Transkript
BERICHT
Schweizer Impfkongress
Was gibt’s Neues zur Zosterimpfung?
Foto: RBO
Bis anhin ist in der Schweiz nur der Lebendimpfstoff Zostavax® zur Prävention einer Herpes-zosterErkrankung zugelassen. Das wird sich ab Januar 2022 ändern, denn dann wird der rekombinante Impfstoff Shingrix® auch in der Schweiz verfügbar sein. Am Schweizer Impfkongress fasste PD Dr. Christoph T. Berger, Universitätsspital Basel, die wesentlichen Punkte zur Zosterimpfung zusammen.
«Herpes zoster ist eine extrem häufige und ex-
trem unangenehme Erkrankung, die zwar nicht
zu vielen Todesfällen führt, aber die Morbidität
erhöht», sagte Berger. Man schätzt, dass in der
Schweiz pro Jahr zirka 17 000 Personen an
Herpes zoster erkranken. Aus US-amerikani-
schen Studien ist bekannt, dass die Lebenszeit-
prävalenz für Herpes zoster rund 30 Prozent
beträgt und zwei Drittel der Betroffenen über
PD Dr. Christoph T. Berger
50 Jahre alt sind. Zu den gefürchteten Komplikationen zählen die postherpetische Neuralgie
mit mehr als 3 Monate anhaltenden starken Schmerzen, die
Erblindung infolge des Befalls der Augen (Zoster ophthalmi-
cus) sowie der Befall von Organen (Enzephalitis, Lungenent-
zündung usw.). Zosterbedingte Todesfälle sind sehr selten.
Sie kommen bei über 60-jährigen Patienten vor, und ihre
Zahl wird in der Schweiz auf durchschnittlich 17 pro Jahr
geschätzt.
Das Zosterrisiko ist aber nicht nur eine Frage des Alters. Der
zweite Hauptrisikofaktor neben dem Alter ist die Immun-
suppression. So beträgt die Zosterinzidenz bei Patienten nach
einer hämatologischen Stammzelltransplantation bis zu 100
pro 1000 Personenjahre. Bei der Behandlung mit JAK-Hem-
mern wegen chronisch entzündlicher Darmerkrankungen
oder rheumatoider Arthritis wird sie auf 40 pro 1000 Perso-
nenjahre beziffert, unter TNF-a-Therapie auf 20 und mit
niedrig dosierter Prednisolon-/Methotrexat-/Azathioprin-
therapie auf 5 bis 10 pro 1000 Personenjahre, während sie in
der Kontrollgruppe bei 5 pro 1000 Personenjahre liegt. Per-
KURZ & BÜNDIG
Die EKIF empfiehlt die Impfung mit dem rekombinanten Impfstoff ab Januar 2022
� für alle Personen ab 65 Jahre � ab 50 Jahre mit einem mittleren Risiko für Herpes zoster � ab 18 Jahre mit einem hohen Risiko für Herpes zoster.
sonen mit angeborener oder erworbener Immunsuppression tragen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein 2- bis 20-mal höheres Zosterrisiko, und ihr Risiko für eine postherpetische Neuralgie ist doppelt so hoch.
Gegen Zoster impfen
Bekanntermassen verbleiben Varicella-Zoster-Viren (VZV) nach einer Windpockenerkrankung im Körper, und sie können Jahrzehnte später Gürtelrose verursachen. Um die latente VZV-Infektion in Schach zu halten, ist vor allem die zelluläre Abwehr mithilfe von T-Lymphozyten wichtig. Sinkt die gegen VZV wirkende Aktivität der T-Zellen zu weit ab, kann sich das Virus reaktivieren, und Herpes zoster ist die Folge. Die Zosterimpfung soll diese Reaktivierung durch das Boostern insbesondere der T-Zell-Aktivität unterbinden.
Wie gut schützt der Lebendimpfstoff?
Bis anhin stand in der Schweiz nur ein Lebendimpfstoff (Zostavax®) für die Zosterimpfung zur Verfügung. Er enthält rund 10-mal mehr attenuierte Varizellen als der Varizellenimpfstoff für die 11- bis 15-Jährigen und wird als Einmaldosis subkutan für 65- bis 79-Jährige sowie für Personen ab 50 Jahren, bei denen in naher Zukunft eine Immunsuppression zu erwarten ist, empfohlen. Die Schutzwirkung dieser Impfung beträgt 51 Prozent gegen Zoster (5,4 vs. 11,1 pro 1000 Personenjahre) und 67 Prozent gegen die postherpetische Neuralgie (0,5 vs. 1,4 pro 1000 Personenjahre). Die Impfung mit einem Lebendimpfstoff kann für Immunsupprimierte jedoch riskant sein. Berger schilderte den Fall eines australischen Patienten mit chronisch lymphatischer Leukämie. Er war noch nie mit VZV in Kontakt gekommen und hätte, wenn überhaupt, zuerst mit dem Varizellenimpfstoff für Kinder geimpft werden müssen. Trotzdem verabreichte man ihm den hoch dosierten Lebendimpfstoff gegen Zoster. Der Patient erkrankte an einer disseminierten Zosterinfektion und starb. Es handele sich zwar um einen Einzelfall, so Berger, aber man müsse dieses Risiko bei dem Lebendimpfstoff bedenken: «Darum ist es gerade für diese Patientengruppen ein Vorteil, dass es nun einen Nicht-Lebendimpfstoff gibt.»
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BERICHT
Was bringt der rekombinante Zosterimpfstoff?
Bei Shingrix® handelt es sich um einen rekombinanten Impfstoff mit einem Glykoprotein des VZV als Antigen. «Reines Protein erzeugt aber keine gute Immunantwort, schon gar nicht bei Immunsupprimierten», erläuterte Berger die Notwendigkeit eines Adjuvans, um eine ausreichende Immunantwort hervorzurufen. Das Adjuvans besteht aus 3 Komponenten: Liposomen, die für den Organismus virenähnlich aussehen, Monophosphoryl-Lipid-A (MPL), welches wie das in Bakterienzellwänden vorhandene Lipopolysaccharid (LPS) eine starke und vielfältige Immunreaktion induziert, aber weniger toxisch als LPS ist, sowie Extrakten des Seifenrindenbaums (Quillaria saponaria), die dafür bekannt sind, insbesondere starke T-Zell-Antworten zu fördern. Der Impfstoff wird 2-mal im Abstand von 2 bis 6 Monaten i.m. verabreicht. Lokale Impfreaktionen sind häufig: «Man sollte den Leuten im Voraus sagen, dass dieser Impfstoff ordentliche lokale Nebenwirkungen hat», sagte Berger. Rund drei Viertel der Impflinge berichten davon, vor allem von Schmerz (69%), Rötung (39%) und Schwellung (23%). Bei den über 70-Jährigen beträgt die Schutzwirkung gegen Herpes zoster rund 90 Prozent und gegen postherpetische Neuralgie 88,8 Prozent (1). Ein weiterer Vorteil gegenüber dem Lebendimpfstoff ist, dass die Schutzwirkung mit dem rekombinanten Impfstoff länger anhält. Bei Immunsupprimierten zeigte sich in einer Studie mit Patienten nach einer autologen Stammzelltransplantation eine Wirksamkeit von 68,2 Prozent. In den 21 Monaten Followup erkrankten 49 von 851 der geimpften immunsupprimierten Patienten an Herpes zoster, bei den Ungeimpften waren es 135 von 870. Das entsprach einer Inzidenz von 30 beziehungsweise 94 auf 1000 Personenjahre (2). Zur Sicherheit des rekombinanten Impfstoffs bei Personen mit Autoimmunerkrankungen gibt es bis anhin kaum Stu-
dien. Die Autoren einer Beobachtungsstudie mit rund 400 Patienten mit rheumatoider Arthritis oder anderen systemischen rheumatischen Erkrankungen hätten keine bedenklichen Nebenwirkungen festgestellt, so Berger. Ein Wiederaufflammen der Erkrankung (flares) trat bei insgesamt 6,7 Prozent der Patienten nach der Impfung auf (5,7% nach der ersten und 2,3% nach der zweiten Dosis) (3). Die «flares» seien in keinem Fall schwer gewesen, und man habe sie mit niedrigen Kortisondosen kontrollieren können, berichtete Berger.
Empfehlung der EKIF zur Zosterimpfung
Die EKIF empfiehlt die Impfung mit dem rekombinanten
Impfstoff ab Januar 2022 für alle Personen ab 65 Jahre.
Ebenfalls empfohlen wird sie ab 50 Jahre bei einem mittleren
und ab 18 Jahre bei einem hohen Risiko für Herpes zoster
(z. B. Immunsupprimierte wegen bestimmter Therapien und
Medikamente). Über eine allfällige Kostenübernahme durch
die Krankenkassen war Ende Oktober 2021 noch nichts be-
kannt.
s
Renate Bonifer
Quelle: PD Dr. Christoph T. Berger: Herpes-zoster-Impfung – ein Update. Schweizer Impfkongress, 28. bis 29. Oktober 2021 in Basel.
Literatur: 1. Cunningham AL et al.: Efficacy of the Herpes Zoster Subunit Vaccine in
Adults 70 Years of Age or Older. N Engl J Med. 2016;375(11):1019-1032. 2. Bastidas A et al.: Effect of Recombinant Zoster Vaccine on Incidence of
Herpes Zoster After Autologous Stem Cell Transplantation: A Randomized Clinical Trial. JAMA. 2019;322(2):123-133. 3. Stevens E et al.: Safety of the Zoster Vaccine Recombinant Adjuvanted in Rheumatoid Arthritis and Other Systemic Rheumatic Disease Patients: A Single Center’s Experience With 400 Patients. ACR Open Rheumatol. 2020;2(6):357-361.
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