Transkript
Sexualanamnese beim Mann
Welche Fragen müssen Sie stellen?
FORTBILDUNG
Die hausärztliche oder internistische Praxis ist meist die erste Anlaufstelle für Männer, wenn es um Störungen des Sexuallebens geht. Diese Störungen sind häufig durch Komorbiditäten (z. B. metabolisches Syndrom) und einen ungesunden Lebensstil bedingt, können aber auch durch Nebenwirkungen von Medikamenten ausgelöst werden. Eine Sexualanamnese kann hier Klarheit schaffen.
Kathleen Herkommer
Besonders junge Kollegen sind oft zu Beginn ihres Berufslebens noch unerfahren bezüglich des Sexuallebens von Männern (und Frauen), vor allem was die Störungen im höheren Alter betrifft. Aber auch der Patient selbst, der seine Störungen meist schon seit Längerem wahrnimmt, sucht häufig erst sehr spät oder aufgrund eines konkreten Anlasses (z. B. neuer Partner) das Gespräch. Den Patienten kostet es oft grosse Überwindung, sexuelle Probleme anzusprechen, da aus seiner Sicht viele Hindernisse bestehen: s Scham, Ängste s Unfähigkeit, sexuelle Probleme anzusprechen s Schwäche, «es» zugeben zu müssen s Identitäts-/Selbstwertverlust s bester Gesprächsbeginn.
Wortwahl
Der Patient weiss oft nicht, wie er das Gespräch auf das Thema lenken soll. So kommt es dann zum sogenannten Columbo-Effekt. Das heisst, erst beim Verlassen des Sprechzimmers kommt der Betroffene auf das Thema, dreht sich zum Beispiel in der Tür nochmal um und sagt: «Ich hätte da noch was, das ich schon seit Längerem mit Ihnen besprechen wollte …» Meist ist das Problem aber nicht in wenigen Minuten zu klären. Um dem Patienten trotzdem das Gefühl zu geben, dass man sich genügend Zeit für ihn nimmt, sollten Sie in diesem Fall einen weiteren Termin vereinbaren. Der Vorteil in der hausärztlichen Versorgung ist, dass Sie als behandelnder Arzt den Patienten und seine Komorbiditäten schon gut kennen und in der Regel bereits eine vertrauensvolle
MERKSÄTZE
� Der Patient empfindet oft Scham, über sexuelle Störungen zu sprechen.
� Eine Sexualanamnese hilft, das Problem zu erkennen.
� Zu den häufigsten sexuellen Funktionsstörungen zählen erektile Dysfunktion, Ejaculatio praecox und Libidoverlust, z. B. durch Testosteronmangel.
Arzt-Patienten-Beziehung aufbauen konnten. Der Nachteil ist aber genau hier die Tatsache, dass man das soziale Umfeld ebenfalls mitbetreut. Dies kann dazu führen, dass der Patient zögert, etwas Intimes anzusprechen, zum Beispiel eine Affäre zu haben. Es ist deshalb schwierig, die oft sehr unterschiedlichen Störungen nachvollziehen zu können, aber gerade hierbei ist es wichtig, dem Patienten immer das Gefühl zu geben, dass man seine Probleme ernst nimmt und sich darum kümmert. Hierunter fällt zum Beispiel auch der 80-jährige Patient, der darüber klagt, neuerdings nur noch 1-mal pro Tag Geschlechtsverkehr haben zu können und nicht mehr, wie bis vor Kurzem, 2- bis 3-mal täglich.
Sexualanamnese
Eine richtungsweisende, aber nicht zu detaillierte Sexualanamnese sollte es ermöglichen, das jeweilige Problem zu erkennen und den Patienten an die entsprechenden Facharztkollegen (meist Urologie/Andrologie) zu überweisen. Komorbiditäten, vor allem Komponenten des metabolischen Syndroms und Miktionsstörungen, sowie ein ungesunder Lebensstil (wenig Bewegung, Rauchen, exzessiver Alkoholkonsum und Übergewicht durch ungesunde Ernährung) sind Risikofaktoren für sexuelle Funktionsstörungen. Einen einfachen Zugang zum Patienten können Sie mit der Aussage schaffen, dass Betroffene mit ähnlichen Risikofaktoren häufig Erektionsprobleme oder Libidostörungen hätten, und mit der anschliessenden Frage, ob dies auch auf ihn zutreffe. Nicht bei jedem Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen besteht Leidensdruck. Das bedeutet, es ist nicht immer eine Therapie erwünscht. Dies kann sich aber im weiteren Leben wieder ändern. Die häufigsten sexuellen Funktionsstörungen sind: s erektile Dysfunktion s Ejaculatio praecox s Libidoverlust (z. B. durch Testosteronmangel).
Erektile Dysfunktion
Um eine Erektionsstörung zu erfragen, sollten Sie sich detailliert erkundigen, ob der Penis bei sexueller Stimulation grösser (Tumeszenz), aber auch härter (Rigidität) wird. Hier eignet sich die Frage nach der Erektion während einer Selbst-
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hier ein Testosteronmangel nachgewiesen werden, kann der Patient an einen urologischen oder andrologischen Kollegen überwiesen werden, um dies weiter abzuklären.
Abbildung: Gutartige Prostatavergrösserungen lassen sich per transrektalem Ultraschall (TRUS) in 2 Ebenen gut erkennen.
Ejaculatio praecox
Die Ejaculatio praecox (vorzeitiger Samenerguss) ist durch das Vorhandensein aller 3 folgenden Komponenten definiert: s Die intravaginale Ejakulationslatenzzeit (IELT), die Zeit
von Penetration bis Ejakulation, beträgt weniger als 1 bis 2 Minuten s Unvermögen, die Ejakulation hinauszögern zu können s persönlicher Leidensdruck oder zwischenmenschliche Probleme. Sollte der letzte Punkt das Hauptsymptom des Patienten sein, muss daran gedacht werden, dass gleichzeitig eine Erektionsstörung mit Vermeidung von Geschlechtsverkehr bestehen kann. Dies könnte die eigentliche Ursache der Problematik sein und sollte unbedingt urologisch beziehungsweise andrologisch abgeklärt werden.
befriedigung (Masturbation) besser als während des Geschlechtsverkehrs, da häufig kein regelmässiger Verkehr mehr stattfindet. Eine relativ einfache Einteilung ist der Erektionshärtegrad (0–4): s 0: keine Veränderung bemerkbar s 1: vergrössert, aber nicht hart s 2: hart, aber nicht hart genug für eine Penetration s 3: hart genug für eine Penetration, aber nicht vollständig
hart s 4: vollständig hart und vollständig steif. Dem Patienten fällt es in der Regel schwer, seine Erektion zu beschreiben. Hier sind geschlossene Fragen («Wird der Penis bei Stimulation grösser?»/«Wird er hart?»/«Wird er hart genug für eine Penetration?») meist am zielführendsten. Die Libidostörung ist das Leitsymptom bei einem sekundären Hypogonadismus (Testosteronmangel im Alter). Männer haben bei gesundem Lebensstil und ohne Komorbiditäten einen normalen Testosteronspiegel bis ins hohe Alter, jedoch sind gerade die Männer, die in hausärztlicher oder internistischer Betreuung sind, meist komorbid beziehungsweise haben andere Risikofaktoren wie etwa einen ungesunden Lebensstil. Um eine Libidostörung zu erfragen, sollte die aktuelle Situation nicht mit «früher» verglichen, sondern der erfragte Zeitraum möglichst genau definiert werden und sich am besten auf die letzten 1 bis 2 Jahre beziehen. Bitte fragen Sie nicht, ob der betroffene Patient noch Lust auf seinen Partner hat, sondern versuchen Sie, dies unabhängig davon zu evaluieren, ob ein Partner vorhanden ist oder nicht, zum Beispiel mit der Frage: «Stimuliert es Sie, wenn Sie sich einen Pornofilm/den ‹Playboy› anschauen?» Auch wenn der Mann kein pornografisches Material konsumiert, kann er sich darunter etwas vorstellen und die Frage adäquat beantworten. Hier ist auch zu beachten, ob weitere Komponenten eines sekundären Testosteronmangels vorhanden sind. Am häufigsten klagen die Patienten über allgemeine Antriebslosigkeit (Adynamie), Gewichtszunahme (viszerales Fett) und Stimmungsschwankungen beziehungsweise depressive Verstimmungen. Richtungsweisend ist die Bestimmung des Testosteronspiegels (Abnahme am Vormittag aufgrund der zirkadianen Rhythmik). Sollte
Benignes Prostatasyndrom
Das benigne Prostatasyndrom (BPS) mit den entsprechenden
obstruktiven beziehungsweise irritativen Miktionsstörungen
ist eine häufige Diagnose des älteren Mannes, bedingt durch
die Veränderungen in der Prostata im Alter (vgl. Abbildung).
Richtungsweisend ist hier der mittels IPPS (International Pro-
state Symptom Score nach Barry 1992) aufaddierte Score,
anhand dessen ein Therapiebedarf abgeschätzt werden kann.
Bei entsprechendem Score oder entsprechender Symptomatik
kann dies auch die Möglichkeit bieten, dem Patienten vor
Überweisung zum Urologen den Hinweis zu geben, dass dort
eventuell sexuelle Funktionsstörungen abgefragt werden.
Denn die Therapie des BPS kann schliesslich nicht nur zu einer
Verbesserung, sondern auch zur Verschlechterung der sexuel-
len Funktion führen. Wurde der Patient bereits zuvor haus-
ärztlich oder internistisch auf das Erfragen sexueller Funk-
tionsstörungen in der urologischen Praxis vorbereitet, fällt es
ihm wesentlich leichter, die doch sehr intimen Fragen zu be-
antworten, da er sich nicht «überrumpelt» fühlt.
s
Prof. Dr. med. Kathleen Herkommer MBA Klinik und Poliklinik für Urologie Universitätsklinikum rechts der Isar Technische Universität D-81675 München
Interessenlage: Die Autorin hat keine Interessenkonflikte deklariert.
Dieser Artikel erschien zuerst in «doctors today» 1/2022. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin.
Literatur: 1. Alberti KG et al.: Harmonizing the Metabolic Syndrome. Circulation.
2009;120(16):1640-1645. 2. Barry MJ et al.: The American Urological Association symptom index for
benign prostatic hyperplasia. The Measurement Committee of the American Urological Association. J Urol. 1992;148(5):1549-1557; discussion 1564. 3. Mulhall JP et al.: Validation of the Erection Hardness Score. J Sex Med. 2007;4(6):1626-1634. 4. Rosen RC et al.: The International Index of Erectile Function (IIEF): a multidimensional scale for assessment of erectile dysfunction. Urology. 1997;49(6):822-830.
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