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BERICHT
Fahrfähigkeit unter Psychopharmaka
Darf Ihr Patient ans Steuer?
Mitunter sind bei Autounfällen Medikamente im Spiel. Wenn die Fahrfähigkeit beeinflussende Medikamente wie zum Beispiel Psychopharmaka verordnet sind, ist besondere Vorsicht geboten. Was hierzu zu beachten ist, erklärte Psychiaterin Dr. Nina Schweinfurth, Zentrum für Affektive, Stress- und Schlafstörungen der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, am FOMF Allgemeine Innere Medizin in Basel.
Wer fährt, muss fahrfähig sein. Das ist aber nicht immer der Fall. Gemäss einer Erhebung der Beratungsstelle für Unfallverhütung nehmen bis zu 10 Prozent der Menschen, die ein die Fahrfähigkeit beeinträchtigendes Medikament (meist Antidepressiva und Tranquilizer) eingenommen haben, trotzdem aktiv am Strassenverkehr teil: im Auto, auf dem Motorrad oder dem Velo. Fahrfähigkeit (syn. Fahrtüchtigkeit) bezeichnet gemäss Strassenverkehrsgesetz die momentane psychische und physische Befähigung, ein Fahrzeug sicher zu lenken. Diese ist grundsätzlich vorübergehender Natur und kann beispielsweise durch Betäubungsmittel, Alkohol oder Medikamente beeinträchtigt sein. Zu Letzteren gehören vor allem Psychopharmaka, aber auch Benzodiazepine, Z-Substanzen, Opiate und Opioide. Bei länger dauernder Medikamenteneinnahme, die Einfluss auf die Fahrfähigkeit hat, müsste die Fahreignung grundsätzlich neu abgeklärt werden. Ärzte können eine diesbezügliche Meldung an die kantonale Strassenverkehrsbehörde machen, sie sind in diesem Fall vom Berufsgeheimnis entbunden.
Aufpassen bei Ein- und Umstellungsphasen
Doch nicht nur Substanzen, sondern auch psychiatrische Symptome können die Fahrfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Diese kann umgekehrt durch eine regelmässige Einnahme von Antidepressiva verbessert werden. Ausschlaggebend sei somit nicht unbedingt, ob Psychopharmaka ein-
KURZ & BÜNDIG
� Wenn Psychopharmaka indiziert sind, soll auch suffizient behandelt werden.
� In der Einstellungs- und Dosisanpassungsphase ist der Patient generell fahrunfähig. Die Patienten sollen darauf hingewiesen und das Gespräch soll dokumentiert werden.
� Faustregel: 3 Wochen nach stabiler Einstellung und bei guter Verträglichkeit ist die Fahrfähigkeit wieder gegeben.
� Symptome und Nebenwirkungen regelmässig kontrollieren.
genommen werden, sondern in welchem Ausmass sie die
Fahrfähigkeit beeinflussen, so Schweinfurth. Eine Netzwerk-
metaanalyse untersuchte beispielsweise den Einfluss von ver-
schiedenen Antidepressiva auf die Kognition anhand des
Digit-Symbol-Substitution-Tests (DSST), bei dem Symbole
bestimmten Zahlen zugeordnet werden müssen. Dabei zeigte
sich, dass sich die Kognition unter Trizyklika und MAO-
Hemmern verschlechtert, SNRI und SSRI einen neutralen
Einfluss haben und Vortioxetin diese sogar verbessert (1).
Heikle Phasen hinsichtlich der Fahrfähigkeit können aller-
dings in der Einstellungsphase oder bei Dosisänderungen
entstehen. Deshalb gelte in den Universitären Psychiatrischen
Kliniken laut Schweinfurth die Faustregel: keine Teilnahme
des Patienten am Strassenverkehr bis 3 Wochen nach erfolg-
ter stabiler Einstellung. Dies soll dem Patienten vor Therapie-
beginn kommuniziert und der Gesprächsverlauf in den Akten
entsprechend dokumentiert werden.
Nach dieser Einstellungs- oder Anpassungsphase soll der
Patient im weiteren Verlauf zudem regelmässig auf Sym-
ptome der psychiatrischen Erkrankung sowie auf Müdigkeit,
Schwindel, Benommenheit und auf Medikamentenneben-
wirkungen und Interaktionen monitorisiert werden.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Fahrfähigkeit unter Psychopharmaka», FOMF Allgemeine Innere Medizin, 28. Januar 2022.
Referenz: 1. Baune BT et al.: A network meta-analysis comparing effects of various
antidepressant classes on the digit symbol substitution test (DSST) as a measure of cognitive dysfunction in patients with major depressive disorder. Int J Neuropsychopharmacol. 2018;21(2):97-107. doi:10.1093/ijnp/pyx070
Bundesamt für Unfallfragen Ratgeber: Medikamente am Steuer www.fragen-dann-fahren.ch
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