Transkript
Zusammenfassungen: Valérie Herzog (vh), Petra Stölting (PS); Herausgeber: Dr. med. Erik von Elm, Annegret Borchard Cochrane Schweiz, swiss.cochrane@unisante.ch
NCoeuchesraanues LdiebrrCaroycharkatunellLibrary
Spazieren gegen Bluthochdruck
Mehr Bewegung wie beispielsweise Gehen wird als bedeutsame Modifikation des Lebensstils zur Prävention und zur Kontrolle von Bluthochdruck empfohlen. Vielen Menschen fällt es schwer, eine passende Aktivität zu finden, die sich in den Alltag integrieren lässt. Spazierengehen kann jedoch von den meisten Menschen praktiziert werden. In einem systematischen Cochrane-Review haben Experten nun die Auswirkungen von Spazierengehen auf den Blutdruck und die Herzfrequenz im Vergleich zu «nicht gehen» untersucht. Die Wissenschaftler schlossen 73 Studien mit 5763 Teilnehmern aus 22 Ländern in unterschiedlicher gesundheitlicher Verfassung in ihre Analyse ein. Die Teilnehmer waren 16 bis 84 Jahre alt. Es nahmen etwa 1,5-mal so viele Frauen wie Männer teil. Die durchschnittliche Dauer des Gehens betrug 153 Minuten pro Woche, und die Gehintensität war vorwiegend moderat. Die durchschnittliche Beobachtungsdauer lag bei 15 Wochen.
Primärer Endpunkt – systolischer Blutdruck
Die Auswertung aller Studien ergab insgesamt, dass regelmässiges Gehen den systolischen Blutdruck (SBP) senkt (Mean Difference [MD]: –4,11 mmHg; 95%-Konfidenzintervall [KI]: –5,22 bis –3,01; 73 Studien, n = 5060; moderate Evidenzsicherheit). In Subgruppenanalysen zeigte sich, dass Gehen den SBP in allen Altersgruppen senkt: s ≤ 40 Jahre (MD: –4,41 mmHg; 95%-KI: –6,17 bis –2,65;
14 Studien, n = 491; moderate Evidenzsicherheit) s 41 bis 60 Jahre (MD: –3,79 mmHg; 95%-KI: –5,64 bis
–1,94; 35 Studien, n = 1959; geringe Evidenzsicherheit) s ≥ 60 Jahre (MD: –4,30 mmHg; 95%-KI: –6,17 bis –2,44;
24 Studien, n = 2610; geringe Evidenzsicherheit). Zudem senkte Gehen den SBP bei Frauen (MD: –5,65 mmHg; 95%-KI: –7,89 bis –3,41; 22 Studien, n = 1149; geringe Evidenzsicherheit) und bei Männern (MD: –4,64 mmHg; 95%-
KI: –8,69 bis –0,59; 6 Studien, n = 203; geringe Evidenzsicherheit).
Sekundäre Endpunkte – diastolischer Blutdruck
und Herzfrequenz
Aus den Studien ging hervor, dass regelmässiges Gehen auch
den diastolischen Blutdruck (DBP) senkt (MD: –1,79 mmHg;
95%-KI: –2,51 bis –1,07; 69 Studien, n = 4711; geringe Evi-
denzsicherheit) und die Herzfrequenz vermindert (MD: –2,76
Schläge pro Minute; 95%-KI: –4,57 bis –0,95; 26 Studien,
n = 1747; geringe Evidenzsicherheit).
Auch die Reduktion des DPB zeigte sich in allen Alters-
gruppen:
s ≤ 40 Jahre (MD: –3,01 mmHg; 95%-KI: –4,44 bis –1,58;
14 Studien, n = 491; moderate Evidenzsicherheit)
s 41 bis 60 Jahre (MD: –1,74 mmHg; 95%-KI: –2,95 bis
–0,52; 32 Studien, n = 1730; geringe Evidenzsicherheit)
s ≥ 60 Jahre (MD: –1,33 mmHg; 95%-KI: –2,40 bis –0,26;
23 Studien, n = 2490; geringe Evidenzsicherheit).
Gehen senkte den DBP sowohl bei Männern (MD:
–2,54 mmHg; 95%-KI: –4,84 bis –0,24; 6 Studien, n = 203;
moderate Evidenzsicherheit) als auch bei Frauen (MD:
–2,69 mmHg; 95%-KI –4,16 bis –1,23; 20 Studien, n = 1000;
geringe Evidenzsicherheit).
Nur in 21 Studien wurden unerwünschte Ereignisse doku-
mentiert: In 16 von ihnen zeigten sich keine, in den verblei-
benden 5 Studien kam es insgesamt zu 8 unerwünschten Er-
eignissen, 5 davon waren Knieverletzungen.
Fazit: Die Cochrane-Autoren kamen zu dem Schluss, dass
Gehen den systolischen und den diastolischen Blutdruck so-
wie die Herzfrequenz senkt. Das gilt für alle Altersgruppen
und beide Geschlechter.
PS s
Quelle: Lee LL et al.: Walking for hypertension. Cochrane Database Syst Rev 2021; 2: CD008823.
Internetbasierte kognitive Verhaltenstherapien zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen bei Erwachsenen
Traumafokussierte psychologische Interventionen bei einem Therapeuten haben sich bei posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) als Behandlungen der ersten Wahl etabliert. Als besonders wirksam gelten kognitive Verhaltenstherapien (CBT). Allerdings sind diese Therapien wegen einer unzureichenden Anzahl geeigneter Therapeuten und anderer Gründe oft nicht verfügbar. Internetbasierte kognitive Verhaltenstherapien (I-C/BT) könnten deshalb eine effektive und kostengünstige Alternative darstellen.
Cochrane-Experten untersuchten in einem systematischen Review die Effekte von I-C/BT im Vergleich zu einer Warteliste und zu anderen Präsenz- und internetbasierten Behandlungsformen. Die Forscher schlossen 13 Studien mit 808 Patienten in ihre Untersuchung ein. I-C/BT im Vergleich zu Präsenz-non-CBT: Aus einer Studie mit sehr geringer Evidenzsicherheit ging hervor, dass eine Präsenz-non-CBT zur Reduktion von PTBS wirksamer sein könnte als eine I-C/BT (Mean Difference [MD] im Score
ARS MEDICI 9 | 2022
293
Zusammenfassungen: Valérie Herzog (vh), Petra Stölting (PS); Herausgeber: Dr. med. Erik von Elm, Annegret Borchard Cochrane Schweiz, swiss.cochrane@unisante.ch
NCoeuchesraanues LdiebrrCaroycharkatunellLibrary
PCL-5: 10,90; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 6,57 bis 15,23; 1 Studie, 40 Teilnehmer). I-C/BT im Vergleich zu einer Warteliste: I-C/BT kann im Vergleich zu einer Warteliste mit einer klinisch signifikanten Reduktion von PTBS nach der Behandlung verbunden sein (Standardized Mean Difference [SMD]: –0,61; 95%-KI: –0,93 bis –0,29; 10 Studien, 608 Teilnehmer; Evidenz sehr geringer Qualität). I-C/BT ist möglicherweise nicht effektiver als eine Warteliste im Hinblick auf das Risiko für die Diagnose PTBS nach der Behandlung (Relative Risk [RR]: 0,53; 95%-KI: 0,28 bis 1,00; 1 Studie, 62 Teilnehmer; sehr geringe Evidenzsicherheit). I-C/BT kann im Vergleich zur Warteliste mit einer klinisch bedeutsamen Reduktion depressiver Symptome nach der Behandlung verbunden sein (SMD: –0,51; 95%-KI: –0,97 bis –0,06; 7 Studien, 473 Teilnehmer; sehr geringe Evidenzsicherheit). Zudem kann I-C/BT eine klinisch bedeutsame Reduktion von Angstsymptomen nach der Behandlung bewirken (SMD: –0,61; 95%-KI: –0,89 bis –0,33; 5 Studien, 345 Teilnehmer; sehr geringe Evidenzsicherheit). I-C/BT im Vergleich zu I-non-C/BT: Es gibt möglicherweise keinen Unterschied bezüglich der PTBS-Symptomatik nach
der Behandlung zwischen I-C/BT- und I-non-C/BT-Gruppen
(SMD: –0,08; 95%-KI: –0,52 bis 0,35; 2 Studien, 82 Teil-
nehmer, sehr geringe Evidenzsicherheit).
In 2 Studien zeigte sich keine Differenz zwischen I-C/BT und
I-non-C/BT bezüglich depressiver Symptome nach der Be-
handlung (SMD: –0,12; 95%-KI: –0,78 bis 0,54; 2 Studien,
84 Teilnehmer; sehr geringe Evidenzsicherheit). In 2 Studien
wurde auch keine Differenz im Hinblick auf Angstsymptome
nach der Behandlung beobachtet (SMD: 0,08; 95%-KI: –0,78
bis 0,95; 2 Studien, 74 Teilnehmer; sehr geringe Evidenz-
sicherheit).
Fazit: Die Cochrane-Autoren stellten in ihrem Review zwar
einen gewissen Nutzen der I-C/BT bei PTBS fest, allerdings
war die Evidenz aufgrund der kleinen Studien- und Teilneh-
merzahlen sehr gering. Um zu beurteilen, ob eine I-C/BT
routinemässig zur Behandlung von PTBS angewendet wer-
den sollte, sind ihrer Ansicht nach weitere Studien erforder-
lich.
PS s
Quelle: Simon N et al.: Internet-based cognitive and behavioural therapies for post-traumatic stress disorders (PTSD) in adults (Review). Cochrane Database Syst Rev 2021; 5: CD011710.
Antidepressiva der neuen Generation für Kinder und Jugendliche
In einer Netzwerkmetaanalyse untersuchte ein CochraneTeam die Wirksamkeit und die Sicherheit von Antidepressiva der neuen (d. h. zweiten und dritten) Generation bei Kindern und Jugendlichen mit einer Major Depression im Hinblick auf die Schwere der depressiven Symptome und die Funktion im Alltag sowie auf suizidassoziierte Endpunkte. Der Vergleich erfolgte mit Plazebo oder zwischen verschiedenen Medikamenten. In den systematischen Review wurden 26 Studien eingeschlossen, an denen Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 18 Jahren teilgenommen hatten. Da für die beiden primären Endpunkte (ärztliche Beurteilung der Depression und Suizid) keine Daten vorhanden waren, wurden die Ergebnisse für die sekundären Endpunkte zusammengefasst. Antidepressive Wirksamkeit: Die meisten Antidepressiva sind wahrscheinlich mit einer geringen und unbedeutenden Reduktion depressiver Symptome auf der Children’s Depression Rating Scale – Revised (CDRS-R; Bereich 17–113) im Vergleich zu Plazebo verbunden. Die Ergebnisse für die verschiedenen Substanzen beruhten auf hoher bis sehr geringer Evidenzsicherheit. s Hohe Evidenzsicherheit: Paroxetin (Mean Difference
[MD]: –1,43; 95%-Konfidenzintervall [KI]: –3,90; 1,04), Vilazodon (MD: –0,84; 95%-KI: –3,03; 1,35), Desvenlafaxin (MD: –0,07; 95%-KI: –3,51; 3,36). s Moderate Evidenzsicherheit: Sertralin (MD: –3,51; 95%KI: –6,99; –0,04), Fluoxetin (MD: –2,84; 95%-KI: –4,12; –1,56), Escitalopram (MD: –2,62; 95%-KI: –5,29; 0,04).
s Geringe Evidenzsicherheit: Duloxetin (MD: –2,70; 95%KI: –5,03; –0,37), Vortioxetin (MD: 0,60; 95%-KI: –2,52; 3,72).
s Sehr geringe Evidenzsicherheit: alle anderen Vergleiche mit Plazebo.
Zwischen den meisten Antidepressiva gab es nur geringe und unbedeutende Unterschiede bezüglich der Reduktion depressiver Symptome (hohe oder moderate Evidenzsicherheit). Antisuizidale Wirksamkeit: Die Evidenzsicherheit bezüglich der antisuizidalen Wirksamkeit der Medikamente im Vergleich zu Plazebo war sehr gering oder gering. s Sehr geringe Evidenzsicherheit: Mirtazapin (Odds Ratio
[OR]: 0,50; 95%-KI: 0,03; 8,04), Duloxetin (OR: 1,15; 95%-KI: 0,72; 1,82), Vilazodon (OR: 1,01; 95%-KI: 0,68; 1,48), Desvenlafaxin (OR: 0,94; 95%-KI: 0,59; 1,52), Citalopram (OR: 1,72; 95%-KI: 0,76; 3,87), Vortioxetin (OR: 1,58; 95%-KI: 0,29; 8,60). s Geringe Evidenzsicherheit: Escitalopram (OR: 0,89; 95%KI: 0,43; 1,84). Erhöhung der Suizidgefährdung: Im Zusammenhang mit manchen Medikamenten könnte es zu einer geringfügigen Erhöhung der Suizidgefährdung im Vergleich zu Plazebo oder im Vergleich mit anderen Medikamenten kommen. s Geringe Evidenzsicherheit für den Vergleich mit Plazebo: Fluoxetin (OR: 1,27; 95%-KI: 0,87; 1,86), Paroxetin (OR: 1,81; 95%-KI: 0,85; 3,86), Sertralin (OR: 3,03; 95%-KI: 0,60; 15,22), Venlafaxin (OR: 13,84; 95%-KI: 1,79; 106,90).
294
ARS MEDICI 9 | 2022
Zusammenfassungen: Valérie Herzog (vh), Petra Stölting (PS); Herausgeber: Dr. med. Erik von Elm, Annegret Borchard Cochrane Schweiz, swiss.cochrane@unisante.ch
Cochrane Library aktuell
s Moderate Evidenzsicherheit: Venlafaxin im Vergleich zu Desvenlafaxin (OR: 0,07; 95%-KI: 0,01; 0,56) und zu Escitalopram (OR: 0,06; 95%-KI: 0,01; 0,56).
s Im Hinblick auf andere Vergleiche zwischen Antidepressiva lag nur eine sehr geringe Evidenzsicherheit vor.
Fazit: Aus den Ergebnissen geht hervor, dass die meisten Antidepressiva der neuen Generation die Symptome einer Major Depression bei Kindern und Jugendlichen nur geringfügig im Vergleich zu Plazebo lindern können. Da es sich bei Depressionen jedoch um sehr heterogene Erkrankungen handelt, kann im Einzelfall ein besseres Ansprechen erzielt wer-
den. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Sertralin, Escita-
lopram, Duloxetin und Fluoxetin als Option der ersten Wahl
betrachtet werden können. Bei suizidgefährdeten Kindern
oder Jugendlichen sollten Antidepressiva vorsichtig und unter
engmaschiger Überwachung angewendet werden, da manche
Wirkstoffe mit einer Erhöhung der suizidassoziierten Risiken
verbunden sein könnten.
PS s
Quelle: Hetrick SE et al.: New generation antidepressants for depression in children and adolescents: a network meta-analysis (Review). Cochrane Database Syst Rev 2021; 5: CD013674.
Weiterhin kostenloser Zugang zur Cochrane Library aus der Schweiz
Seit 2016 haben alle in der Schweiz wohnhaften Personen kostenlosen Zugang zur Cochrane Library. Dank der erfolgreichen Verhandlungen von Swissuniversities im Auftrag der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) konnte die Nationallizenz für die Cochrane Library bis 2024 verlängert werden. Cochrane unterhält ein Netzwerk aus rund 12 000 Personen, die in mehr als 130 Ländern arbeiten. Gemeinsam erstellen sie seit über 25 Jahren – ohne kommerziell motivierte Finanzierung – systematische Reviews zu medizinischen Forschungsergebnissen und schaffen eine zuverlässige Grundlage für die evidenzbasierte Medizin. Die Nationallizenz für die Cochrane Library wird von der SAMW, dem Bundesamt für Gesundheit, der FMH, den Universitätsbibliotheken und den Spitälern finanziert. Weitere Informationen unter: https://www.samw.ch/de/Projekte/Uebersicht-der-Projekte/Cochrane-Library.html
ARS MEDICI 9 | 2022
295