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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Hypertonie im Alter
Übliche Normwerte nur für fitte Senioren sinnvoll?
Das mit einem hohen systolischen Blutdruck assoziierte Sterberisiko im Alter unterscheidet sich stark je nach der individuellen Fitness der Personen. Gebrechliche Personen profitieren demnach von einem gemäss gängigen Normwerten zu hohen Blutdruck. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team an der Universität Ulm. Die Forscher hatten bei 1170 Personen im Alter von > 65 Jahren, Teilnehmer der ActiFE-Ulm-Studie (Activity and Function in the Elderly in Ulm), die Assoziation von Blutdruckwerten, Gebrechlichkeit und Mortalität unter die Lupe genommen. Andere Einflussfakto-
ren wie Alter, Geschlecht, Bildung, Rauchen, Alkohol, Schlafstörungen, diastolischer Blutdruck und die Einnahme von Antihypertensiva wurden statistisch herausgerechnet. Das mediane Alter der Probanden betrug rund 74 Jahre, 42 Prozent der Probanden waren Frauen. Etwas mehr als die Hälfte der Probanden (53,8%) hatten eine Hypertonie. Rund ein Fünftel der Probanden (21,5%) war gebrechlich (frailty index ≥ 0,2). Innert 8 Jahren zählte man 268 Todesfälle, 114 davon unter den Gebrechlichen. Bekanntermassen ist ein hoher Blutdruck mit einer Reihe kardiovaskulärer
nicht gebrechlich
gebrechlich
Freqeunz Frequenz
systolischer Blutdruck zu Beginn der Studie
mmHg
mmHg systolischer Blutdruck zu Beginn der Studie
Abbildung: Systolischer Blutdruck und Gesamtmortalität in der ActiFE-Ulm-Studie innert 8 Jahren. Bei den nicht gebrechlichen Personen (> 65 Jahre; n = 919) stieg die Mortalität mit steigendem Blutdruck (A), hingegen sank sie (B) bei gebrechlichen Personen (> 65 Jahre, n = 251) (nach Kremer KM et al., Hypertension 2022).
Risiken assoziiert. Ein niedriger Blut-
druck ist aber nicht für alle älteren Per-
sonen von Vorteil. In der Ulmer Studie
zeigte sich, das nur die fitteren Personen
tatsächlich von niedrigen Blutdruck-
werten profitierten. Ihr Sterberisiko
war im Beobachtungszeitraum bei
einem systolischen Blutdruck von
130 mmHg am niedrigsten. Anders sah
es bei den gebrechlichen Personen aus:
Im gleichen Zeitraum war ihr Mortali-
tätsrisiko bei höheren Blutdruckwerten
geringer (Abbildung).
Die Studienautoren empfehlen, die kör-
perliche und kognitive Fitness im Alter
bei der patientenspezifischen Behand-
lung der arteriellen Hypertonie zu be-
achten: «Neben den fitten und sportlich
aktiven über 80-Jährigen gibt es ge-
brechliche und wenig belastbare
70-Jährige. Unsere Untersuchung be-
stätigt, wie wichtig dieser Umstand im
Alter, beispielsweise in Bezug auf die
Anwendung differenzierter Behand-
lungsansätze, sein kann», so Erstautor
Kaj-Marko Kremer, Agaplesion-Be-
thesda-Klinik Ulm.
RBO s
Medienmitteilung der Universität Ulm vom 24. Januar 2022
Kremer KM et al., ActiFE Study Group: Systolic Blood Pressure and Mortality in Community-Dwelling Older Adults: Frailty as an Effect Modifier. Hypertension. 2022;79(1):24-32.
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ARS MEDICI 5 | 2022