Transkript
STUDIE REFERIERT
Alzheimer-Demenz
Methylphenidat gegen Apathie
Apathie ist eine der häufigsten neuropsychiatrischen Symptome bei Alzheimer-Patienten. Eine wirksame Therapie gab es bis anhin nicht. Die ADMET-2-Studie liefert nun Hinweise darauf, dass Methylphenidat die Apathie bei diesen Patienten vermindern kann.
JAMA Neurology
Dass Methylphenidat gegen die Apathie bei diesen Patienten helfen könnte, begründen die Studienautoren wie folgt: Die Areale im präfrontalen Kortex, welche für motiviertes Handeln notwendig sind, degenerieren bei AlzheimerPatienten. Apathie ist die Folge. Methylphenidat könnte dieses Symptom abschwächen, indem es die Noradrenalinund die Dopaminaktivität in präfrontal-striatal-thalamokortikalen Nervenverbindungen steigert.
Apathie oder Depression?
Schwere Depression (major depression) war in dieser Studie ein Ausschlusskriterium. Während die Depression durch eine überwältigende Präsenz negativer Empfindungen charakterisiert sei, mangele es bei der Apathie generell an Affekten. Auch weise die Tatsache, dass SSRI zwar bei Depression, nicht aber bei Apathie wirksam seien, darauf hin, dass es sich zum zwei unterschiedliche Entitäten handle, so die Studienautoren.
ADCS-CGIC
ADCS-CGIC bedeutet «Alzheimer’s Disease Cooperative Study – Clinical Global Impression of Change». CGIC-Skalen (Global Impression of Change) werden unter anderem in klinischen Studien zur Alzheimer-Demenz verwendet. Ein CGIC-Score ist als Mass für eine klinisch relevante Veränderung zu interpretieren, während andere psychometrische Scores in der Regel jegliche Veränderungen widerspiegeln, die nicht notwendigerweise auch klinisch relevant sein müssen. Obwohl CGIC-Bewertungen weniger präzis und konsistent sind als psychometrische Messungen, erfassen sie klinisch relevante Effekte möglicherweise besser als Einzelscores.
Quelle: http://adrc.usc.edu/cgic/
Studiendesign
In die plazebokontrollierte, randomisierte Phase-III-Studie einbezogen wurden 200 Personen mit AlzheimerDemenz und Apathie (1). Das Durchschnittsalter der Probanden betrug 76 Jahre, die meisten waren männlich (66%). 99 Personen erhielten Methylphenidat (2-mal 10 mg pro Tag), die anderen Plazebo. Das Ausmass der Apathie wurde mit dem Neuropsychiatric Inventory (NIP) ermittelt; der Score kann zwischen 0 und 12 liegen. Darüber hinaus wurde die allgemeine klinische Veränderung mittels ADCS-CGIC (s. Kasten) erfasst sowie die Entwicklung von Kognition und Lebensqualität verfolgt. Die Studie dauerte 6 Monate.
Resultate
181 Probanden waren bis zum Ende der Studie dabei. Der Apathie-Score sank in beiden Gruppen, aber in der Methylphenidat- stärker als in der Plazebogruppe. Der Unterschied zugunsten von Methylphenidat betrug 1,25 Punkte. Dieser Unterschied war statistisch signifikant (mittlere Differenz: –1,25; 95%-Konfidenzintervall [KI]: –2,03 bis –0,47; p = 0,002). Der stärkste Rückgang trat in den ersten 100 Tagen ein, und er blieb bis zum Ende der Studie mehr oder weniger stabil. Die Wahrscheinlichkeit des völligen Verschwindens der Apathie war mit Methylphenidat etwa doppelt so hoch wie mit Plazebo (Hazard Ratio: 2,16; 95%-KI: 1,19–3,91; p = 0,01). Das Gleiche galt für die Wahrscheinlichkeit für eine Verbesserung der klinischen Situation gemäss ADCS-CGIC (Odds Ratio: 1,90; 95%-KI: 0,95–3,84; p = 0,07). Ein Einfluss von Methylphenidat auf die Kognition oder die Lebensqualität
war nicht feststellbar. Es gab keine Hinweise darauf, dass bestehende Medikationen, wie beispielsweise SSRI, Acetylcholinesterasehemmer oder Memantin, die Studienresultate verfälschten. In der Methylphenidatgruppe traten 17 und in der Plazebogruppe 10 schwere Nebenwirkungen auf, die zu Hospitalisationen führten. Sie wurden alle als nicht mit der Studienmedikation assoziiert klassifiziert. Mehr als 7 Prozent ihres Körpergewichts nahmen 10 Personen in der Methylphenidatgruppe ab, in der Plazebogruppe waren es 6 Personen. Die Häufigkeit aller anderen Nebenwirkungen sei in beiden Gruppen etwa gleich gewesen, so die Studienautoren.
Fazit für die Praxis
Als «einen Versuch wert» kann man
den Kommentar in der gleichen Aus-
gabe von «JAMA Neurology» interpre-
tieren (2). Der Effekt sei für viele Patien-
ten wahrscheinlich klinisch relevant.
Die Bedeutung des Symptoms Apathie
bei Alzheimer-Demenz werde unter-
schätzt, obwohl es einen deutlich nega-
tiven Einfluss auf den weiteren Verlauf
habe und nicht zuletzt die Betreuenden
stark belaste (2).
RBO s
Quellen: 1. Mintzer J et al.: Effect of Methylphenidate on
Apathy in Patients With Alzheimer Disease: The ADMET 2 Randomized Clinical Trial. JAMA Neurol. 2021;78(11):1324-1332. 2. Fredericks C: Methylphenidate for Apathy in Alzheimer Disease – Why Should We Care? JAMA Neurol. 2021;78(11):1311-1313.
Interessenlage: Die Studie wurde vom National Institute on Aging finanziert. Die Autoren der Studie geben Sponsoring durch mehrere pharmazeutische Unternehmen an. Die Autorin des kommentierenden Editorials gibt an, dass keine potenziellen Interessenkonflikte bestehen.
142
ARS MEDICI 5 | 2022