeginn kein IgG nachweisbar sei, sei eine Borreliose unwahrscheinlich (3), so Tarr. Borrelienantikörper sollen zudem gemäss den Guidelines der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie (4) nur bei entsprechender Klinik bestimmt werden. Dazu gehören eine Fazialisparese, Arthritis, lymphozytäre Meningitis, Meningoradikulitis sowie ein Verdacht auf Acrodermatitis chronica atrophicans. Bei Symptomen wie Erythema migrans, chronischer Müdigkeit, chronischen Athralgien, Myalgien und spezifischen Beschwerden sollen Borrelienantikörper dagegen nicht gemessen werden. Die Therapie eines Erythema migrans besteht in erster Linie aus Doxycyclin 2 × 100 mg p.o. während 10 Tagen (ausser bei Schwangeren) oder Amoxicillin 2 × 500 mg p.o. für 14 bis 21 Tage. Als 2. Wahl, beispielsweise bei Allergien oder Kontraindikationen, kann Cefuroxim 2 × 500 mg während 14 bis 21 Tagen zum Einsatz kommen (4, 5). Bei einer Fazialisparese beträgt die Behandlungsdauer mit Doxycyclin 14 bis 21 Tage, bei Arthritis 30 bis 60 Tage, im Stadium einer Neuroborreliose kommt Ceftriaxon während 28 Tagen zum Einsatz, so Tarr.
Haut- und Weichteilinfektionen
Über kleine Hautdefekte wie beispielsweise Fusspilze, Rhagaden, Einstiche oder andere lokale Traumata kann sich eine Infektion der Haut entwickeln. Ein Erysipel (engl. Cellulitis) wird meist durch Streptococcus pyogenes und ab und zu durch andere Streptokokken verursacht, selten (10–20%) durch Staphylococcus aureus. Die bakterielle Therapie ist empirisch, viele Hausärzte setzen Amoxicillin-Clavulansäure ein. Bei einer anaphylaktoiden Penicillinallergie kann auf
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Diese Antibiotika sollten in der Hausarztpraxis ausreichen
Oral ▲ Amoxicillin, Amoxicillin-Clavulansäure bei Weichteilinfekten,
Pneumonie, Tonsillitis (evtl.) ▲ Nitrofurantoin, Fosfomycin bei Blasenentzündung (evtl.) ▲ Cotrimoxazol, Ciprofloxazin bei Urosepsis, Pyelonephritis ▲ Clarithromycin bei atypischer Pneumonie ▲ Doxycyclin bei Borrelien- und Chlamydieninfektionen ▲ Bei Penicillinallergie: Clarithromycin bei Pneumonie, Clindamycin +
Ciprofloxazin bei Aspirationspneumonie, Abszess, Katzenbiss, ...
Intravenös ▲ Ceftriaxon bei Pyelonephritis, Urosepsis ▲ Ertapenem bei ESBL-Pyelonephritis/Urosepsis
Quelle: Prof. P. Tarr, FOMF 2022
Clindamycin plus eventuell Ciprofloxacin ausgewichen werden. Während der Therapie soll das Bein hochgelagert werden, da dies laut Literatur einen nachgewiesenen guten Effekt auf die Heilung hat (6). Nach Abklingen der bakteriellen Infektion sollte ein allenfalls vorhandener Fusspilz ebenfalls behandelt werden. Bei nicht heilenden Wunden, insbesondere bei Patienten mit Diabetes, peripherer Neuropathie, peripherer arterieller Verschlusskrankheit oder Flüssigkeitsaustritt aus der Wunde, ist immer auch eine Osteomyelitis in Betracht zu ziehen. Im positiven Fall sollen ein chirurgisches Débridement und anschliessend eine Antibiotikatherapie während mindestens 6 Wochen durchgeführt werden. Antibiotika ohne chirurgische Sanierung können eine Osteomyelitis nicht heilen, so Tarr. Wegen der langen Antibiotikadauer ist eine mikrobiologische Diagnose wichtig. Goldstandard dafür ist die chirurgische Knochenbiopsie.
Pneumonie
Ambulant wird bei einer Pneumonie kein mikrobiologischer Nachweis empfohlen, ausser wenn COVID-19 vermutet wird. In der Therapie wird gemäss den Guidelines Amoxicillin-Clavulansäure bei hospitalisierten Patienten verabreicht, bei ambulanten Patienten reicht Amoxicillin 1 g p.o. alle 8 Stunden während 5 Tagen. Alternativen dazu sind Makrolide oder Quinolone (Levo-/Moxifloxacin) (4, 5).
Wann und wie lang sollen Antibiotika verabreicht werden?
Die frühere Lehrmeinung, wonach bei zu kurzer Antibiotikagabe Resistenzen gefördert werden, ist überholt. Nach heutigen Erkenntnissen gilt: Resistenzen werden durch Selektionsdruck induziert. Dieser erhöht sich mit zunehmender Dauer der Antibiotikagabe. Eine kurze und adäquat dosierte Antibiotikatherapie führt demnach zu weniger Resistenzen als eine unterdosierte Therapie über längere Zeit (8), so Tarr. Die Resistenzlage erfordert aber einen gezielten Einsatz (Kasten). Quinolone beispielsweise sind möglichst zu vermeiden, 20 bis 30 Prozent der E. coli sind dagegen resistent. Ein Ein-
satz von Quinolonen könne zu ausgeprägten Schäden am Mikrobiom führen, so Tarr. Auch das Nebenwirkungspotenzial sei erheblich. Um also die Resistenzlage zu entschärfen, sollen gemäss Guidelines (4, 5) dort, wo es möglich ist, erst antibiotikafreie Therapien versucht werden. Beispiele für Indikationen sind Otitis media, häufige Atemwegsinfekte, Streptokokkenangina, Sinusitis oder unkomplizierte Harnwegsinfekte (4, 5). Dieses Vorgehen ist für die Normalflora schonender. Zudem sind häufige Infektionen oft selbstlimitierend. Antibiotika erhöhen zudem das Rezidivrisiko für Harnwegsinfektionen.
Oral versus intravenös
Je nach Problematik ist eine orale Antibiotikagabe nicht immer ausreichend. Beispiele dafür sind die Endokardits oder eine ESBL-Pyelonephritis (ESBL: extended spectrum betalaktamase). Antibiotika können i.v. in der Hausarztpraxis oder via Spitex verabreicht werden. Dazu gehören s Ceftriaxon 2 g 1 ×/Tag i.v.: z. B. bei Pyelonephritis, Strep-
tokokken, Endokarditis, Neuroborreliose s Ertapenem 1 g 1 ×/Tag (BMI > 35: 1 g 2 ×/Tag) i.v.: z. B.
bei ESBL-produzierenden E. coli oder Klebsiellen s Daptomycin 4–6 (bis 8–10) mg/kg/Tag i.v.: z. B. bei resis-
tenten Staphylokokken (MRSA), Enterokokken. Bei einer Verabreichung während > 7 Tagen soll die Applikation über einen PICC-Katheter (PICC: peripherally inserted central venous catheter) in der Vena basilica erwogen werden.
Wann ist es eine Antibiotikaallergie?
Die Penicillinallergie ist eine gefürchtete Reaktion, doch ist
nur etwa 1 Prozent der Bevölkerung allergisch auf diese Anti-
biotikaklasse. Anders gesagt: Etwa 10 Prozent der Bevölke-
rung geben zwar an, allergisch auf Penicillin zu sein, von
diesen sind aber in der allergologischen Hauttestung nur 10
Prozent tatsächlich positiv (7). Die Hauttestung sei gut etab-
liert, doch werde sie in der Schweiz selten durchgeführt, da es
in der Regel genügend Alternativen zu Penicillin gebe, so
Tarr. Bei einem Allergieverdacht ist eine genaue Anamnese
hilfreich. Durchfall, Kopf- oder Bauchschmerzen sind keine
Zeichen dafür. Bestand im Kindesalter eine Penicillinallergie,
persistiert sie im Erwachsenenalter nicht immer weiter. Sind
Hautreaktionen infolge Penicillinallergie aufgetreten, kann
im Fall eines makulopapulären Ausschlags ein Cephalospo-
rin gegeben werden, wenn es zu keiner anaphylaktoiden Re-
aktion wie Pruritus, Schleimhautschwellung, heisses Gefühl
oder Dyspnoe gekommen ist. Das Risiko für eine Kreuzaller-
gie liegt bei 4 bis 5 Prozent. Seien dagegen urtikarielle (Nes-
selfieber) oder anaphylaktoide Reaktionen aufgetreten, er-
scheine die Gabe eines Cephalosporins zu riskant, so Tarr. In
diesem Fall können je nach Indikation Clindamycin, Quino-
lone, Makrolide, Vancomycin i.v. oder Ertapenem i.v. gege-
ben werden.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Häufige Infektionen und die wichtigsten Antibiotika in der Praxis», FOMF Allgemeine Innere Medizin, 28. Januar 2022, in Basel.
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Referenzen: 1. Nahimana I et al.: Risk of Borrelia burgdorferi infection in western Swit-
zerland following a tick bite. Eur J Clin Microbiol Infect Dis. 2004;23(8):603-608. doi:10.1007/s10096-004-1162-0 2. Nadelman RB et al.: Prophylaxis with single-dose doxycycline for the prevention of Lyme disease after an Ixodes scapularis tick bite. N Engl J Med. 2001;345(2):79-84. doi:10.1056/NEJM200107123450201 3. Roos KL et al.: Is the presence of antibodies in CSF sufficient to make a definitive diagnosis of Lyme disease? Neurology. 2007;69(10):949-950. doi:10.1212/01.wnl.0000271901.94853.24 4. www.sginf.ch/Guidelines 5. https://ssi.guidelines.ch 6. Swartz MN: Clinical practice. Cellulitis. N Engl J Med. 2004;350(9):904912. doi:10.1056/NEJMcp031807 7. Gruchalla RS et al.: Clinical practice. Antibiotic allergy. N Engl J Med. 2006;354(6):601-609. doi:10.1056/NEJMcp043986 8. Schwenke J et al.: Primary and Hospital Care. 2018;(22):376-380.
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