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FORTBILDUNG
Hyperurikämie und Gicht
Wann und wie behandeln?
Die Gicht ist eine häufige und meist chronische Erkrankung, deren Verlauf sowohl durch die Mitarbeit der Patienten als auch durch eine adäquat angepasste medikamentöse Therapie steuerbar ist. Neben den «klassischen» Behandlungsoptionen gibt es einige neue Substanzen, die zurzeit noch nicht als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden.
Walter Hermann
Die Gicht (Arthritis urica) ist eine metabolische Systemerkrankung, die auf eine Hyperurikämie zurückzuführen ist. Eine Hyperurikämie liegt in Deutschland bei etwa 20 Prozent der Erwachsenen vor (Männer sind häufiger betroffen als Frauen). Die Gicht entsteht durch kristalline Mononatriumuratablagerungen und ist bei Männern die häufigste Form einer Arthritis. Sie gilt als klassische ernährungsabhängige Erkrankung, deren Häufigkeit weltweit ansteigt. Voraussetzung für die Entstehung einer Arthritis urica ist in der Regel eine Hyperurikämie (Harnsäure ≥ 6,8 mg/dl [408 µmol/l]). Die Ursache für eine Erhöhung des Harnsäurespiegels ist in den meisten Fällen eine positive Nettobilanz, bedingt durch eine Kombination von verminderter renaler Ausscheidung und erhöhter Purinzufuhr. Deutlich seltener sind sekundäre Hyperurikämien als Folge einer endogenen Überproduktion von Uraten, zum Beispiel im Rahmen maligner Erkrankungen. Neben einer Hyperurikämie sind auch andere, zum Teil noch unbekannte Faktoren für die Auslösung eines Gichtanfalls verantwortlich.
Wie manifestiert sich eine Gicht klinisch?
Die primäre Manifestation einer Gicht (Stadieneinteilung: vgl. Tabelle 1) ist meist eine akut auftretende Monarthritis.
MERKSÄTZE
� Die Primärmanifestation der Gicht ist oft die akute Monarthritis, am häufigsten am Grosszehengrundgelenk.
� Während des Anfalls ist die Harnsäure oft noch normal.
� Goldstandard der Diagnostik ist der Nachweis von Uratkristallen im Gelenkpunktat.
� Die primäre Therapie des Gichtanfalls besteht aus NSAR, Colchicin und Glukokortikoiden.
Differenzialdiagnostisch kommen hierfür verschiedene Krankheitsbilder in Betracht (vgl. Tabelle 2). Der Gichtanfall zeichnet sich meist durch massivste Schmerzen, eine ausgeprägte Schwellung sowie eine Rötung und auch durch Hautschuppung des betroffenen Gelenks aus. Die Anfälle kommen für die Betroffenen oft «aus heiterem Himmel» und beginnen häufig in den Nacht- oder frühen Morgenstunden. Als Trigger können nutritive Faktoren (v. a. Alkohol), eine kürzlich begonnene oder verstärkte Diuretikatherapie (Verschiebungen des Harnsäurepools) oder eine Fastenperiode (Änderung des Uratpools) wirken. Maligne Erkrankungen können eine sekundäre Hyperurikämie verursachen. Am häufigsten von einem akuten Gichtanfall betroffen ist das Grosszehengrundgelenk (Podagra) (Abbildung 2), danach folgen Mittelfuss (Tarsitis), Sprunggelenk, Kniegelenke, Handgelenke (Chiragra) oder Ellenbogengelenke. Die Anfälle klingen meist nach 7 bis 14 Tagen von selbst wieder ab. Im weiteren Verlauf sind Rezidive häufig. Zusätzlich finden sich bei vielen Patienten Uratablagerungen periartikulär oder in verschiedenen Weichteilen (Gichttophi) (Abbildung 3). Eine Besonderheit der oberflächlich gelegenen Gichttophi ist die Neigung zur Exulzeration mit sekundärer Superinfektion (Abbildung 4). Bei etwa 10 bis 20 Prozent der Patienten kann es im Rahmen einer Gicht zu einer Nephrolithiasis (Urat-/Oxalatsteine) mit dem entsprechenden klinischen Bild rezidivierender Nierenkoliken kommen.
Wie kann man eine Gicht nachweisen?
Goldstandard der Diagnostik ist der direkte Nachweis von Uratkristallen im Gelenkpunktat oder im periartikulären Gewebe. Gerade bei unklaren Fällen sollte dies stets versucht werden. Im Rahmen der Gelenkpunktion kann auch eine wichtige Differenzialdiagnose, die septische Arthritis, ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund sollte mit dem Punktat eine Gramfärbung durchgeführt und eine Kultur angelegt werden. Eine Kristallanalyse (intra- und extrazelluläre Kris-
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Kasuistik – Rheuma oder Gicht?
C. M., männlich, 64 Jahre, Zuweisung durch einen internistisch-rheumatologischen Kollegen mit der Diagnose rheumafaktornegative, CCP-AK-negative rheumatoide Arthritis. Anamnestisch seit ca. 3 Jahren immer wieder auftretende, sehr schmerzhafte Arthritiden in den Vorfüssen, jetzt zunehmende Krankheitsaktivität mit Beteiligung der Ellenbogen, Hände und Kniegelenke. Zusätzlich in den letzten Monaten Auftreten von derben knotigen Veränderungen an den Ellenbogen, die (trotz negativer Rheumafaktoren!) als Rheumaknoten interpretiert wurden. Seit ca. 1 Jahr Therapie mit Methotrexat 15 mg s.c. 1-mal/Woche. Darunter keine Besserung der Beschwerden. Klinisch Adipositas, druckschmerzhafte Schwellung am rechten Kniegelenk sowie am linken Ellenbogen. Laborchemisch moderat erhöhte Entzündungsparameter (CRP: 1,3 mg/dl, BSG: 29 mmHg in der ersten Stunde), Harnsäure: 8,3 mg/dl, Kreatinin: 1,2 mg/dl. Radiologisch keine typischen erosiven Veränderungen im Sinne einer rheumatoiden Arthritis, jedoch grosse, randständige Defekte am Grosszehengrundgelenk beidseits. Das rechte Kniegelenk wurde punktiert, und 60 ml trübes Punktat (Abbildung 1) wurden gewonnen. Im Polarisationsmikroskop zeigten sich massenhaft Harnsäurekristalle, sodass die Diagnose einer Gicht gestellt werden konnte. Die knotigen Veränderungen wurden als Gichttophi bewertet. Die Therapie mit Methotrexat wurde – da sich kein Anhalt für eine rheumatoide Arthritis findet – beendet. Akutbehandlung der Arthritiden mit Prednisolon 40 mg und im weiteren Verlauf rasche Reduktion der Dosis. Gleichzeitig Beginn einer Therapie mit Allopurinol 100 mg sowie Ibuprofen 400 mg 2-mal/Tag. Unter der Kortikoidmedikation deutliche Besserung der Gelenkbeschwerden. Im weiteren Verlauf nach Erhöhung der Allopurinoldosis auf 300 mg/Tag Senkung der Harnsäure auf 6,1 mg/dl, bisher (seit Therapiebeginn 6 Monate) kein Rezidiv. Ibuprofen konnte beendet werden.
talle), möglichst durch ein Polarisationsmikroskop, ist die zentrale Untersuchung zum Nachweis einer Arthritis urica. Zur Kristallanalyse sollte das Punktat nativ oder in EDTARöhrchen asserviert werden. Wenn nur vereinzelt Kristalle vorhanden sind, kann es schwer sein, diese im unbehandelten Punktat nachzuweisen. Daher kann es in manchen Fällen nützlich sein, das Punktat zu zentrifugieren und dieses Sediment dann mikroskopisch zu untersuchen. Erhöhte Harnsäurespiegel bei einer akuten Monarthritis weisen auf eine mögliche Arthritis urica hin. Während eines akuten Gichtanfalls ist es jedoch nicht ungewöhnlich, dass der Serumharnsäurespiegel im Normbereich ist. Bei unauffälligen Harnsäurewerten und dem Verdacht auf eine Gicht sollte deshalb eine Laborkontrolle nach etwa 2 bis 3 Wochen durchgeführt werden. In vielen Fällen steigt in diesem Zeitraum der Harnsäurewert wieder an. Entzündungswerte wie das C-reaktive Protein können im akuten Anfall erhöht sein. Das konventionelle Röntgen kann gerade in den Frühphasen immer wieder unauffällig sein. Bei chronischen Formen lassen sich häufig randständige Gichttophi in Form von «Lochdefekten» nachweisen (Abbildung 5). Röntgenaufnahmen spielen meist nicht die entscheidende Rolle bei der Primärdiagnostik der Gicht, sind aber ein wichtiges Instrument zur Differenzierung der Gicht von anderen Gelenkerkrankungen. Arthrosonografisch lassen sich Harnsäurekristallablagerungen typischerweise als «Doppelkonturzeichen» (echodichte bandförmige Auflagerungen) am Gelenkknorpel nachweisen. Tophi können sich in der Sonografie als echoreiche wolkige Strukturen darstellen. In der Dual-Energy-Computertomografie (DECT) lassen sich mit einer hohen Sensitivität Uratdepots mit einem Volumen von > 1 mm3 erkennen (Abbildung 6). Da es sich bei der DECT um eine nicht invasive, rasch durchgeführte Diagnostik mit hoher Aussagekraft handelt, rückt diese Untersuchungsmethode bei der Diagnostik der Arthritis urica mehr und mehr in den Vordergrund. Im Jahr 2015 wurden gemeinsam vom American College of Rheumatology (ACR) und von der European League Against
Tabelle 1:
Stadieneinteilung der Gicht (nach Dalbeth und Stamps 2014)
Stadium A Stadium B Stadium C Stadium D
asymptomatische Hyperurikämie ohne Hinweis für Uratablagerungen asymptomatische Hyperurikämie mit Uratkristallansammlungen (mikroskopischer oder bildgebender Nachweis) symptomatische Hyperurikämie mit Uratkristallansammlungen fortgeschrittene Gicht (Tophi und/oder chronische Gichtarthritis mit Knochenerosionen)
Tabelle 2:
Wichtige Differenzialdiagnosen bei Vorliegen einer Monarthritis
Septische Arthritis «Pseudogicht» = Chondrokalzinose Rheumatoide Arthritis Arthritis psoriatica Aktivierte Arthrose
Typische Befunde Punktat – Zellzahl/Bakterien, Serum-Entzündungswerte Punktat – Kristallnachweis, typische radiologische Veränderungen Labor (Rheumafaktoren/CCP-AK), typische radiologische Veränderungen typische radiologische Veränderungen/Hautbefund seröses Punktat, typische radiologische Veränderungen
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Rheumatism (EULAR) neue Klassifikationskriterien für die Gicht publiziert. Eingangskriterium ist das Vorliegen von mindestens 1 Episode einer schmerzhaften Schwellung eines peripheren Gelenks oder aber eine Bursitis. Wenn Uratkristalle im Punktat nachgewiesen werden können, gilt die Diagnose als gesichert. Ansonsten gehen weitere klinische und bildgebende Kriterien in die Beurteilung ein (vgl. Tabelle 3).
Abbildung 1: Zellreiches Kniegelenkpunktat bei einem Patienten mit einem akuten Gichtanfall
Abbildung 2: Podagra mit massiver Schwellung und Rötung des Grosszehengrundgelenks
Therapie der Gicht – der akute Gichtanfall
Häufig gehen folgende Faktoren einem akuten Gichtanfall voraus: s vermehrte Purinzufuhr (ausgedehnte Feiern/Bierkonsum) s Fasten, körperliche Anstrengung s Einnahme bestimmter Medikamente (v. a. Neubeginn mit
Diuretika) s Infekte s Traumata s Operationen s seelische Belastungen. Ziele der Therapie des akuten Gichtanfalls sind eine rasche Analgesie sowie eine entzündungshemmende Wirkung. Lokale Kälteanwendungen (Cool-Pack oder Eis) sowie eine Ruhigstellung des Gelenks sind im Anfall sinnvoll und werden von den Patienten häufig bereits von selbst begonnen. Entsprechend den im Jahr 2016 veröffentlichten EULAREmpfehlungen für die Behandlung der Gicht sind die primären pharmakologischen Therapieoptionen im akuten Gichtanfall nicht steroidale Antirheumatika (NSAR), Colchicin und Glukokortikoide (Tabelle 4).
Abbildung 3: Urattophi an ungewöhnlicher Lokalisation bei einem Patienten mit einer sekundären Gicht
Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) Trotz einer insgesamt schwachen Evidenz durch Studien haben NSAR in der Behandlung von akuten Gichtanfällen aufgrund der umfangreichen klinischen Erfahrung einen hohen Stellenwert. Dabei zeigt sich, dass die Wirksamkeit weitgehend unabhängig vom verwendeten Präparat besteht. Am effektivsten erweisen sich Präparate mit einer kurzen Halbwertszeit. Es sollte beachtet werden, dass gerade bei Gichtpatienten aufgrund der Begleiterkrankungen (metabolisches Syndrom!) sowie möglicher Komplikationen einer chronischen Gicht (z. B. Niereninsuffizienz) immer wieder Kontraindikationen gegen den Einsatz von NSAR bestehen. In diesen Fällen muss gegebenenfalls die Dosis des NSAR entsprechend angepasst oder die Therapie auf eine andere Substanzklasse geändert werden.
Colchicin Colchicin erwies sich in mehreren Studien als wirksam beim Einsatz in einem akuten Gichtanfall. Im akuten Anfall wird die Gabe von 1- bis 3-mal 0,5 mg Colchicin täglich empfohlen. Gerade bei den oft älteren Gichtpatienten kann eine Einschränkung der Nierenfunktion den Einsatz dieser Substanz limitieren oder verbieten.
Abbildung 4: Tophöse Gicht mit bakterieller Superinfektion
Glukokortikoide Glukokortikoide (Prednisolon, Triamcinolon), systemisch oder intraartikulär, kommen vor allem dann in Betracht, wenn Kontraindikationen gegen NSAR und Colchicin oder keine ausreichende Wirkung dieser Substanzen bestehen.
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Tabelle 3:
Klassifikationskriterien einer Gicht (nach ACR/EULAR 2015)
Schritt 1: Eingangskriterium ≥ 1 Episode mit schmerzhafter Gelenkschwellung Schritt 2: suffiziente Kriterien Nachweis von Harnsäurekristallen aus einem symptomatischen Gelenk (oder einer Bursa/einem Tophus) Schritt 3: klinische Kriterien Muster der Gelenkbeteiligung – Sprunggelenk oder Mittelfuss oder Grosszehengrundgelenk Gichttypische Gelenkbefunde – Rötung, Druckintoleranz, Functio laesa (z. B. Auftreten nicht möglich) Gichttypische Episoden – Schmerzmaximum nach 24 h, Episodendauer < 14 Tage, interkritische Beschwerdefreiheit Labor: ▲ Serumharnsäure (im beschwerdefreien Intervall) ▲ Synoviaanalyse ohne Kristallnachweis Bildgebung: ▲ typische DECT- oder Ultraschallbefunde ▲ typische Röntgenbefunde DECT: Dual-Energy-Computertomografie; ab 8 Punkte: Klassifikation einer Gicht Wenn nicht vorhanden: keine weitere Anwendung der Kriterien Wenn vorhanden: dann Schritt 2 Wenn ja: Diagnose Gicht gesichert Wenn nein: dann Schritt 3 1–2 Punkte 1–3 Punkte 1–2 Punkte –4 (Harnsäure < 4 mg/dl) bis 4 (Harnsäure ≥ 10 mg/dl) Punkte –2 Punkte 4 Punkte 4 Punkte Interleukin-1β-Antikörper Das Zytokin Interleukin (IL) 1β spielt eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung eines akuten Gichtanfalls. Der in Deutschland bei akuten Gichtanfällen zugelassene IL-1β-Antikörper Canakinumab (150 mg s.c.) senkt die Schmerzintensität besser als intramuskulär verabreichtes Triamcinolon (40 mg). Auch ist die Rezidivrate von Gichtanfällen in den ersten 24 Wochen nach der Behandlung um 62 Prozent geringer als bei der Gabe von Kortikoiden. Nachteile der Gabe von Canakinumab sind eine erhöhte Rate an Nebenwirkungen wie Infektionen, Neutro- oder Throm- ACR-Empfehlungen zur Gichttherapie Die aktuellen Empfehlungen des American College of Rheumatology (ACR) (2020) für den Beginn einer harnsäuresenkenden Dauerbehandlung unterscheiden sich von den EULAR-Leitlinien: ▲ dringende Behandlungsempfehlung: ≥ 1 Gichttophus vorhanden/ radiologisch gichttypische Veränderungen/häufige Gichtanfälle (≥ 2/Jahr) ▲ mögliche Behandlung: bisher > 1 Gichtanfall bei geringer Häufigkeit (< 2/Jahr) ▲ keine Behandlungsempfehlung bei Patienten, die bisher nur 1 Gichtanfall hatten; Ausnahme dann, wenn die Patienten an einer schweren chronischen Nierenerkrankung/an einer Nephrolithiasis leiden oder wenn der Harnsäurewert > 9 mg/dl beträgt ▲ ebenfalls keine Behandlungsempfehlung für Patienten mit einer asymptomatischen Hyperurikämie.
bopenie sowie die nicht unerheblichen Behandlungskosten. So bleibt die Gabe dieser Substanz vorläufig vor allem auf Patienten beschränkt, die unter den anderen Substanzen keine Besserung zeigen oder bei denen Kontraindikationen gegen die «klassischen» Substanzen bestehen.
Wie behandle ich eine chronische Gicht?
Nachdem der erste akute Gichtanfall aufgetreten ist, stellt sich die Frage, wann und wie eine medikamentöse Dauertherapie begonnen und durchgeführt werden soll. Entsprechend den aktuellen EULAR-Leitlinien von 2016 sollte eine Dauertherapie unter folgenden Voraussetzungen begonnen werden: s mindestens 1 sicherer Gichtanfall aufgetreten s chronische Gichtarthritis s Nachweis von Harnsäureablagerungen in Form von Tophi s anamnestisch Gichtanfälle + Hyperurikämie + einge-
schränkte Nierenfunktion (GFR < 90 ml/min/1,73 m2). Mit einer harnsäuresenkenden Behandlung kann bereits vor dem vollständigen Abklingen eines Gichtanfalls begonnen werden. Zielwert der Therapie ist in der Regel ein Harnsäurewert von < 6 mg/dl (< 360 µmol/l), bei besonders schweren Fällen (häufige Gichtanfälle, Nachweis von Tophi) sollte ein Wert von 5 mg/dl (300 µmol/l) angestrebt werden. Das Ergebnis der Behandlung sollte eine klinische Remission sein. Dazu gehören das Fehlen von neuen Gichtanfällen sowie eine Rückbildung der Tophi. Die Harnsäurewerte sollten anfangs häufiger, später mindestens vierteljährlich kontrolliert werden. Die Behandlungs-
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Febuxostat ist seit 2010 in Deutschland in einer Dosis von 0 bis 120 mg zugelassen. Eines der Hauptkriterien für den Einsatz dieser Substanz ist – neben einer guten Ansprechrate – die Möglichkeit, Febuxostat auch bei leichter bis mittelschwerer Beeinträchtigung der Nierenfunktion (KreatininClearance: 30–80 ml/min) ohne Dosisanpassung verabreichen zu können. Febuxostat ist vor allem dann indiziert, wenn Allopurinol nicht vertragen wird, der Harnsäurespiegel unter Allopurinol nicht ausreichend zurückgeht oder eine eingeschränkte Nierenfunktion besteht. Sowohl Allopurinol als auch Febuxostat dürfen nicht zusammen mit Azathioprin oder Mercaptopurin eingenommen werden. Dies könnte zu einer Akkumulation beider Substanzen führen mit einer potenziellen schweren Knochenmarkdepression.
Abbildung 5: Randständiger Gichttophus mit daraus resultierender Weichteilschwellung am linken Grosszehengrundgelenk
Urikosurika Bei Urikosurika (z. B. Benzbromaron [in der Schweiz nicht mehr im Handel]) handelt es sich um Substanzen, die in der Regel erst dann eingesetzt werden, wenn die Urikostatika Allopurinol oder Febuxostat nicht gegeben werden können oder deren Wirkung nicht ausreicht. Grundsätzlich ist auch eine Kombination der Substanzgruppen möglich, um die Wirksamkeit zu erhöhen. Da Urikosurika die renale Harnsäureausscheidung erhöhen, ist auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr (Trinkmenge > 2 l/Tag) zu achten. Kontraindikationen sind fortgeschrittene Nierenfunktionsstörungen (Kreatinin-Clearance < 50 ml/min), eine Nephrolithiasis oder eine Hyperurikämie aufgrund einer vermehrten endogenen Harnsäureproduktion.
Abbildung 6: Dual-Energy-Computertomografie (DECT) eines Patienten mit langjähriger Arthritis urica: Die Uratdepots zeigen sich hier als grüne Strukturen.
dauer sollte bei Patienten ohne Tophi mindestens 5 Jahre, bei Patienten mit Tophi über 5 Jahre nach deren Verschwinden fortgeführt werden. Wird im Anschluss an einen akuten Gichtanfall keine harnsäuresenkende Therapie begonnen, ist die Gefahr sehr hoch, dass es zu Rezidiven kommt (bei 62% der Patienten innerhalb des ersten Jahres, bei 89% innerhalb von 5 Jahren). Risikofaktoren für erneute Gichtattacken sind vor allem eine koronare Herzkrankheit, ein arterieller Hypertonus sowie Nierenerkrankungen.
Xanthinoxidasehemmer Allopurinol und Febuxostat sind die Mittel der ersten Wahl zur Senkung der Harnsäure. Allopurinol sollte möglichst einschleichend dosiert werden (vgl. Tabelle 5). Die häufigsten Gründe für eine fehlende Wirksamkeit des Allopurinols sind mangelnde Compliance oder eine Unterdosierung der Substanz! Allopurinol sollte generell bei einer Gicht als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden. Dies gilt ausdrücklich auch für Patienten mit mittelgradiger bis schwerer Niereninsuffizienz.
Urikolytika Bei Urikolytika (z. B. Pegloticase [in der Schweiz noch nicht zugelassen]) handelt sich um Reservemedikamente bei Patienten mit einer schweren chronischen Gicht. Sie kommen wegen ihrer Nebenwirkungsgefahr und der hohen Kosten eher als Notfallmassnahme als für eine Dauertherapie infrage.
Anfallsprophylaxe
Gerade mit dem Beginn einer harnsäuresenkenden Medikation kann es durch die Veränderungen im Harnsäurepool zu einer Umverteilung und dadurch zur Mobilisierung der Harnsäure kommen. Dadurch können Gichtanfälle ausgelöst werden. Aus diesem Grund sollte gleichzeitig mit dem Beginn einer harnsäuresenkenden Therapie eine Anfallsprophylaxe durchgeführt werden. Die Zeitdauer einer solchen Prophylaxe ist umstritten. Grundsätzlich gilt, dass sie zwischen 8 Wochen und 6 Monate nach Therapiebeginn betragen sollte. In der Praxis reicht bei voll informierten Patienten nach den ersten 4 bis 8 Wochen eventuell auch eine Pill-in-the-pocket-Strategie für Colchicin bei Bedarf aus. Zur Anfallsprophylaxe bei Beginn einer harnsäuresenkenden Therapie sind geeignet: s Colchicin in niedriger Dosis (z. B. 0,6 mg/Tag) s bei Kontraindikationen oder Unverträglichkeit von Col-
chicin NSAR oder Glukokortikoide in niedriger Dosis (z. B. Naproxen 500 mg/Tag) s Lebensstilinterventionen.
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Tabelle 4:
Behandlung des akuten Gichtanfalls
NSAR
Anfall: zulässige Maximaldosis
1. Wahl
▲ Indometacin: 3-mal 25–50 mg/Tag
▲ Naproxen: 2-mal 500 mg/Tag
▲ Ibuprofen: 3-mal 800 mg/Tag
▲ Diclofenac: 3-mal 50 mg/Tag
▲ Etoricoxib: ≤ 120 mg/Tag
Colchicin
Anfall: 1 mg als Loading-Dose,
1. Wahl
dann 3-mal 0,5 mg/Tag
Prophylaxe: 1- bis 2-mal 0,5 mg/Tag
Glukokortikoide Anfall: 0,5 mg/kg KG über 5 Tage
1. Wahl
(Prednisolon,
Prophylaxe: < 5–7,5 mg/Tag
Triamcinolon)
Canakinumab
Anfall: 150 mg s.c., Abstand zur nächsten Gabe: bei Nichtansprechen
≥ 12 Wochen
oder Kontraindikationen
gegen NSAR/Colchicin/
Glukokortikoide
*Empfehlung laut evidenzbasierter S2e-Leitlinie Gichtarthritis der DGRh, 2016
Empfehlungsgrad A, Evidenz 1b*
Empfehlungsgrad A, Evidenz 1b* Empfehlungsgrad A, Evidenz 1b* Empfehlungsgrad B, Evidenz 1b*
Tabelle 5:
Medikamentöse Behandlung einer chronischen Gicht
Allopurinol Febuxostat Benzbromaron2 (Urikosurikum) Pegloticase3
Start: 100 mg/Tag
1. Wahl
Standard: 300 mg/Tag
maximal 600–800 mg/Tag
Standard: 80 mg/Tag
1. Wahl
maximal 120 mg/Tag
Start: 25 mg/Tag
2. Wahl
Standard: 50–100 mg/Tag
8 mg i. v. alle 14 Tage
Reservemedikament
Empfehlungsgrad A, Evidenz 1b1
Empfehlungsgrad A, Evidenz 1b1 Empfehlungsgrad B, Evidenz 2b1
1 Empfehlung laut evidenzbasierter S2e-Leitlinie Gichtarthritis der DGRh, 2016; 2 in der Schweiz nicht mehr im Handel; 3 in der Schweiz noch nicht zugelassen
Einen erwiesenen Effekt auf die Inzidenz der Erkrankung
haben
s Gewichtsreduktion
s Bewegung
s Nikotinkarenz
s Reduktion von fruktosehaltigen/alkoholischen Geträn-
ken, Fleisch und Schalentieren.
Da es sich bei der Gicht um eine potenziell heilbare Erkran-
kung handelt, ist eine Schulung von Patienten zu ihrer Er-
krankung sinnvoll.
s
Dr. med. Walter Hermann Facharzt Innere Medizin/Rheumatologie/ Physikalische Medizin Kerckhoff-Klinik GmbH D-61231 Bad Nauheim
Interessenlage: Der Autor hat keine Interessenkonflikte deklariert.
Dieser Artikel erschien zuerst in «doctors today» 9/2021. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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