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STUDIE REFERIERT
Prävention
Höheres Herzinsuffizienzrisiko mit ASS?
Acetylsalicylsäure (ASS) ist seit Jahrzehnten auch wegen seiner antithrombotischen Eigenschaften etabliert – weltweit nehmen mehrere Millionen Menschen den Wirkstoff über Jahre täglich zur Langzeitprävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ein. Der breite Einsatz wird von Wissenschaftlern allerdings zunehmend kritisch gesehen. Eine aktuelle Studie weist nun darauf hin, dass die regelmässige Einnahme von ASS das Risiko für die Entwicklung einer Herzinsuffizienz erhöhen könnte.
ESC Heart Failure
Aufgrund der verringerten Pumpleistung gilt die Herzinsuffizienz per se als prothrombotischer Zustand, der die Einleitung einer antithrombotischen Therapie erfordert. Eine Option wäre niedrig dosiertes ASS (30 bis 100 mg/Tag). Bisher vorhandene Studien zum Einfluss von ASS auf das Herzinsuffizienzrisiko lieferten jedoch kontroverse Resultate. Ziel der vorliegenden Studie war es deshalb, die Zusammenhänge zwischen einer präventiven ASS-Gabe und der Inzidenz von Herzinsuffizienz bei einer grösseren Patientenpopulation mit und ohne Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu untersuchen. In die Analyse wurden frühere Studiendaten von 30 827 Patienten aus Westeuropa und den USA einbezogen, die aufgrund verschiedener Grunderkrankungen (u. a. Diabetes, Hypertonie, Adipositas, erhöhtes Cholesterin) oder wegen Lifestyle-Faktoren (u. a. Rauchen) ein erhöhtes Herzinsuffizienzrisiko aufwiesen. Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 67 Jahren; 34 Prozent waren Frauen. Bei Studienbeginn nahmen 7698 (25%) Probanden ASS
ein. Während des 5,3 Jahre dauernden Follow-ups entwickelten 1330 Patienten eine Herzinsuffizienz. Das Risiko für eine neu diagnostizierte Herzinsuffizienz war unter ASS um 26 Prozent erhöht (Hazard Ratio [HR]: 1,26; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,12–1,41; p ≤ 0,001). Um die Zuverlässigkeit dieser Ergebnisse zu überprüfen, wurde die Analyse wiederholt, indem individuell jedem Patienten, von dem die ASS-Einnahme bekannt war, eine Kontrollperson ohne ASS zugeordnet wurde. Auch hier bestätigte die Auswertung das unter ASS um 26 Prozent erhöhte Herzinsuffizienzrisiko (HR: 1,26; 95%-KI: 1,10–1,44; p ≤ 0,001). Eine weitere Prüfung bezog in die Auswertung nur jene 22 690 (74%) Studienteilnehmer ohne diagnostizierte HerzKreislauf-Erkrankung ein. Auch hier war die ASS-Einnahme mit einem (sogar) um 27 Prozent höheren Herzinsuffizienzrisiko assoziiert (HR: 1,27; 95%KI: 1,10–1,46; p = 0,001). «Das ist die erste grosse Studie, die über den Zusammenhang zwischen der Einnahme von ASS und der Entwicklung
einer chronischen Herzinsuffizienz bei Personen mit oder ohne Herz-Kreislauf-Erkrankungen berichtet», so Dr. Blerim Mujaj, Kardiologe an der medizinischen Fakultät der Universität Freiburg im Breisgau und Erstautor der Studie. Mujaj ist davon überzeugt, dass jetzt grosse multinationale, randomisierte Studien mit Risikopatienten folgen müssen, um diese Ergebnisse zu verifizieren. Inzwischen, so der Kardiologe, sollte die Verschreibung von ASS bei herzinsuffizienten Patienten oder solchen mit einem erhöhten Herzinsuffizienzrisiko mit Vorsicht erfolgen. s
CR
Quellen: Mujaj B et al.: Aspirin use is associated with increased risk for incident heart failure: a patient-level pooled analysis (published online ahead of print, 2021 Nov 22). ESC Heart Fail. 2021;10.1002/ehf2.13688. Medienmitteilung der European Society of Cardiology (ESD) vom 23. November 2021.
Interessenlage: Die Autoren der Studie erklären, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
NACHGEFRAGT
Prof. Hans Rickli, Chefarzt Kardiologie am Kantonsspital St. Gallen, Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie
ASS weiterhin zur Sekundärprävention
Als eindrückliches Ergebnis dieser Studie zeigt sich, dass im Beobachtungszeitraum von 5,3 Jahren bei 1330 der insgesamt 30 800 Patientin-
nen und Patienten eine Herzinsuffizienz aufgetreten ist. Dabei ergab sich in der multivariaten Analyse eine Assoziation mit der Einnahme von ASS: Insgesamt war die Einnahme von ASS assoziiert mit einem um 26 Prozent erhöhten Auftreten von Herzinsuffizienz. Die Studienautoren schliessen daraus, dass ASS bei einem erhöhten Herzinsuffizienzrisiko vorsichtig eingesetzt werden sollte. Auch wenn in Anbetracht des Designs (Beobachtungsstudie) nur eine beschränkte Aussagekraft besteht, bestätigt die Studie, dass ASS in der kardiovaskulären Primärprävention auch bei Hochrisikopatienten in der Regel nicht indiziert ist. Herzinsuffiziente Patienten in der kardiovaskulären Sekundärprävention sollten aber weiterhin ASS einnehmen, wie dies auch die aktuellen Präventionsguidelines von 2021 empfehlen.
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ARS MEDICI 24 | 2021