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FORTBILDUNG
Erektile Dysfunktion: Männer mit Diabetes sind häufiger betroffen
Übersicht zu Massnahmen von Prävention bis Penisimplantat
Patienten mit Diabetes mellitus sind besonders gefährdet, eine erektile Dysfunktion zu entwickeln. Dieses erhöhte Risiko ist auf vaskuläre und neurogene Faktoren sowie auf die häufig vorliegenden Begleiterkrankungen zurückzuführen. Die Frage nach dem Sexualleben sollte daher bei Männern mit Diabetes zum Standardrepertoire gehören.
Christian Leiber
Laut aktuellen wissenschaftlichen Daten leben in Deutschland etwa 4 Millionen Männer mit Diabetes mellitus (Typ 1 und Typ 2), in der Schweiz waren 2017 5,4 Prozent der männlichen und 3,5 Prozent der weiblichen Bevölkerung betroffen. Falls die momentane Entwicklung so weitergeht, muss damit gerechnet werden, dass die Zahlen in den kommenden Jahrzehnten deutlich steigen. Bei Männern mit Diabetes mellitus liegt das mittlere Erkrankungsalter bei 61 Jahren. 95 Prozent von ihnen leiden an einem Typ-2-Diabetes. Wesentliche Risikofaktoren für die Entstehung eines Typ-2-Diabetes sind Adipositas und fehlende körperliche Aktivität. Da mehr als die Hälfte aller Männer über 50 Jahre in Deutschland übergewichtig ist, ist die hohe Prävalenz des Typ-2-Diabetes hier leicht zu erklären.
Warum kommt die erektile Dysfunktion bei Männern mit Diabetes mellitus so häufig vor?
Die bei Diabetikern meist organisch bedingte erektile Dysfunktion (ED) ist aufgrund der diabetischen Vaskulopathie und Neuropathie in der Regel kombiniert vaskulär und neurogen bedingt. Auch eine Schädigung des Endothels kommt bei Diabetikern häufig vor, sodass die weniger vorhandene endotheliale Stickoxidsynthase (eNOS) die Aufrechterhaltung der Erektion verhindert. Da bei vielen Diabetikern zusätzliche weitere Risikofaktoren wie eine arterielle Hypertonie, eine Hyperlipidämie oder ein chronischer Nikotinabusus
MERKSÄTZE
� Männern fällt es schwer, über Erektionsstörungen zu reden: Sprechen Sie das Thema aktiv an!
� Männer mit Diabetes sind sehr häufig betroffen.
� Therapeutisch stehen dieselben Optionen wie bei Männern ohne Diabetes zur Verfügung.
bestehen, kommen hierdurch bedingte Durchblutungsstörungen im Bereich der sehr feinen penilen Endarterien (Innendurchmesser nur ca. 1–2 mm) häufig vor. Zudem kann ein Testosteronmangelsyndrom, das bei Männern mit Diabetes mellitus und Adipositas in über 50 Prozent vorkommt, im Kontext der ED eine relevante Rolle spielen.
Tabuthema erektile Dysfunktion
Auch im Jahr 2021 fällt es Männern im Allgemeinen noch schwer, über ein so sensibles Thema wie Erektionsstörungen mit dem Arzt zu sprechen. Dies ist bei diabetischen Männern mit ED nicht anders, obwohl das Problem hier ja besonders häufig vorkommt. Alle an der Behandlung von Männern mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes beteiligten Kollegen sollten daher proaktiv auf die Patienten und ihre Partner zugehen und diese Thematik aufgreifen. Die Patienten werden es ihnen bestimmt danken. Die Einbeziehung der Partner spielt für den Erfolg der Therapie der ED unabhängig vom gewählten Behandlungsverfahren eine wesentliche Rolle.
Weiteres praktisch strukturiertes Vorgehen
Für die Diagnostik und die Therapie der ED existiert die zuletzt im März 2021 aktualisierte Leitlinie der Europäischen Urologen-Vereinigung (EAU) (1). Im Kasten sind die Empfehlungen für die Diagnostik der ED zusammengestellt.
Welche Therapieoptionen stehen zur Verfügung?
Zur Vermeidung einer ED bei Männern mit Diabetes mellitus sollten vor allem eine Gewichtsreduktion und eine vermehrte sportliche Aktivität angestrebt werden. Der Diabetes mellitus selbst und eventuelle weitere internistische Begleiterkrankungen wie eine arterielle Hypertonie oder eine Hyperlipidämie sollten optimal therapiert werden. Exogene Noxen wie ein chronischer Nikotinkonsum müssen unter allen Umständen vermieden oder vollständig beendet werden. Ein Testosteronmangelsyndrom, welches bei Männern mit Diabetes mellitus in mehr als 50 Prozent der Fälle vorkommt, sollte erkannt
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Kasten:
Leitlinienempfehlungen (1): Diagnostik der erektilen Dysfunktion
1. Komplette medizinische und spezielle sexualmedizinische Anamnese (Risikofaktoren? Libido? Dauer und Beginn der Störung? Leidensdruck? Reaktion der Partnerin bzw. des Partners?)
2. Körperliche Untersuchung inklusive des äusseren Genitales sowie Messung des Bauchumfangs und des Blutdrucks
3. Laboruntersuchung (Nüchternblutzucker bzw. HbA1c, Nüchternblutfette, kleines Blutbild, Leberenzyme, Nierenretentionswerte, Testosteron, ggf. Prolaktin, luteinisierendes Hormon [LH] oder Schilddrüsenwerte)
4. Klärung des kardialen Status gemäss den Empfehlungen der 3. Princeton-Konsensus-Konferenz (Abbildung)
5. Semiinvasive und invasive Diagnostik: Schwellkörperinjektionstestung (SKIT) mit Pharmakoduplexsonografie, in ausgewählten Einzelfällen auch Cavernosometrie und -grafie
Die unter Punkt 5 genannten semiinvasiven und invasiven diagnostischen Massnahmen sind der fachurologischen bzw. andrologischen Abklärung vorbehalten.
Bestätigung der Diagnose ED
Einschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit
(sexuelle Aktivität entspricht ca. 1,6 km Gehen in 20 min oder 2 Stockwerke Treppensteigen in 10 s)
niedriges Risiko
mittleres Risiko
hohes Risiko
Belastungsstresstest
erfolgreich
nicht erfolgreich
niedriges Risiko
hohes Risiko
Beratung und Behandlung der ED
Vorstellung beim Kardiologen
Abbildung: Behandlungsalgorithmus für Patienten mit erektiler Dysfunktion (ED)
und adäquat mittels Testosteronsubstitutionstherapie (TRT) behandelt werden. Hierbei handelt es sich um eine medizinisch anerkannte und ebenfalls in den EAU-Leitlinien definierte Störung, deren Diagnostik und Therapie somit eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen sind. Ansonsten stehen gemäss den aktuell geltenden EAU-Leitlinien stufengerecht von der oralen Therapie mit PDE-5-Hemmern (PDE: Phosphodiesterase; Avanafil, Sildenafil, Tadalafil oder Vardenafil) über die topische oder intrakavernöse (SKAT) Anwendung von gefässerweiternden Substanzen (Alprostadil bzw. Phentolamin-Papaverin-Gemisch) und die Anwendung von Vakuumpumpensystemen bis hin zur niedrigenergetischen Stosswellentherapie verschiedenste Optio-
nen zur Behandlung der ED bei Diabetikern zur Verfügung. Für die hausärztlich-internistische Behandlung kommen hiervon allerdings sicher nur die Behandlung mit den verschiedenen PDE-5-Hemmern oder die topische Therapie mit Alprostadil infrage. Alle weiteren Behandlungsoptionen sollten der fachärztlichen urologischen beziehungsweise andrologischen Versorgung vorbehalten bleiben. Bei einer schweren organischen ED und/oder bei Versagen der vorher genannten Möglichkeiten stellt die operative Behandlung mit einem semirigiden oder besser hydraulischen Penisimplantat die Methode der Wahl dar. Dies geht selbstverständlich nur unter stationären Bedingungen und sollte im Sinne einer möglichst hohen Ergebnisqualität am besten in ausgewählten Kompetenzzentren durchgeführt werden.
Fazit
Die Prävalenz der ED bei Männern mit Diabetes mellitus be-
trägt mehr als 50 Prozent. Die Häufigkeit ist so gross, weil bei
Diabetikern pathogenetisch sowohl die vaskulären als auch
die neurogenen Funktionen der Erektion gestört sind. Im
Rahmen der Prävention spielen vor allen Dingen Lebensstil-
änderungen wie eine Gewichtsreduktion und die vermehrte
sportliche Aktivität sowie die optimale Behandlung des Dia-
betes mellitus und eventueller weiterer Begleiterkrankungen
eine Rolle. Noxen wie einen chronischen Nikotinkonsum gilt
es unbedingt zu vermeiden. Zur leitliniengerechten und evi-
denzbasierten Therapie (EAU) der ED stehen für Diabetes-
patienten alle verfügbaren Optionen wie die orale Einnahme
von PDE-5-Hemmern, die topische oder intrakavernöse An-
wendung von direkt gefässerweiternden Substanzen (z. B.
SKAT-Injektionstherapie), der Einsatz von Vakuumpumpen-
Systemen, die niedrigenergetische Stosswellentherapie oder
die operative Behandlung mittels semirigiden oder hydrauli-
schen Penisimplantaten zur Verfügung. So kann in nahezu
allen Fällen eine erfüllte Sexualität und damit ein wesentliches
Stück Lebensqualität für die betroffenen Patienten zurück-
gewonnen werden.
s
Dr. med. Christian Leiber Medienbeauftragter und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Andrologie (DGA) Oberarzt Klinik für Urologie, Kinderurologie und Urogynäkologie Leiter Schwerpunkt Andrologie Krankenhaus Maria-Hilf der Alexianer Krefeld GmbH D-47805 Krefeld
Interessenlage: Der Autor deklariert folgende Interessenkonflikte: Reisesponsoring/Kongressbesuche: GlaxoSmithKline GmbH, Berlin-Chemie AG, Pfizer Pharma GmbH, Lilly Deutschland GmbH, Bayer Vital GmbH, Coloplast GmbH; Vortragshonorare: Janssen-Cilag GmbH, Berlin-Chemie AG, Jenapharm GmbH, Coloplast GmbH, GlaxoSmithKline GmbH, Bayer Vital GmbH, AMS Deutschland GmbH bzw. Boston Scientific, Akademie der Deutschen Urologen, Medical Tribune; Beratertätigkeit/Gastoperateur: Bayer Vital GmbH, AMS Deutschland GmbH bzw. Boston Scientific, Coloplast GmbH.
Dieser Artikel erschien zuerst in «doctors today» 1/2022. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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Literatur: 1. Salonia A et al.: EAU Guidelines on Sexual and Reproductive Health.
European Association of Urology 2022; https://d56bochluxqnz.cloudfront.net/documents/full-guideline/EAU-Guidelines-on-Sexual-andReproductive-Health-2022.pdf. 2. Kouidrat Y et al.: High prevalence of erectile dysfunction in diabetes: a systematic review and meta-analysis of 145 studies. Diabet Med. 2017;34(9):1185-1192. 3. Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2020. Eine Bestandsaufnahme. Factsheet der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). 4. Corona G et al.: Type 2 diabetes mellitus and testosterone: a meta-analysis study. Int J Androl. 2011;34(6 Pt 1):528-540. 5. Rao PM et al.: Testosterone and insulin resistance in the metabolic syndrome and T2DM in men. Nat Rev Endocrinol. 2013;9(8):479-493. 6. Fonseca V, Jawa A: Endothelial and erectile dysfunction, diabetes mellitus, and the metabolic syndrome: common pathways and treatments? Am J Cardiol. 2005;96(12B):13M-18M. 7. Gandhi J et al.: The Role of Diabetes Mellitus in Sexual and Reproductive Health: An Overview of Pathogenesis, Evaluation, and Management. Curr Diabetes Rev. 2017;13(6):573-581.
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