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BERICHT
Chronische Atemwegserkrankungen
Asthma und COPD: Wo braucht es Steroide?
Bei den chronischen Atemwegserkrankungen Asthma und COPD werden die Guidelines immer wieder der Entwicklung angepasst. Was es für die Diagnose der beiden Erkrankungen braucht, welche Therapien wann indiziert sind und wo ein Einsatz von Kortikosteroiden nach heutiger Auffassung nutzbringend ist, erklärte Prof. Robert Thurnheer, Chefarzt Medizinische Klinik, Spital Thurgau, Münsterlingen, am FOMF Innere Medizin Update Refresher in Zürch.
Asthma ist häufig. Es ist eine potenziell schwerwiegende, chronische Erkrankung, die kontrollierbar ist, aber nicht heilbar. Die Patienten leiden unter Kurzatmigkeit, Engegefühl in der Brust und unter Husten. Die Symptome entstehen aufgrund von Atemwegswandverdickung, Hyperreaktivität, bronchialer Entzündung, Schleimbildung und Remodelling. Die Diagnose sollte aber nicht nur aufgrund der Anamnese gestellt werden. Erst der Nachweis einer variablen Atemwegsobstruktion mit einem Reversibilitätstest und falls nötig einem Bronchoprovokationstest bestätigt die Asthmadiagnose. Die anschliessende Therapie sollte auf die Symptomkontrolle und die Vermeidung von Exazerbationen ausgelegt sein, wobei Letzteres aufgrund ihrer Gefährlichkeit zu priorisieren sei, so Thurnheer. Gemäss den derzeitigen GINA-Guidelines (2021) besteht die Basistherapie aus einer Kombination eines Bronchodilatators mit einem inhalativen Kortikosteroid (ICS). Dies vor dem Hintergrund, dass ein kurz wirksamer Beta-2-Agonist (SABA) allein zwar eine sofortige Linderung bringt, doch keinen Schutz vor schweren Exazerbationen bietet. Im Gegenteil: Bei regelmässigem oder häufigem SABA-Verbrauch steigt das Risiko für Exazerbationen sogar. Bei einem Verbrauch von ≥ 3 Inhalatoren pro Jahr steigt das Risiko für schwere Exazerbationen, bei ≥ 12 pro Jahr das Risiko für asthmabedingten Tod (1).
MERKSÄTZE ASTHMA
� Asthmadiagnose einmal im Leben sichern.
� Eine Dauertherapie mit ICS in den Stufen 1 und 2 ist nicht in jedem Fall nötig, Bedarfstherapie ist möglich. Das spart Steroide.
� Auch an die Möglichkeit der Deeskalation denken.
� Bei Exazerbationen den Grund suchen, Inhalationstechnik überprüfen.
� Moderne Therapiemöglichkeiten erwägen.
Bei Patienten mit mildem Asthma ist deshalb für die Basistherapie bei Bedarf vorzugsweise eine Kombination aus tief dosiertem ICS und dem lang wirksamen Beta-2-Agonisten (LABA) Formoterol angezeigt oder ein normal dosiertes ICS plus ein SABA (1).
Kontrolliert versus unkontrolliert
Das Asthma ist unter Kontrolle, wenn tagsüber keine oder höchstens 2-mal pro Woche Symptome auftreten und die Patienten nachts nicht wegen des Asthmas erwachen oder husten. Die Belastbarkeit sollte nicht eingeschränkt sein, und es sollten keine oder höchstens 2-mal pro Woche Notfallmedikamente verwendet werden müssen. Eine normale Lungenfunktion und die Abwesenheit von Exazerbationen seien ebenfalls Kriterien für eine kontrollierte Asthmaerkrankung (1), so Thurnheer. Ein unkontrolliertes Asthma ist dagegen symptomatisch und zeichnet sich durch ≥ 2 Exazerbationen oder ≥ 1 spitalpflichtige Exazerbation im Vorjahr aus. Das forcierte exspiratorische Volumen (FEV1) liegt unter 80 Prozent, und die Punktzahl im Asthmakontrolltest (ACT-Fragebogen) beträgt ≤ 20. In den GINA-Guidelines 2021 ist die Asthmatherapie in Stufen je nach Krankheitsschwere eingeteilt. Während ein mildes Asthma mit einem Notfallmedikament allein oder zusammen mit einem tief dosierten ICS unter Kontrolle gehalten werden kann, braucht es für schwere Formen hohe ICS-Dosen zusammen mit einem LABA: s Stufe 1 und 2: tief dosiertes ICS/Formoterol zur Bedarfs-
und zur Notfallmedikation, alternativ ein tief dosiertes ICS als Dauertherapie und ein SABA zur Notfallmedikation. s Stufe 3: tief dosiertes ICS/Formoterol als Dauertherapie s Stufe 4: mitteldosiertes ICS/Formoterol, alternativ ein mittel- bis hoch dosiertes ICS/LABA, eventuell zusätzlich ein Leukotrienrezeptorantagonist oder ein lang wirksamer Muskarinantagonist (LAMA) s Stufe 5: zusätzlich LAMA und Durchführung einer Phänotypisierung. Aufgrund dieser werden Anti-IgE, AntiIL5/5R, Anti-IL4R und eventuell hoch dosiertes ICS/Formoterol eingesetzt, je nachdem auch Azithromycin oder orale Kortikosteroide.
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Therapeutische Möglichkeiten bei COPD
LAMA: Spiriva®/Respimat®, Seebri®, Eklira Genuair®, Incruse Ellipta® LABA: Onbrez® Breezhaler®, Foradil®, Serevent®, Oxis®, Striverdi® Respimat® ICS: Pulmicort®, Axotide®, Miflonide® Breezhaler®, Alvesco®, Arnuity Ellipta®, Qvar® LABA/LAMA: Ultibro® Breezhaler®, Anoro Ellipta®, Spiolto® Respimat® LAMA/LABA/ICS: Trelegy®
Quelle: Robert Thurnheer, FOMF IM 2021
Keiner zu alt für Asthma
Das praktische Vorgehen erläuterte der Referent anhand eines Patientenfalls: Der 41-jährige sportliche Mann hatte erstmals eine Anstrengungsdyspnoe, gelegentlich Thoraxschmerzen und Husten, weswegen er in der Nacht erwachte. Ansonsten war er gesund, hatte keine Allergien, nahm keine Medikamente und rauchte auch nicht. Beim Hausarzt wurde eine Spirometrie durchgeführt. Diese ergab ein FEV1 von 3,8 Liter beziehungsweise 82 Prozent der forcierten Vitalkapazität (FVC), der Tiffeneau-Index (FEV1/FVC) lag bei 63 Prozent. Nach der Inhalation eines SABA stieg das FEV1 auf 4,4 Liter (97% FVC) und der Tiffeneau-Index auf 72 Prozent. Damit war der Reversibilitätstest positiv und der Beweis für eine reversible Bronchialobstruktion beziehungsweise für Asthma erbracht. Die Therapie bestand in der Folge aus Budesonid/Formoterol 200/6 µg, 2 Hübe/Tag, während 3 Wochen. Die Symptomatik verbesserte sich damit deutlich. Nach 2 Monaten beendete der Patient die Therapie, was zu einer erneuten Verschlechterung der Symptomatik führte. Im ACT-Test erreichte der Patient 15 von 25 Punkten, er hatte erneut Atemnot und nächtlichen Husten. Das FEV1 betrug 1,9 Liter, der Tiffeneau-Wert lag bei 61 Prozent, das Asthma war somit unkontrolliert. Mit Wiederaufnahme der Therapie (Stufe 3, Dauertherapie niedrig dosiertes ICS/LABA) erholten sich die Werte nach 3 Wochen (ACT 24 von 25 Punkten). Der Patient wurde angewiesen, die Therapie nach einer gewissen Zeit selbst zu deeskalieren und zu versuchen, auf eine niedrig dosierte ICS/LABA-Therapie nach Bedarf (Stufe 2) umzustellen. Das spart Kortikosteroide.
MERKSÄTZE COPD
� Diagnose mit Anamnese und Lungenfunktionstest sichern. � Die Therapie richtet sich mehr nach der Symptomschwere
als nach der Lungenfunktion.
� LAMA können in Kombination mit LABA bei moderater bis schwerer COPD die Lungenfunktion verbessern.
� Dreifachkombination bei hoher Eosinophilie und häufigen Exazerbationen einsetzen.
Die zusätzliche Messung der Eosinophilen ergab einen relativen Anteil von 7,9 Prozent im Sputum (normal: < 3%) und 900/µl im Blut (normal: < 300/µl), was einem T(H)2-high-Phänotyp entspricht. Diese Information wird therapierelevant, wenn die Stufe-4-Therapie nicht mehr ausreichen sollte. Eine eosinophile Entzündung zeigt sich zudem mit erhöhten Werten (> 20 ppb) des exhalierten Stickstoffmonoxids (FeNO). Sind die Symptome weder unter einer niedrig dosierten ICS/ Formoterol-Therapie (Stufe 3) noch unter einer mitteldosierten ICS/Formoterol-Therapie (Stufe 4) kontrollierbar, kann die ICS-Dosis weiter erhöht werden (Stufe 5). Als zusätzliche Optionen können Leukotrienantagonisten, LAMA, AntiIL5/5R (Mepolizumab, Benralizumab) und Anti-IL4R/13 (Dupilumab) eingesetzt werden. Laut Thurnheer sprechen die meisten Patienten mit eosinophilem Asthma gut auf diese Interleukin-(Rezeptor-)Hemmer an. Systemische Kortikosteroide sind auch eine Option, diese sollten aber nur sparsam und über kurze Zeit eingesetzt werden.
Chronisch obstruktive Lungenerkrankung
Wird bei einem Patienten eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) vermutet, reichen für die Diagnose die Anamnese und ein Lungenfunktionstest. Die Symptomschwere wird anhand des CAT-COPD-Assessment-Tests (8 Fragen) erfasst. Die erreichte Punktzahl und die Information über Häufigkeit und Schwere der Exazerbationen dienen der Einteilung in Symptomklassen. Denn die Therapie richte sich vor allem nach den Symptomklassen, so Thurnheer. Diese lassen sich folgendermassen überschlagen: s Symptomklasse A: wenige Symptome, wenige Exazerba-
tionen (0–1, ohne Hospitalisation) s Symptomklasse B: viele Symptome, wenige Exazerbatio-
nen s Symptomklasse C: wenige Symptome, viele Exazerbatio-
nen (≥ 2 oder ≥ 1 mit Hospitalisation) s Symptomklasse D: viele Symptome, viele Exazerbationen. Die Lungenfunktion, die im Gegensatz zu Asthma auch mit einem Bronchodilatator keine Reversibilität zeigt, liegt bei einer manifesten COPD bei < 70 Prozent (FEV1/FVC). Bei einer milden Form (GOLD-Stadium 1) beträgt das FEV1 > 80 Prozent, im GOLD-Stadium 2 (moderat) 50 bis 80 Prozent, im GOLD-Stadium 3 (schwer) 30 bis 50 Prozent und im GOLD-Stadium 4 (sehr schwer) < 30 Prozent (2).
Wann Steroide zur COPD-Therapie?
Die Diskussion um den Nutzen von Kortikosteroiden bei COPD dauert schon lang. Nach heutiger Auffassung beeinflusst eine alleinige Gabe von ICS auf lange Sicht weder die Verschlechterung der Lungenfunktion noch die Mortalität. Es ist aber bekannt, dass der Effekt der ICS durch die Kombination mit LABA moduliert werden kann. Bei Patienten mit moderater bis schwerer COPD und Exazerbationen kann demnach eine solche Kombination die Lungenfunktion und den Gesundheitszustand verbessern und die Exazerbationshäufigkeit reduzieren, die Mortalität bleibt allerdings unbeeinflusst (2). Zu bedenken ist das erhöhte Risiko für Pneumonien unter Therapien mit ICS. Bei einer exazerbationsbedingten Hospitalisation oder bei mehr als 2 moderaten Exazerbationen pro Jahr, bei erhöhten Eosinophilen > 300/µl oder einer zusätzlichen Asthmaana-
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mnese sind gemäss GOLD-Guidelines Kombinationen mit ICS empfohlen. Bei Auftreten von 1 moderaten Exazerbation pro Jahr oder Eosinophilen zwischen 100 und 300/µl kann eine Kombination mit ICS erwogen werden. Treten dagegen wiederholt Pneumonien auf, liegen die Eosinophilen < 100/µl oder besteht eine Anamnese mit Mykobakterieninfekten, ist eine ICS-Gabe nicht empfohlen (2). Für die Therapie bei COPD stehen LAMA, LABA und ICS zur Verfügung, ICS sollten aber nie allein gegeben werden. Es bieten sich auch Zweierkombinationen aus LABA/LAMA an. Die Tripelkombination LAMA/LABA/ICS soll laut Thurnheer nicht routinemässig eingesetzt werden. Bei hoher Eosinophilie und häufigen Exazerbationen sei sie aber eine gute Therapie. Woher Exazerbationen kommen Exazerbationen sind zu je einem Drittel bakteriellen oder viralen Ursprungs, in 20 Prozent der Fälle Folge einer eosinophilen Entzündung. Doch können auch eine Herzinsuffizienz, Lungenembolie oder Pneumonie Exazerbationen auslösen, sodass bei der Abklärung auch Komorbiditäten in Betracht gezogen werden müssen (3). Einen Biomarker für Exazerbationen gibt es nicht, das Krankheitsbild ist hetero- gen, und es wird anamnestisch beschrieben. Die Patienten litten unter mehr Husten, mehr Dyspnoe und mehr Purulenz des Auswurfs, so Thurnheer (3). Wenn jemand viel Sputum und ein Krankheitsgefühl habe, könne ein Antibiotikum ge- geben werden. Der CRP-Wert (C-reaktives Protein) helfe ein bisschen, um Antibiotika zu sparen. Betrage dieser Wert < 20 und liege kein Infiltrat vor, mache man nichts falsch, wenn man keine Antibiotika gebe, so Thurnheer abschliessend. s Valérie Herzog Quelle: «Asthma bronchiale und COPD», FOMF Innere Medizin, 1. bis 5. Dezember 2020 in Zürich. Referenzen: 1. GINA: Asthma management and prevention for adults and children older than 5 years. Updates April 2021. https://ginasthma.org/wp-content/ uploads/2021/05/GINA-Pocket-Guide-2021-V2-WMS.pdf. Letzter Zugriff: 8.2.22. 2. Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD): Pocket Guide to COPD diagnosis, management, and prevention. 2022. 3. Kim V et al.: What is a COPD exacerbation? Current definitions, pitfalls, challenges and opportunities for improvement. Eur Respir J. 2018;52(5):1801261. doi:10.1183/13993003.01261-2018 ARS MEDICI 8 | 2022 271