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BERICHT
MTX, Biologika und JAK-Hemmer
Neue Reihenfolge bei rheumatoider Arthritis?
Möglicherweise kommt mittelfristig Bewegung in die gängigen Algorithmen zur Behandlung bei rheumatoider Arthritis (RA). An einem von Rheuma Schweiz und der Abteilung für Rheumatologie am Kantonsspital St. Gallen organisierten Webinar stellte Prof. Torsten Witte den aktuellen Stand zu neuen Strategien bei RA vor, wobei er auch auf die Diskussionen um das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und Krebs im Zusammenhang mit JAK-Hemmern einging.
«Die rheumatoide Arthritis ist nicht nur eine Erkrankung, die Gelenke zerstört, sondern sie führt auch zu einer Verkürzung der Lebenserwartung», sagte Prof. Torsten Witte, Klinik für Rheumatologie und Immunologie, Medizinische Hochschule Hannover. Seit der Einführung der Biologika vor rund 20 Jahren ist die Auswahl wirksamer Medikamente für RA-Patienten erheblich gewachsen. Die in der Schweiz verfügbaren Substanzen sind in der Tabelle zusammengefasst. Ziel jeglicher Therapie bei RA ist das Erreichen der Remission, und daran wird sich künftig nichts ändern. Zu überdenken sei aber der therapeutische Weg zu diesem Ziel, sagte Witte. Wenn Methotrexat (MTX), das Basistherapeutikum bei RA, allein oder in Kombination mit Steroiden und konventionellen «disease-modifying antirheumatic drugs» (DMARD) nicht ausreiche, stelle sich heutzutage die Frage, ob im nächsten Schritt MTX mit einem Biologikum oder mit einem JAK-Hemmer kombiniert werden solle. Auf den ersten Blick scheinen die JAK-Hemmer die Nase vorn zu haben. So zeigte sich zum Beispiel in der SELECTCOMPARE-Studie eine bessere Wirksamkeit des JAK-Hemmers Upacitinib im Vergleich mit Adalimumab (1). Ähnliche Resultate hätten Head-to-head-Studien mit Adalimumab und anderen JAK-Hemmern ergeben, und bei der Hemmung der radiologisch nachweisbaren Progression, einem Endpunkt, bei dem TNF-Hemmer besonders gut abschnitten, seien die JAK-Hemmer nicht schlechter gewesen, so Witte. Auf der anderen Seite vergibt man keine Chance, wenn man zuerst zu einem TNF-Blocker greift, auch wenn später doch zu einem JAK-Hemmer gewechselt werden muss, weil der Patient nicht ausreichend auf den TNF-Hemmer anspricht. Das zeigte eine Post-hoc-Analyse der oben genannten Studie (2). Die Patienten konnten auf das jeweils andere Medikament umsteigen, falls die Wirkung der zuerst eingesetzten Substanz ungenügend war. Nach 48 Wochen waren die Ergebnisse für die Parameter Remission und niedrige Krankheitsaktivität bei den Patienten, die gewechselt hatten, gleich – egal, ob zuerst der JAK-Hemmer oder zuerst der TNF-Blocker zum Einsatz gekommen war. «Man verliert also nichts, wenn man zuerst 3 Monate den TNF-Blocker probiert und dann erst zum JAK-Hemmer wechselt. Wir können unsere therapeutische Freiheit nutzen, ohne dem Patienten zu schaden», sagte der Referent.
JAK-Hemmer als Sicherheitsrisiko
In den Zulassungsstudien für den JAK-Hemmer Tofacitinib kam es zu einem Anstieg der Serumlipide, und in der Verumgruppe traten Lymphome häufiger auf als unter Plazebo. Deshalb verlangte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA eine Post-Marketing-Sicherheitsstudie zur Abklärung dieser Risiken. In der ORAL-Surveillance-Studie sollte gezeigt werden, dass Tofacitinib in dieser Hinsicht den TNF-Blockern nicht unterlegen war, doch es kam anders (3). In die Studie wurden 4362 RA-Patienten eingeschlossen. Sie waren mindestens 50 Jahre alt, und sie hatten mindestens einen kardiovaskulären Risikofaktor. Die Studie war nicht verblindet. Alle Patienten erhielten MTX. Je ein Drittel der Probanden bekam 2-mal täglich 5 oder 10 mg Tofacitinib oder einen TNF-Blocker (Adalimumab 40 mg s.c. alle 2 Wochen oder 50 mg Etanercept wöchentlich). Als im Lauf der Studie ein erhöhtes Risiko für Lungenembolien unter der 10-mg-Dosis auftrat (5-mal höher als mit einem TNF-Blocker), wurden alle Patienten auf 2-mal täglich 5 mg umgestellt (4). Nach einem Follow-up von im Mittel 4 Jahren erlitten 3,4 Prozent der Patienten mit Tofacitinib ein schweres kardiovaskuläres Ereignis (MACE: major adverse cardiac event, das heisst kardiovaskulär bedingter Tod, nicht tödlicher Herzinfarkt oder Schlaganfall). Mit dem TNF-Blocker waren es 2,5 Prozent. Der Unterschied war statistisch nicht signifikant (Hazard Ratio [HR] 1,33; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,91–1,94). Die «number needed to harm» (NHH) betrug 113 Patienten. Das heisst: Wenn 113 Patienten mit 2-mal täglich 5 mg Tofacitinib behandelt werden, tritt im Vergleich mit der TNF-Blocker-Therapie 1 zusätzliches MACE innert einem Behandlungszeitraum von 5 Jahren auf. Bei der 10-mg-Dosis betrug die NHH 64 Patienten. Krebserkrankungen traten bei 4,2 Prozent der Patienten mit dem JAK-Hemmer und bei 2,9 Prozent derjenigen mit einem TNF-Blocker auf (HR: 1,48; 95%-KI: 1,04–2,09); dieser Unterschied war statistisch signifikant. Die NHH betrug 55 in beiden Dosisgruppen. Hinsichtlich der Wirksamkeit der Therapien zeigte sich kein Unterschied zwischen den 3 Gruppen.
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Tabelle:
Disease-Modifying Antirheumatic Drugs (DMARD) bei rheumatoider Arthritis
Substanzen
Wirkung/Zielmolekül Handelsnamen
csDMARD (conventional synthetic DMARD, Basistherapeutika) Hydroxychloroquin Leflunomid Methotrexat Sulfasalazin
Antiphlogistikum Plaquenil®
Immunsuppressivum
Arava® und Generika
Immunsuppressivum Methotrexat*
Antiphlogistikum Salazopyrin®
tsDMARD (targeted synthetic DMARD) Baricitinib Tofacitinib Upadacitinib
JAK-Hemmer Olumiant® JAK-Hemmer Xelianz® JAK-Hemmer Rinvoq®
boDMARD (biological original DMARD) Abatacept Adalimumab Certolizumab Etanercept Golimumab Infliximab Rituximab Sarilumab Tocilizumab
T-Zell-Kostimulator-Blocker Orencia®
TNF-Hemmer Humira®
TNF-Hemmer Cimzia®
TNF-Hemmer Enbrel®
TNF-Hemmer
Simponi®
TNF-Hemmer
Remicade®
CD-20-Antikörper Mabthera®
IL-6-Hemmer Kevzara®
IL-6-Hemmer Actemra®
bsDMARD (Biosimilars)
Adalimumab
TNF-Hemmer
Etanercept
TNF-Hemmer
Infliximab
TNF-Hemmer
Rituximab
Anti-CD-20-Antikörper
Abrilada®, Amgevita®, Idacio®, Imraldi™, Hulio®, Hyrimoz® Erelzi®, Benepali® Remsima®, Inflectra® Rixathon®, Truxima®
nach Meier B, Michel B: Basistherapien in der Übersicht. Disease Modifying Antirheumatic Drugs (DMARDs). Rheuma Schweiz, 31. März 2020, www.rheuma-schweiz.ch und compendium.ch, Stand: 8. März 2022; Substanzen in alphabetischer Reihenfolge IL: Interleukin, JAK: Januskinase; TNF: Tumornekrosefaktor *zahlreiche Methotrexatpräparate verschiedener Hersteller
Reaktionen von Arzneimittelbehörden
Die FDA erliess eine Black-Box-Warnung für Tofacitinib und andere JAK-Hemmer. Für Letztere gebe es zwar noch keine entsprechenden Studien, aber man gehe davon aus, dass angesichts der gleichen Wirkungsmechanismen auch bei anderen JAK-Hemmern mit ähnlichen Risiken zu rechnen sei. Das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) der EMA hat mit einem Prüfverfahren bezüglich der mit JAK-Hemmern assoziierten Risiken begonnen. Bereits 2020 wurde anlässlich vorläufiger Studienergebnisse der Text der Fachinformation und des Beipackzettels angepasst (5). In der Schweiz informierte der Hersteller die Ärzteschaft in Absprache mit Swissmedic über die Ergebnisse der ORALSurveillance-Studie (6). Tofacitinib soll bei folgenden Patienten nur dann eingesetzt werden, wenn keine geeigneten Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen: s Patienten über 65 Jahre s Patienten, die gegenwärtig rauchen oder früher geraucht
haben s Patienten mit anderen kardiovaskulären Risikofaktoren s Patienten mit anderen Risikofaktoren für maligne Er-
krankungen.
Bereits Anfang 2021 wurde die Zulassung für die 10-mg-Dosis von Swissmedic aufgrund der oben erwähnten Meldung vorläufiger Studienergebnisse (4) zurückgenommen.
Registerdaten sprechen gegen generell erhöhte Risiken der JAK-Hemmer
Viele Teilnehmer der ORAL-Surveillance-Studie waren Raucher oder Exraucher. Nur bei ihnen habe man die erhöhten Risiken mit dem JAK-Hemmer gesehen, sagte Witte. Überdies seien für ihn noch viele Fragen zu möglichen weiteren Risikofaktoren offen, zum Beispiel zum mittleren Krankheitsverlauf sowie zu der Frage, ob alle Patienten weiterhin MTX genommen hätten und wie es mit der zusätzlichen Kortisongabe ausgesehen habe. Das alles wisse man zu dieser Studie nicht, wohl aber aus RA-Registern: «Hier haben wir die Möglichkeit, hervorragend gematchte Patienten miteinander zu vergleichen.» Anders als in der Studie sehe man in den Registerdaten kein generell erhöhtes MACE- und Krebsrisiko unter Tofacitinib, sagte Witte. Als Beispiel nannte er das US-amerikanische RA-Register CorEvitas (7).
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Krankenkassendaten zu Tofacitinib weisen in die gleiche Richtung. In der STAR-RA-Studie wurden das MACE- und das Krebsrisiko von 2 Kohorten mit RA-Patienten miteinander verglichen, die eine Therapie mit Tofacitinib oder mit einem TNF-Blocker begonnen hatten (8, 9). Während bei der unselektierten Kohorte, sozusagen in der Real-world-Situation, keine Unterschiede bei diesen Risiken nachweisbar waren, sah das in der gemäss den Kriterien der ORAL-Surveillance-Studie ausgewählten Kohorte anders aus. Bei den selektionierten Patienten traten, wie in der Studie, mit Tofacitinib im Vergleich mit TNF-Blockern mehr Malignome (8) und mehr MACE (9) auf, wobei die Unterschiede statistisch nicht signifikant waren. Für die Praxis bedeute dies, dass es derzeit keine generelle Empfehlung für die primäre Entscheidung zwischen einem Biologikum oder einem JAK-Hemmer gebe, sondern das Patientenprofil individuell zu bewerten sei, so Witte.
Was kommt nach dem Biologikum?
Noch wenig erforscht ist die Frage, was man geben sollte, wenn das Biologikum nicht die gewünschte Wirkung erzielt. In einer Studie aus St. Gallen zeigte das Team um Prof. Andrea Rubbert-Roth, dass der JAK-Hemmer Upadacitinib in dieser Situation dem T-Zell-Kostimulator-Blocker Abatacept überlegen war, aber um den Preis vermehrter Nebenwirkungen (10). Auch hier gelte es wieder, die Patienten sorgfältig auszuwählen und Komorbiditäten zu berücksichtigen, sagte Witte: «Einem Patienten mit Infektneigung geben wir vielleicht ein anderes Medikament, während ein jüngerer Patient mit wenig Komorbidität für den JAK-Hemmer eher in Betracht kommt.»
MTX für immer «first line»?
Bis anhin ist MTX das unangefochtene First-line-Medikament bei RA. Es gilt zudem als «Ankermedikament», weil man es mit anderen RA-Medikamenten kombinieren kann. Mittlerweile geht man in Studien der Frage nach, ob andere Wirkstoffklassen ebenfalls als First-line-Option infrage kommen. So hatte sich in der SELECT-EARLY-Studie (11) gezeigt, dass Upadacitinib MTX in der Wirkung überlegen war. Sicher würde man das preiswerte MTX zurzeit nicht gegen die teuren JAK-Hemmer eintauschen, aber auch diese Substanzen würden einmal ihren Patentschutz verlieren und günstiger werden, sagte Witte. Den Vorteil der Kombinierbarkeit haben die JAK-Hemmer allerdings nicht, sodass er in 5 bis 10 Jahren mit interessanten Diskussionen in den Leitlinienkommissionen rechnet. Systematisch geht man der Frage nach der besten Firstline-Therapie in der NORD-STAR-Studie nach (12). Rund 800 neu diagnostizierte RA-Patienten in einem sehr frühen Stadium (RA-Symptome seit maximal 2 Jahren) wurden in 4 Therapiearme aufgeteilt: s MTX + Kortikoide bzw. Sulfasalazin/Hydroxychloro-
quin (konventionelle Therapie)
s MTX + Certolizumab
s MTX + Abatacept
s MTX + Tocilizumab.
Der Endpunkt war Remission nach 24 Wochen. Das Resul-
tat: Alle 4 Strategien führten zu einer annähernd gleichen
Erfolgsrate: «MTX ist nach wie vor ein sehr, sehr gutes Me-
dikament», sagte Witte.
s
Renate Bonifer
Prof. Torsten Witte: Rheumatoide Arthritis – müssen wir unsere Strategien überdenken? Webinar von Rheuma Schweiz am 21. Februar 2022, organisiert von Prof. Johannes von Kempis und Prof. Andrea Rubbert-Roth, Klinik für Rheumatologie, Kantonsspital St. Gallen.
Referenzen: 1. Fleischmann RM et al.: Safety and effectiveness of upadacitinib or adali-
mumab plus methotrexate in patients with rheumatoid arthritis over 48 weeks with switch to alternate therapy in patients with insufficient response. Ann Rheum Dis. 2019;78(11):1454-1462. 2. Mysler E et al.: Impact of Upadacitinib or Adalimumab as Initial Therapy on the Achievement of 48-Week Treatment Goals in Patients with Rheumatoid Arthritis and Inadequate Response to Methotrexate: Post Hoc Analysis of a Phase 3 Study [abstract]. Arthritis Rheumatol. 2020; 72 (suppl 10); https://acrabstracts.org/abstract/impact-of-upadacitinibor-adalimumab-as-initial-therapy-on-the-achievement-of-48-weektreatment-goals-in-patients-with-rheumatoid-arthritis-and-inadequateresponse-to-methotrexate-post-hoc-analysis-o/, abgerufen 8. März 2022. 3. Ytterberg SR et al.: Cardiovascular and Cancer Risk with Tofacitinib in Rheumatoid Arthritis. N Engl J Med. 2022;386(4):316-326. 4. Mitteilung des Herstellers vom 29. April 2019, https://www.swissmedic. ch/swissmedic/de/home/humanarzneimittel/marktueberwachung/ health-professional-communication--hpc-/dhpc-xeljanz_tofacitinib.html, abgerufen am 8. März 2022. 5. Meeting highlights from the Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) 7–10 February 2022, https://www.ema.europa.eu/en/ news/meeting-highlights-pharmacovigilance-risk-assessmentcommittee-prac-7-10-february-2022, abgerufen am 8. März 2022. 6. Mitteilung des Herstellers vom 15. September 2021, https://www. swissmedic.ch/swissmedic/de/home/humanarzneimittel/ marktueberwachung/health-professional-communication--hpc-/ dhpc-xeljanz-tofacitinib0.html, abgerufen am 8. März 2022. 7. https://www.corevitas.com/registry/rheumatoid-arthritis 8. Khosrow-Khavar F et al.: Risk of Malignancy in Patients Treated with Tofacitinib: Results from the Safety of TofAcitinib in Routine Care Patients with Rheumatoid Arthritis (STAR-RA) Study [abstract]. Arthritis Rheumatol. 2021; 73 (suppl 10); https://acrabstracts.org/abstract/risk-ofmalignancy-in-patients-treated-with-tofacitinib-results-from-the-safetyof-tofacitinib-in-routine-care-patients-with-rheumatoid-arthritis-starra-study/, abgerufen 8. März 2022. 9. Khosrow-Khavar F et al.: Tofacitinib and risk of cardiovascular outcomes: results from the Safety of TofAcitinib in Routine care patients with Rheumatoid Arthritis (STAR-RA) study [published online ahead of print, 2022 Jan 13]. Ann Rheum Dis. 2022;annrheumdis-2021-221915. 10. Rubbert-Roth A et al.: Trial of Upadacitinib or Abatacept in Rheumatoid Arthritis. N Engl J Med. 2020;383(16):1511-1521. 11. van Vollenhoven R et al.: Efficacy and Safety of Upadacitinib Monotherapy in Methotrexate-Naive Patients With Moderately-to-Severely Active Rheumatoid Arthritis (SELECT-EARLY): A Multicenter, Multi-Country, Randomized, Double-Blind, Active Comparator-Controlled Trial. Arthritis Rheumatol. 2020;72(10):1607-1620. 12. Hetland ML et al.: Active conventional treatment and three different biological treatments in early rheumatoid arthritis: phase IV investigator initiated, randomised, observer blinded clinical trial. BMJ. 2020;371:m4328.
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