Transkript
STUDIE REFERIERT
Prävention
Schützen Blutdrucksenker auch vor Diabetes?
Seit Jahren wird diskutiert, ob Hypertonie per se sowie bestimmte Blutdrucksenker Risikofaktoren für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes sind. Gemäss einer kürzlich publizierten Studie könnten ACEHemmer und Sartane das Diabetesrisiko für Hypertoniepatienten senken, Betablocker und Thiaziddiuretika hingegen erhöhen.
The Lancet
In die Metaanalyse einbezogen wurden 22 randomisierte Primär- oder Sekundärpräventionsstudien von 1973 bis 2008, in denen entweder Antihypertensiva mit Plazebo oder verschiedene Antihypertensiva untereinander verglichen sowie das Auftreten eines neu diagnostizierten Typ-2-Diabetes protokolliert wurden. Wenn Antihypertensiva untereinander verglichen wurden, galt derjenige Studienarm als Interventionsarm, in dem eine höhere Blutdrucksenkung erreicht worden war. Studien mit Patienten mit prävalentem Diabetes waren von der Metaanalyse ausgeschlossen. Von 145 939 Studienteilnehmern (39,4% Frauen) hatten nach einem Follow-up von median 4,5 Jahren 9883 einen Typ-2-Diabetes entwickelt, was einem Anteil von 6,7 Prozent aller Studienteilnehmer entspricht. Die Inzidenz für einen neu aufgetretenen Typ-2-Diabetes betrug in der Plazebogruppe (bzw. Vergleichsgruppe mit der weniger guten Blutdrucksenkung) 16,44 pro 1000 Personenjahre. Mit Antihypertensiva beziehungsweise in den Studienarmen mit der besseren Blutdrucksenkung waren es 15,94 pro 1000 Personenjahre. Anders ausge-
drückt: Von 10 000 Probanden mit Plazebo bekamen 5 Personen zusätzlich einen Typ-2-Diabetes im Vergleich zu 10 000 Probanden mit Antihypertensiva. Bei dem Vergleich der einzelnen Antihypertonikaklassen mit Plazebo zeigten sich Unterschiede: Das Risiko sank mit ACE-Hemmern und Sartanen, stieg mit Betablockern und Thiaziddiuretika und blieb gleich mit Kalziumkanalblockern. Die relativen und absoluten Risikoreduktionen und -steigerungen sind in der Tabelle zusammengefasst. Die Studienautoren sahen sich auch das Diabetesrisiko von Personen an, die aufgrund genetischer Voraussetzungen einen niedrigen Blutdruck haben. Sie schliessen daraus, dass die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes pro 5 mmHg Blutdrucksenkung (systolisch) um 11 Prozent (Hazard Ratio: 0,89 [95%-Konfidenzintervall: 0,84–0,95]) vermindert sei. Wie Hypertonie einem Typ-2-Diabetes Vorschub leisten kann, ist nach wie vor unbekannt.
Relevanz für die Praxis
Ihre Studie habe konsistente Beweise dafür erbracht, dass die präventive Wir-
kung der Blutdrucksenkung auf das
Typ-2-Diabetes-Risiko kausal sei,
schreibt das Autorenteam um Prof.
Kazem Rahimi und seinen Doktoranden
Milad Nazarzadeh von der Universität
Oxford. Deshalb solle man insbeson-
dere bei Hypertonikern mit einem ohne-
hin erhöhten Diabetesrisiko zu ACE-
Hemmern oder Sartanen greifen (1).
Die absolute Risikoreduktion sei zwar
bescheiden ausgefallen, aber auch
kleine Effekte könnten einen überdi-
mensionalen Nutzen haben, wenn es
um etwas derart Häufiges wie die Hy-
pertonie ginge, heisst es in einem Kom-
mentar in derselben Ausgabe von «The
Lancet» (2).
RBO s
Referenzen: 1. Nazarzadeh M et al.: Blood pressure lowering
and risk of new-onset type 2 diabetes: an individual participant data meta-analysis. Lancet. 2021;398(10313):1803-1810. 2. Cavender MA, Wirka RC: Blood pressure lowering in the prevention of type 2 diabetes. Lancet. 2021;398(10313):1778-1779.
Interessenlage: Einer der Autoren der referierten Studie deklariert Aktienbesitz verschiedener Pharmafirmen. Einer der Autoren des Kommentars deklariert Forschungsgelder und Beraterhonorare. Beide geben an, dass jeweils kein direkter Bezug zu Antihypertonika bestehe.
Tabelle:
Relatives und absolutes Diabetesrisiko im Vergleich zu Plazebo*
Substanzklasse ACE-Hemmer Sartane Betablocker Thiazidiuretika Kalziumkanalblocker
Relatives Risiko •16% RR: 0,84 (95%-KI: 0,76–0,93) •16% RR: 0,84 (95%-KI: 0,76–0,92) •48% RR: 1,48 (95%-KI: 1,27–1,72) •20% RR: 1,20 (95%-KI: 1,07–1,35) •• RR: 1,02 (95%-KI: 0,92–1,13)
*gemäss Daten aus primär- und sekundärpräventiven Hypertoniestudien (1) ARR: absolute Risikoreduktion, KI: Konfidenzintervall, RR: relative Risikoreduktion
Absolutes Risiko •1,2% ARR: –0,0119 (95%-KI: –0,0163; –0,0074) •0,6% ARR: –0,0056 (95%-KI: –0,0091; –0,0022) •2,7% ARR: 0,0268 (95%-KI: 0,0176; 0,0359) •0,6% ARR: 0,0060 (95%-KI: 0,0018; 0,0102) •• ARR: 0,0010 (95%-KI: –0,0035; 0,0055)
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ARS MEDICI 4 | 2022