Transkript
EDITORIAL
Licht aus!
Seit der Erfindung der Glühbirne ist die nächtliche Dunkelheit vielerorts verschwunden. Stadtbewohner wissen gar nicht mehr, wie prachtvoll ein Sternenhimmel aussieht, und die negativen Folgen der permanenten Beleuchtung für Tiere und Pflanzen sind seit Langem bekannt. Die nächtliche Beleuchtung schadet auch uns Menschen. Sicher haben Sie schon von der einen oder anderen Studie gehört, in der es um metabolische und kardiologische Risiken im Zusammenhang mit einem Lebensstil ging, bei dem regelmässig die Nacht zum Tage gemacht wird. Ganz zu schweigen von der Schichtarbeit, die Wachheit erzwingt, obwohl die innere Uhr dringend nach Schlaf verlangt. Helles Licht zur falschen Zeit stört unseren Organismus aber nicht nur durch erzwungene Wachheit, sondern Licht kann uns offenbar auch schaden, während wir schlafen. In einer kürzlich publizierten Studie stellte ein Team von Schlafmedizinern an der Northwestern University in Evanston/Chicago fest, dass bereits eine einzige Nacht, in der man mit Beleuchtung schläft, den Glukosestoffwechsel und das Herz negativ beeinflussen kann. 20 gesunde Erwachsene im Alter zwischen 20 und 30 Jahren nahmen an der Studie teil. Sie verbrachten
3 Tage und 2 Nächte im Schlaflabor. Die Probanden
wurden in 2 Gruppen aufgeteilt. 10 Personen schliefen
2 Nächte in Dunkelheit, das heisst bei einem sehr
schwachen Dämmerlicht (< 3 Lux). Die anderen 10 schliefen in der 1. Nacht ebenfalls im Dunkel und in der 2. Nacht mit mässiger Beleuchtung (100 Lux), das heisst, ihr Schlafzimmer wurde von 4 Glühbirnen à 60 Watt in der Decke ausgeleuchtet. Schlafen konnten sie trotz der Beleuchtung recht gut, denn bezüglich der subjektiv erlebten Schlafqualität zeigten sich keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Der Organismus der Hell-Schläfer hatte jedoch durch- aus reagiert. Sie wiesen im oralen Glukosetoleranztest am Morgen in den ersten 30 Minuten eine höhere In- sulinantwort auf als die Dunkel-Schläfer. Das spreche für einen kompensatorischen Mechanismus und eine höhere Insulinresistenz nach dem Schlafen mit Licht, so die Studienautoren. Während des Schlafens mit Licht war zudem der Puls höher als beim Schlafen in Dunkelheit. Wie genau das nächtliche Licht diese Effekte bewirkt, wissen die Studienautoren noch nicht so genau. Weil die Melatoninspiegel zwischen den Dunkel- und den Hell-Schläfern nicht differierten, gehen sie davon aus, dass der Mechanismus nicht über das altbekannte Schlafhormon läuft. Vielmehr spreche vieles dafür, dass letztlich eine gesteigerte Sympathikusaktivität dahinterstecke. Licht knipst sozusagen den Sympathi- kus an, der wiederum die Herzfrequenz und den Blut- zuckerspiegel steigert, denn tagsüber ist Action ge- fragt. Ist es aber auch beim Schlafen hell, kommt der Organismus nicht zur Ruhe. Doch egal, welcher Mechanismus nun für die Verbin- dung zwischen Licht beim Schlafen, Insulinresistenz und erhöhtem Puls im Detail verantwortlich sein mag: Licht aus zum Schlafen ist wahrscheinlich gesund, es ist ganz einfach und völlig nebenwirkungsfrei – und obendrein spart man Strom und tut noch etwas für’s Klima. s Renate Bonifer Mason IC et al.: Light exposure during sleep impairs cardiometabolic function. Proc Natl Acad Sci USA. 2022;119(12):e2113290119. ARS MEDICI 8 | 2022 261