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STUDIE REFERIERT
European League Against Rheumatism (EULAR)
Neue Empfehlungen zum kardiovaskulären Risiko bei Rheumapatienten
Patienten mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Es wird vermutet, dass die Entzündung bei rheumatischen und muskuloskelettalen Erkrankungen der massgebliche Treiber für dieses erhöhte Risiko ist. Deshalb wurden von der 20-köpfigen EULAR-Task-Force, bestehend aus Rheumatologen, Kardiologen und weiteren Disziplinen aus 11 Ländern, anhand der vorhandenen Evidenz Empfehlungen zum Management des kardiovaskulären Risikos bei der Therapie von verschiedenen rheumatischen Erkrankungen ausgearbeitet.
Annals of Rheumatic Diseases
Herausgekommen sind 4 übergeordnete Prinzipien zum Management des kardiovaskulären Risikos bei Gicht, Vaskulitis, systemischer Sklerose (SSc), Myositis, gemischten Bindegewebeerkrankungen (MCTD), Sjögren-Syndrom (SS), Lupus erythematodes (SLE) und dem Antiphospholipidsyndrom (APS) sowie 19 spezifische Empfehlungen. Die meisten Empfehlungen haben einen tiefen Evidenzgrad, was der kleinen Anzahl an vorhandenen Studien zur spezifischen Frage nach dem kardiovaskulären Risiko für die hier adressierten rheumatischen und muskuloskelettalen Erkrankungen geschuldet ist. Der Grad der Übereinstimmung der Task-ForceExperten bei den einzelnen Statements war jedoch hoch, sodass die Empfehlungen eine kohärente Sichtweise widerspiegeln.
4 übergeordnete Prinzipien
s Ärzte sollten sich bewusst sein, dass Patienten mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen ein höheres kardiovaskuläres Risiko haben, insbesondere Patienten mit Gicht, Vaskulitis, SSc, Myositis, MCTD, SS, SLE und APS. Eine Reduktion der Krankheitsaktivität kann zur Risikominderung beitragen.
s Rheumatologen sind verantwortlich für die Abklärung und das Management des kardiovaskulären Risikos ihrer Patienten in Zusammenarbeit mit den Hausärzten, Internisten, Kardiologen und anderen Gesundheitsdienstleistern.
s Die kardiovaskulären Risikofaktoren sollten bei allen Patienten mit Rheuma- und muskuloskelettalen Erkrankungen regelmässig gescreent werden. Das Management der Risikofaktoren sollte die Suche danach und die strikte Kontrolle (Rauchstopp, Blutdruck, Lipide und Diabetes) beinhalten. Das Screening zu kardiovaskulären Risikofaktoren sollte innerhalb von 6 Monaten nach Diagnosestellung vorgenommen und je nach Risikoniveau wiederholt werden.
s Aufklärung und Beratung über das kardiovaskuläre Risiko, Behandlungsadhärenz und Lebensstilmodifikation, wie gesunde Ernährung und Bewegung, sind bei diesen Patienten wichtig.
11 Empfehlungen zu Gicht, Vaskulitis, SSc, Myositis, MCTD und SS
1. Bei Patienten mit Gicht, Vakulitis, SSc, Myositis, MCTD und SS sollten die traditionellen kardiovaskulären Risikofaktoren abgeklärt und das Risiko mit den herkömmlichen Scores (z. B. Framingham, SCORE, QRISK3) erfasst werden.
2. Bei einer ANCA-vermittelten Vaskulitis kann das kardiovaskuläre Risiko mit dem Framingham-Score unterschätzt werden. Deshalb sollte zusätzlich das Modell der European Vasculitis Society (EUVAS) zur Anwendung kommen.
3. Bei Patienten mit Gicht, Vaskulitis, SSc, Myositis, MCTD und SS sollte aufgrund fehlender spezifischer Studien das gleiche Blutdruckziel wie bei der Allgemeinbevölkerung verfolgt werden.
4. Bei Gichtpatienten sollten keine Diuretika zur Anwendung kommen. Dies aufgrund einer möglichen Erhöhung des Harnsäurespiegels. Stattdessen sollten Kalziumantagonisten oder Losartan zur Senkung des Blutdrucks verwendet werden.
5. Bei Patienten mit SSc sind aufgrund eines möglichen Raynaud-Phänomens Betablocker als kontraindiziert zu erachten.
6. Bei Patienten mit Gicht, Vakulitis, SSc, Myositis, MCTD und SS sollten aufgrund fehlender gegenteiliger Daten die gleichen Lipidzielwerte wie bei der Allgemeinbevölkerung angestrebt werden.
7. Bei Patienten mit Gicht, Vakulitis, SSc, Myositis, MCTD und SS ist die routinemässige Anwendung von Acetylsalicylsäure (ASS) in der Primärprävention nicht empfohlen. Die Behandlung mit Plättchenhemmern sollte gleich sein wie bei der Allgemeinbevölkerung.
8. Bei Patienten mit Gicht ist ein Serumharnsäurespiegel < 0,36 mmo/l (6 mg/dl) empfohlen, um das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und kardiovaskulären Tod potenziell zu verringern. Retrospektive Studien weisen auf ein steigendes Risiko bei
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steigenden Werten hin, umgekehrt jedoch sind die Resultate bezüglich Risikosenkung unter harnsäuresenkender Therapie nicht ganz klar. 9. Bei Patienten mit Gicht wird keine harnsäurereduzierende Therapie besonders bevorzugt. Beim Vergleich der beiden Xanthinoxidasehemmer Allopurinol und Febuxostat fand sich in Bezug auf kardiovaskuläre Ereignisse kein Unterschied. 10. Bei Patienten mit einer ANCA-vermittelten Vaskulitis reduzieren Induktion und Erhaltung der Remission das kardiovaskuläre Risiko. 11. Bei Patienten mit einer Riesenzellarteriitis wird angenommen, dass eine optimale Glukokortikoidtherapie, die das Rückfallrisiko und die Therapienebenwirkungen gut austariert, das kardiovaskuläre Risiko ebenfalls senkt.
8 Empfehlungen zu SLE und APS
1. Bei Patienten mit SLE und/oder APS sollen klassische und krankheitsbedingte kardiovaskuläre Risikofaktoren eingehend erfasst und auf deren Modifizierung hingewirkt werden.
2. Bei SLE-Patienten ist ein Blutdruckziel von < 130/80 mmHg empfohlen. Liegt eine Lupusnephritis vor, sollen ACE-Hemmer oder Sartane verwendet werden, wenn das Protein/Kreatinin-Verhältnis im Urin > 500 mg/g beträgt oder eine arterielle Hypertonie besteht. Für Patienten mit APS gelten die gleichen Empfehlungen zum Blutdruck wie bei der Allgemeinbevölkerung.
3. Bei Patienten mit SLE und/oder APS gelten zur Behandlung einer Hyperlipidämie die gleichen Empfehlungen wie bei der Allgemeinbevölkerung.
4. Bei Patienten mit SLE kommen die gleichen Präventionsstrategien infrage wie bei der Allgemeinbevölkerung, inklusive tief dosierte ASS, je nach kardiovaskulärem Risikoprofil. Bei asymptomatischen Trägern von Antiphospholipidantikörpern (aPL) mit hohem Risikoprofil, mit oder ohne klassische Risikofaktoren, ist eine prophylaktische Gabe von 75 bis 100 mg ASS dagegen empfohlen. Für SLE-Patienten ohne anamnestische Thrombose- oder Schwangerschaftskomplikationen ist eine prophylaktische, tief dosierte ASS-Gabe angezeigt, wenn
ein Hochrisiko-aPL-Profil vorliegt.
Bei einem Tiefrisiko-aPL-Profil
kann eine solche erwogen werden.
5. Bei Patienten mit SLE sollte eine
tiefe Krankheitsaktivität angestrebt
werden, um das kardiovaskuläre
Risiko zu reduzieren.
6. Bei SLE-Patienten sollte die Gluko-
kortikoidbehandlung mit der tiefst-
möglichen Dosis erfolgen, um das
kardiovaskuläre Schadenspotenzial
zu minimieren.
7. Eine in Bezug auf die Senkung des
kardiovaskulären Risikos spezifi-
sche immunsuppressive Behand-
lung von SLE-Patienten kann nicht
empfohlen werden, weil hierzu kein
Zusammenhang gefunden werden
konnte.
8. Die für alle SLE-Patienten empfoh-
lene Therapie mit Hydroxychloro-
quin scheint gemäss etlichen Stu-
diendaten auch das kardiovasku-
läre Risiko zu reduzieren.
s
Valérie Herzog
Quelle: Drosos GC et al.: EULAR recommendations for cardiovascular risk management in rheumatic and musculoskeletal diseases, including systemic lupus erythematosus and antiphospholipid syndrome. Ann Rheum Dis. 2022;annrheumdis-2021-221733; doi:10.1136/annrheumdis-2021-221733.
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