Transkript
Multiple Sklerose
MS wegen Infektion mit Epstein-Barr-Virus?
Eine kürzlich publizierte Studie (1) legt nahe, dass Multiple Sklerose (MS) durch eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) ausgelöst werden könnte – eine Hypothese, die unter Neurologen schon seit Langem diskutiert wird. In der Studie aus den USA war die EBV-Infektion mit einem um das 32-Fache erhöhten Risiko für MS assoziiert. Die Autoren der Studie spekulieren, dass eine Impfung gegen EBV möglicherweise das MS-Risiko senken könnte. Der Impfstoffhersteller Moderna hat bereits einen mRNA-Impfstoff gegen EBV entwickelt, der sich zurzeit in der ersten Phase der klinischen Prüfung befindet (2). In der Studie wurden die Blutproben von rund 10 Millionen Personen auf EBV gescreent, die zwischen 1993 und 2013 in der US-Armee dienten. Wie in der Allgemeinbevölkerung war die EBV-Durchseuchung hoch, nur 5,3 Prozent der Proben waren EBV-negativ. Die meisten MS-Erkrankungen traten zirka 5 Jahre nach der ersten EBV-positiven Probe aus (alle Fälle zwischen 1 und 10 Jahren nach der ersten EVB-positiven Probe). Von 801 MS-Fällen war nur 1 Fall EBV-negativ. Es handelte sich um eine Fallkontrollstudie, und für jeden MS-Betroffenen wurden 2 gematchte Kontrollpersonen eingeschlossen, die im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Ethnizität usw. vergleichbar waren, aber keine MS-Erkrankung aufwiesen. Die an MS Erkrankten hatten mit 97 Prozent eine hohe
EBV-Serokonversionsrate, während diese bei den gesunden Kontrollpersonen nur bei 57 Prozent lag. Um auszuschliessen, dass Menschen mit einer Prädisposition für Herpesviren eventuell eine Prädisposition für MS aufweisen könnten, wurde auch auf das Zytomegalievirus (CMV) gescreent, ein anderes häufiges Virus der Herpesfamilie, das ebenfalls wie EBV über den Speichel übertragen wird. Doch hier zeigte sich eine solche Korrelation nicht, im Gegenteil: Die CMV-positiven Personen trugen in dieser Studie ein geringeres MS-Risiko. Es handele sich zwar nur um Beobachtungsdaten, aber die hohe Teilnehmerzahl, der Ausschluss von Störgrössen und Kovariablen sowie das eindrückliche Ergebnis bestärkten die Hypothese, dass die Infektion mit EBV kausal eine MS verursachen könne, so Prof. Dr. Ralf Gold, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: «Die Daten untermauern nun die Erkenntnis, dass EBV höchstwahrscheinlich ein Auslöser der MS ist, wenn auch vielleicht nicht der einzige.» DGN/RBO s
Medienmitteilung der DGN vom 17. Januar 2022.
1. Bjornevik K et al.: Longitudinal analysis reveals high prevalence of Epstein-Barr virus associated with multiple sclerosis (published online ahead of print, 2022 Jan 21). Science. 2022;10.1126/science.abj8222.
2. A Study of an Epstein-Barr Virus (EBV) Candidate Vaccine, mRNA-1189, in 18- to 30-Year-Old Healthy Adults. ClinicalTrials.gov Identifier: NCT05164094. https://clinicaltrials.gov/ct2/home
ARS MEDICI 1+2 | 2022
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