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FORTBILDUNG
Onychomykosen, Psoriasis und andere Nagelveränderungen
Diagnostik und Therapie häufiger Erkrankungen der Finger- und Zehennägel
Nagelerkrankungen sind von besonderer Relevanz, weil sie die Lebensqualität oft deutlich beeinträchtigen und nicht selten falsch behandelt werden. Die häufigsten Nagelkrankheiten sind Onychomykosen, Nagelpsoriasis, Zehennagelveränderungen bei orthopädischen Anomalien und bei Jugendlichen der Unguis incarnatus der Grosszehe.
Eckart Haneke
Onychomykosen
Nagelpilzinfektionen werden als die häufigsten Nagelkrankheiten angesehen. Je nach Altersgruppe beträgt die Prävalenz bis zu 30 Prozent der Bevölkerung, mit kontinuierlicher Zunahme mit dem Alter. In manchen Berufsgruppen ist fast jeder Zweite betroffen, was auf die Bedeutung eines intensiven Erregerkontakts hinweist. Prädispositionsfaktoren sind Traumen der Nägel, hier insbesondere Nagelextraktionen, sowie Durchblutungsstörungen, Neuropathien und Immunsuppres-
MERKSÄTZE
� Nagelpilzinfektionen (Onychomykosen) gelten als die häufigsten Nagelkrankheiten und bilden bezüglich Erreger, Krankheitsdauer, Infektionswegen und einer sehr variablen Klinik eine heterogene Gruppe. Die Behandlung erfolgt je nach Ausmass des Befalls mit lokalen oder systemischen Antimykotika.
� Die Psoriasis ist die Dermatose mit dem häufigsten Nagelbefall und kann je nach Anzahl befallener Nägel und Schwere der Symptomatik entweder lokal mit Steroiden, Vitamin-DAnaloga bzw. deren Kombination oder aber systemisch mit Methotrexat, Cyclosporin und Retinoiden sowie mit Fumarsäureester, Apremilast und Tofacitinib behandelt werden. Sind Letztere nicht ausreichend wirksam, können auch Biologika eingesetzt werden.
� Zehennagelveränderungen bei orthopädischen Anomalien werden häufig mit Onychomykosen verwechselt und fälschlicherweise antimykotisch behandelt.
� Eingewachsene Nägel werden zunächst konservativ behandelt. Ist dies nicht ausreichend, kann eine Reihe von chirurgischen Verfahren mit jeweils unterschiedlichen Erfolgsraten und Heilungsverläufen zur Nagelsanierung eingesetzt werden.
sion. Darüber hinaus ist eine autosomal dominante Suszeptibilität von enormer Bedeutung, was die häufige vertikale Infektionskette in betroffenen Familien erklärt. Die Zehennägel sind 7- bis 10-mal häufiger betroffen (Abbildung 1), vermutlich weil sie etwa 3-mal langsamer wachsen als die Fingernägel. Onychomykosen sind chronisch progredient, später oft über Jahre stabil. Die häufigsten Erreger sind Dermatophyten, insbesondere T. rubrum. Onychomykosen stellen eine grosse Gruppe unterschiedlicher Erkrankungen dar, sowohl bezüglich der Erreger und der Krankheitsdauer als auch hinsichtlich des Infektionswegs und damit der sehr variablen Klinik. Vor der Therapie sollte auf jeden Fall eine Diagnostik mit eindeutigem Nachweis eines nagelpathogenen Pilzes erfolgen. Neben den altbewährten Methoden der Direktmikroskopie von Nagelmaterial nach Aufhellung mit 10- bis 20-prozentiger Kalilauge, der Pilzkultur und der Histopathologie, die doppelt so empfindlich ist wie die Kultur, stehen die Polymerasekettenreaktion (PCR), die MALDI-TOF-Spektroskopie (MALDI: matrix-assisted laser desorption/ionization; TOF: time of flight) und vielleicht auch bald die Ultraviolettfluoreszenz zur Verfügung. Wenn weniger als 50 Prozent des Nagels und die Matrix nicht betroffen sind, wird die Lokaltherapie empfohlen. Man sollte zunächst so viel infiziertes Nagelmaterial wie möglich atraumatisch entfernen, wozu sich eine Creme mit 40-prozentigem Harnstoff bewährt hat: Nach Abdecken der umgebenden Haut mit wasserundurchlässigem Pflaster wird die Harnstoffzubereitung messerrückendick auf den Nagel aufgetragen, mit einer Folie okkludiert und dann für etwa 1 Woche belassen; die täglich erneuerte Applikation ist der 1-mal wöchentlichen Therapie unterlegen. Dann wird der aufgeweichte Nagel mit einer Schere entfernt und verbliebenes weiches Hornmaterial abgekratzt. Dieser Vorgang muss meist 2- bis 3-mal wiederholt werden. Danach wird ein antimykotischer Nagellack angewandt, entweder täglich Ciclopirox (8%) in einer wasserlöslichen Lackgrundlage oder Amorolfin (5%)
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1-mal wöchentlich. Diese Therapie muss bis zum vollständigen Herauswachsen eines gesunden Nagels fortgesetzt werden. Sollte sich während dieser Therapie wieder eine stärkere subunguale Hyperkeratose ausbilden, wird der Nagel erneut mit 40-prozentigem Harnstoff aufgeweicht, das hyperkeratotische Material entfernt und danach die antimykotische Lackbehandlung fortgesetzt. Bei Befall von über 50 Prozent des Nagels oder wenn die Matrix von der Infektion berührt wird, ist die zusätzliche systemische Therapie indiziert, für Dermatophyten am günstigsten mit Terbinafin, für andere Infektionen mit Itraconazol als Pulstherapie (z. B. 1 Woche 2-mal täglich 200 mg, gefolgt von 3 behandlungsfreien Wochen). Laser wurden von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zur «temporären Verringerung des infizierten Areals» zugelassen. Neben Ciclopirox und Amorolfin stehen die Lokalantimykotika Bifonazol, Luliconazol, Efinaconazol, Tavaborol und für Schimmelpilzonychomykosen Amphotericin B als Magistralrezeptur zur Verfügung. Der Erfolg der Therapie liegt bei alleiniger Lokalbehandlung bei 10 bis weniger als 50 Prozent, bei alleiniger systemischer Behandlung bei bis zu 50 Prozent; die kombinierte lokale und systemische Therapie halbiert die Versagerquote. Die atraumatische Nagelablösung verringert das Erregerreservoir. Laser zeitigte in kontrollierten Studien nur kurzfristige Besserung. Die immer noch bescheidenen Behandlungsergebnisse trotz guter bis sehr guter Wirkung der Antimykotika im Labor zeigen, dass eine wirksame Onychomykosetherapie mehr als nur die Eradikation des Erregers bedeutet. Die Relevanz der Onychomykosen liegt darin, dass sie die häufigsten Nagelerkrankungen sind, eine Infektion mit Risiko der Ansteckung für suszeptible Personen darstellen und sehr chronisch und oft therapieresistent verlaufen.
Abbildung 1: Onychomykose bei einem Patienten mit diabetischer Neuropathie (© E. Haneke)
Nagelpsoriasis
Die Psoriasis ist die Dermatose mit dem häufigsten Nagelbefall. Das klinische Bild ist sehr unterschiedlich in Abhängigkeit von der befallenen Nagelstruktur und der Schwere. Die häufigsten Nagelveränderungen sind Grübchen und Tüpfel (Abbildung 2), die beide auf demselben Pathomechanismus beruhen, nämlich winzigen Entzündungsherden in der apikalen Matrix. Bei Nagelbettbefall finden sich Ölflecken, subunguale Hyperkeratose und Onycholyse. Wenn der proximale Nagelwall betroffen ist, entsteht das Bild einer Paronychie. Bei schweren Formen kann es auch zur kompletten Nageldestruktion kommen. Weniger häufig sind Splitterblutungen im distalen Nagelbett und die psoriatische Leukonychie. Typisch für die Nagelpsoriasis sind spontane Besserungen beziehungsweise Verschlechterungen. Die Therapie wird entsprechend der Anzahl der befallenen Nägel und der Schwere des Nagelbefalls angepasst: Lokal werden zunächst hoch potente Steroide, Vitamin-D-Analoga oder deren Kombination empfohlen. Sind nur wenige Nägel betroffen, kommt eine periläsionale Steroidinjektion in Betracht. Etwa alle 4 bis 6 Wochen werden 0,05 bis 0,1 ml einer Triamcinolonacetonidkristallsuspension (5 mg/ml) beidseits der Mittellinie in den proximalen Nagelwall in Richtung zur Matrix injiziert. Sind viele Nägel betroffen, empfiehlt sich die systemische Therapie. Eingesetzt werden in erster Linie Methotrexat, Cyclosporin und Retinoide, auch Fumarsäureester,
Abbildung 2: Nagelpsoriasis mit zahlreichen Grübchen der Nageloberfläche (© E. Haneke)
Apremilast und Tofacitinib kommen in Betracht. Sind sie nicht ausreichend wirksam, können Biologika vom Typ der Tumornekrosefaktor-(TNF-)α-, Interleukin-(IL-)17-, IL12/23- oder IL-23-Hemmer eingesetzt werden. Auch die Behandlung mit dem gepulsten Farbstofflaser hat sich als wirksam erwiesen. Für die Behandlung der Nagelpsoriasis bestehen noch keine eindeutigen Richtlinien. Sie kann selbst bei isoliertem Nagelbefall jedoch eine sehr negative Wirkung auf die Lebensqualität haben.
Zehennagelveränderungen bei orthopädischen Anomalien
Bei Zehennagelveränderungen wird oft reflexartig eine Onychomykose vermutet und selbst bei fehlendem Pilznachweis
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Abbildung 3: Onychogrypose bei einem alten, wohnungslosen Patienten (© E. Haneke)
eine antimykotische Therapie eingeleitet. Auch wenn man im Allgemeinen schätzt, dass bis zu 50 Prozent aller Nagelkrankheiten durch Pilze bedingt sind, hat man mit dieser Annahme die 50-prozentige Chance auf eine Fehldiagnose. Bei Zehennagelerkrankungen sollte man sich immer den Fuss ohne und mit Belastung, das heisst im Sitzen und Stehen, ansehen. Sehr häufig finden sich Spreiz-, Platt- oder Knickfuss, Hallux valgus, Hallux valgus interphalangeus, Hallux erectus, Innenrotation der Grosszehe, Hammerzehen, Zehenengstand mit Überlappung oder eine Anlage zum doppelten Kleinzehennagel. Bei genauer Inspektion des veränderten Nagels findet sich meist eine distal-laterale Onycholyse des Grosszehennagels mit nach proximal scharfer Begrenzung. Der Nagelunterseite haftet keine Hyperkeratose an, das Nagelbett ist hier meist ohne bröcklige Hornmassen, und der Pilznachweis bleibt im Allgemeinen negativ. Dieses Krankheitsbild wurde als AGNUS (asymmetric gait nail unit syndrome) bezeichnet, weil sich Skelettanomalien oft von der Wirbelsäule hinab bis zu den Zehen nachweisen liessen. Die ursprünglich strenge Trennung von einer Onychomykose lässt sich jedoch nicht immer einhalten, da Fuss- und Zehendeformationen den Patienten selbstverständlich nicht vor einer Pilzinfektion schützen können. Die Bedeutung des AGNUS liegt in seiner Häufigkeit und der Tatsache, dass es fast nie korrekt diagnostiziert, sondern als Onychomykose angesehen und irrtümlicherweise mit Antimykotika behandelt wird. Die Onychogrypose (Abbildung 3), der bockshornartige Nagel, wird häufig bei älteren, unbeweglichen, oft vernachlässigten und übergewichtigen Personen gesehen. Die Nägel sind extrem dick, wie ein Bockshorn aufgebogen, ohne Haftung am Nagelbett und wegen der Grösse nicht selten chronisch schmerzhaft. Neben der langwierigen podologischen Behandlung kommt in erster Linie die definitive Nagelausrottung als Therapie in Betracht.
Abbildung 4: Ungues incarnati: eingewachsene Grosszehennägel mit Hypertrophie der lateralen Nagelwälle (© E. Haneke)
Tabelle:
Chirurgische Erfolgsraten
Methode Erfolgsrate
Phenolkaustik
> 98%
Matrixhornexzision
> 95%
Vandenbos-Technik
> 90%
Super-U nach Perez Rosa
> 90%
Emmert-Keilexzision 25–50%
Unguis incarnatus
Alle Altersstufen, vom Säugling bis ins hohe Alter, können an einem eingewachsenen Nagel erkranken. Es bestehen jedoch alterscharakteristische Formen des Unguis incarnatus. Die häufigste Form ist das distal-laterale Einwachsen des Grosszehennagels, etwas öfter lateral als medial (Abbildung 4), weil das sehr häufige Abweichen des Nagels nach lateral den Aussenrand der Zehe mehr belastet. Ursache ist ein Missverhältnis von zu breitem Nagel zu distal zu schmalem Nagelbett. Das wird oft durch falsches Schneiden des Nagels, zu enge Socken und Schuhe oder Abbrechen der Nagelecke verursacht. Inwieweit eine Hypertrophie der lateralen Nagelwälle ursächlich ist, bleibt umstritten. Zunächst drückt sich der Nagel in den Nagelsulcus, was zu einer schmerzhaften Entzündung führt. Dann durchbricht die Nagelecke die Epidermis und bohrt sich in das Weichgewebe, das mit einer akuten bis später chronischen Fremdkörperreaktion antwortet; es kommt zu Nässen, Eitern, zur Ausbildung von Granulationsgewebe und bei langem Verlauf zur Hypertrophie mit Fibrose. Im Anfangsstadium ist eine konservative Behandlung indiziert: s Packing: Einlegen von Watte oder Gaze zwischen den ein-
gewachsenen Nagelrand und das Weichgewebe
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s Taping: Wegziehen des Nagelwalls vom Nagelrand s Röhrchenbehandlung: Einschieben eines längs aufge-
schnittenen Kunststoffröhrchens über die seitliche Nagelkante, damit der Sulcus geschützt wird s Orthonyxie: Aufbiegen des meist zu stark transversal gewölbten Nagels mittels Stahl- oder Kunststoffspangen s Nagelverdickung: Aufbringen eines dicken Kunstnagels, der nicht mehr seitlich einschneidet. Daneben gibt es noch viele weitere Methoden, die regional unterschiedlich propagiert werden. Anschliessen muss sich immer eine Dauerprophylaxe mit korrektem Nagelschneiden, um dem erneuten Einwachsen vorzubeugen. Sind konservative Massnahmen nicht erfolgreich, kommt die chirurgische Sanierung in Betracht (vgl. Tabelle). Die Zahl der beschriebenen Operationstechniken ist unübersehbar, und fast täglich werden neue Varianten publiziert. Im Prinzip ist die operative Sanierung einfach: Sieht man den zu breiten Nagel als Ursache an, ist die Nagelverschmälerung die logische Therapie; glaubt man hingegen, eine Nagelwallhyperplasie sei primär, wird man sie operativ verkleinern. Leider sind viele auch heute noch durchgeführte Operationstechniken schon vom Design her falsch, weshalb die Rezidivrate zum Beispiel bei der Keilexzision nach Emmert beziehungsweise Kocher bei 25 bis über 60 Prozent liegt. Die Operation der Wahl ist die selektive laterale Matrixhornentfernung. Sie kann mit dem Skalpell oder viel einfacher und mit höherer Erfolgsrate mittels Phenolkaustik vorgenommen werden. Sachgemäss durchgeführt, hat die Verätzung des lateralen Matrixhorns mit Phenolum liquefactum eine Erfolgsrate von 99 Prozent. Gelegentlich kommen Patienten mit extrem stark hypertrophierten Nagelwällen, sodass eine Weichteilreduktion vor-
genommen werden muss. Je nach Ausprägung gibt es ver-
schiedene Techniken:
s Howard-Dubois-Prozedur
s Vandenbos-Technik
s Super-U-Technik nach Perez Rosa.
Die Emmert-Keilexzision und ihre Variationen, bei der der
proximale Nagelwall, ein Teil der lateralen Matrix, das Na-
gelbett, der laterale Nagelwall und der Nagel exzidiert wer-
den, sind obsolet, da sie sehr häufig Matrixreste mit der Folge
von Rezidiven und schmerzhaften Spicula hinterlassen. Die
Morbidität nach der Operation variiert stark: Nach der Phe-
nolkaustik kann der Patient direkt nach Hause gehen, hat
praktisch keine postoperativen Schmerzen, die Wunde nässt
allerdings noch. Die selektive Matrixhornexzision heilt inner-
halb weniger Tage, ist aber postoperativ etwas schmerzhafter
als die Phenolkaustik. Nach der Vandenbos-Operation dau-
ert die Heilung 3 bis 6 Wochen, manchmal noch länger, und
die Technik des Super-U nach Perez Rosa erfordert eine Hei-
lungszeit von 4 bis 8 Wochen. Die Keilexzision heilt durch-
schnittlich in 3 bis 4 Wochen, meist mit kosmetisch unbefrie-
digendem Ergebnis.
s
Prof. Dr. med. Eckart Haneke Dermaticum Freiburg Kaiser-Joseph-Strasse 262 D-79098 Freiburg im Breisgau
Interessenlage: keine Angaben
Dieser Artikel wurde in Anlehnung an einen Vortrag bei der 51. Tagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft erstellt und erschien zuerst in «DERMAforum», 10/2021. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.