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BERICHT
Hohe Lipidwerte
LDL-C-Senkung stabilisiert auch die Plaques
Die Guidelines der European Society of Cardiology (ESC) für die Behandlung der Dyslipidämie setzen immer tiefere Zielwerte für das LDL-Cholesterin. Dies aus gutem Grund: Denn je tiefer der LDL-C-Spiegel ist, desto mehr sinkt auch das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, weil damit auch eine Stabilisierung der atheroskleotischen Plaque erreicht werden kann. Doch sind diese ambitionierten Zielwerte in der Praxis überhaupt zu erreichen? Dazu wurden am virtuellen Jahreskongress der ESC diverse Studien präsentiert.
Am ESC-Kongress wurde eine Studie der Universität Zürich präsentiert, die aus dem nationalen Herzinfarktregister AMIS Plus (Acute Myocardial Infarction in Switzerland) Daten, insbesondere LDL-C-Werte, von 7114 Patienten erhob, die zwischen 2016 und 2019 aufgrund eines akuten Myokardinfarkts (AMI) ins Spital eingeliefert wurden. Zusätzlich interessierte auch die Lipidsenkertherapie, mit der die LDL-C-Werte erreicht wurden. Von den mit einem AMI hospitalisierten Patienten litten 1308 (18,4%) bereits vorher an einer atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankung, das heisst einem vormaligen Myokardinfarkt, Hirnschlag, Typ-2-Diabetes mit eingetretenem Organschaden oder einer peripheren arteriellen Erkrankung. Diese Patientengruppe wurde als Very-high-risk-Gruppe definiert, alle übrigen 5806 (81,6%) als Other-risk-Gruppe. Für die Very-high-risk-Gruppe galt es gemäss den Guidelines 2016 und 2019 jeweils, LDL-C-Werte von 1,8 beziehungsweise 1,4 mmol/l und eine Senkung des Ausgangswerts von ≥ 50 Prozent zu erreichen. Für die übrigen Patienten waren Zielwerte von 2,6 beziehungsweise 1,8 mmol/l und je nach Risiko eine Senkung des Ausgangswerts von ≥ 50 Prozent definiert (1). Die Patienten in der Very-high-risk-Gruppe waren älter als die anderen (69,2 vs. 63,6 Jahre), und sie standen häufiger unter einer Statin/Ezetimibe-Kombinationstherapie (64,8 vs. 14%). Keine der beiden Gruppen erreichte die Zielwerte: Im Median lag der LDL-C-Wert in der Very-high-risk-Gruppe bei 2,4 mmol/l und in der Other-risk-Gruppe bei 3,5 mmol/l. In Letzterer erreichten viel weniger Patienten die Zielwerte, und in beiden Gruppen tendierte der Wert in den 4 Beobachtungsjahren dazu, leicht anzusteigen. Trotz existierenden Lipidsenkertherapien erreichten nur wenige Hochrisikopatienten die empfohlenen Zielwerte. Das zeigt, dass in der Praxis die Therapie noch weiter optimiert werden kann, um das kardiovaskuläre Risiko zu senken, so das Fazit der Autoren (2).
Halbierung möglich
Dass das Erreichen der Zielwerte mit der Zugabe eines PCSK9-Hemmers zur bestehenden Statin-/Ezetimibe-Therapie eher möglich ist, zeigte eine kleine Beobachtungsstudie aus London (GB). Bei 55 Patienten einer spezialisierten Li-
pidklinik mit kardiovaskulärer Erkrankung (n = 49) und familiärer Hypercholesterinämie (n = 18) wurden retrospektiv die LDL-C-Werte vor Beginn einer Therapie mit PCSK9Hemmern (98% Alirocumab, 2% Evolocumab) und nach 1,7 Jahren analysiert. 19 Patienten hatten eine PCSK9Hemmer-Monotherapie erhalten. Als primärer Endpunkt der Studie waren das Erreichen der LDL-C-Zielwerte von < 1,8 und < 1,4 mmol/l sowie eine Reduktion um ≥ 50% des Ausgangswerts definiert. Rund 80 Prozent der Patienten erreichten mindestens eine Halbierung ihrer Werte, etwa bei der Hälfte sanken sie auf < 1,8 mmol/l und bei einem Drittel auf < 1,4 mmol/l. Damit zeigt sich, dass durch zusätzliche Gabe eines PCSK9Hemmers in den meisten Fällen eine Senkung der LDL-CWerte um ≥ 50 Prozent erreichbar ist. Die ambitionierten Zielwerte konnten von einigen unter der Kombination erreicht werden, mit einer PCSK9-Hemmer-Monotherapie war das dagegen nur bei wenigen möglich (3). PCSK9-Hemmer verändern die Plaque-Zusammensetzung Trotz des anerkannten klinischen Nutzens sind viele Patienten auch mit einer intensivierten Statintherapie nicht ausreichend behandelt und können die Zielwerte nach akutem Koronarsyndrom nicht erreichen. Das wäre wichtig, denn unter der Therapie mit hochwirksamen Statinen mit und ohne PCSK9-Hemmer zeigte sich im intravaskulären Ultraschall eine mit der Senkung des LDL-C-Werts direkt proportionale Plaque-Regression. Weil die Vulnerabilität der atherosklerotischen Plaque eine wichtige Rolle für das kardiovaskuläre Restrisiko spielt, wurde in der am ESCKongress präsentierten der HUYGENS-Studie untersucht, inwiefern sich eine Zugabe des PCSK9-Hemmers Evolocumab auf den Plaque-Phänotyp auswirkt. Dabei wurden 160 Patienten nach Myokardinfarkt (NSTEMI), mit angiografisch sichtbarer KHK und erhöhten LDL-C-Werten mit und ohne maximal verträglich dosierte Statintherapie eingeschlossen. Die Patienten waren im Durchschnitt 60 Jahre alt, rund 80 Prozent standen unter einer Therapie mit hochwirksamen Statinen. 135 Patienten blieben bis zum Schluss in der Studie (Evolocumab: n = 65, Plazebo: n = 70). ARS MEDICI 3 | 2022 63 BERICHT Die Teilnehmer erhielten zusätzlich zur bestehenden Therapie monatlich während eines Jahres entweder Evolocumab 420 mg s.c. oder jeweils eine Plazebospritze. Vor Studienbeginn und nach deren Ende sei eine intravaskuläre Koronarbildgebung mit IVUS und optischer Kohärenztomografie (OCT) durchgeführt worden, berichtete Prof. Stephen Nicholls, Monash Victorian Heart Hospital, Melbourne, Australien. Während mit IVUS angiografisch schwer interpretierbare Koronarstenosen präziser dargestellt werden können, kann die auf Infrarot basierende OCT die koronare Gefässwand in hoher Auflösung darstellen, wodurch Koronar-Plaques erkannt und deren Beschaffenheit interpretiert werden können. Der primäre Endpunkt der Studie war als Veränderung der Dicke der fibrösen Plaque-Kappe definiert, einer der sekundären Endpunkte als Veränderung des Cholesteringehalts der Plaque. Plaque stabilisiert Vor Studienbeginn lag der LDL-C-Wert der Teilnehmer bei 3,6 mmol/l. Nach einem Jahr Behandlung war er in der Statin-plus-Plazebo-Gruppe auf 2,25 mmol/l gesunken, unter Statin plus Evolocumab auf 0,73 mmol/l. Die Patienten unter Evolocumab wiesen im Vergleich zur Plazebogruppe eine signifikant dickere fibröse Kappe auf, die Zunahme betrug +81,8 Prozent (vs. +44,3% unter Plazebo). Überdies war der Cholesteringehalt in der Plaque ebenfalls signifikant tiefer. Die Verträglichkeit von Evolocumab war gut, abgesehen von vermehrten Reaktionen an der Einstichstelle (1,2 vs. 0%) waren keine weiteren Nebenwirkungen verzeichnet worden. Eine Zugabe von Evolocumab zu einer Statintherapie senkt damit nicht nur den LDL-C-Wert, sondern bewirkt auch eine zusätzliche Plaque-Stabilisierung. Die Studie zeige, dass nicht nur die Plaque-Last, sondern auch der Phänotyp der Plaque durch Lipidsenkung verändert werden kann. Vulnerable Plaques, von denen nach einem Koronarsyndrom weiterhin eine Gefahr ausgehe, könnten durch Therapie stabilisiert werden, so das Fazit von Nicholls. s Valérie Herzog Quelle: «Evolving frontiers for coronary artery disease», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC), 27. bis 30. August 2021, virtuell. Referenzen: 1. Mach F et al.: 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J. 2020;41(1):111–188. 2. Höpli A et al.: Achievement of guideline recommended LDL-C goals in patients with acute myocardial infarction (AMI) in Switzerland. ePoster presented at virtual ESC Congress 2021. 3. Nicholls S et al.: Assessing the impact of PCSK9-Inhibition on coronary plaque phenotype with optical cohehernce tmomography: primary results of the HUYGENS Study. Late breaking trials in ACS presented at ESC Congress 2021, virtual. 4. Suresh A et al.: PCSK9 inhibitor therapy and guideline treatment targets for cardiovascular disease and familial hypercholesterolaemia. E-poster presented at ESC Congress 2021, virtual. 64 ARS MEDICI 3 | 2022