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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
COVID-19-Therapie im Frühstadium
Inhalative Glukokortikoide helfen nicht
Zwei nicht verblindete Studien suggerierten, dass inhalative Glukokortikoide (ICS) die Aufnahme von SARSCoV-2 in die Atemwege und deren lokale Vermehrung in einem frühen Krankheitsstadium hemmen könnten. Zum einen zeigte sich eine leichte Reduktion der notfallmässigen Vorstellungen oder Hospitalisationen, zum anderen eine leichte Reduktion der seitens der Patienten berichteten Zeit bis zur Genesung. Wegen der fehlenden Verblindung waren beide Studien jedoch wenig aussagekräftig, zumal in einer von ihnen nur ein subjektiv empfundener Endpunkt gewählt wurde – eine Methode, die bekanntermassen sehr anfällig für Plazeboeffekte ist. Nun wurde die erste verblindete, plazebokontrollierte Studie zur Wirkung einer ICS-Therapie bei COVID-19Patienten im Frühstadium (Beginn der Therapie spätestens 3 Tage nach positivem SARS-CoV-2-Test) veröffentlicht. Sie wurde nicht mit Budesonid, sondern mit Ciclesonid durchgeführt, das, ähnlich wie in den oben genannten Studien, in hoher Dosis gegeben wurde (640 µg pro Tag, verteilt auf 2-mal 2 Hübe à 160 µg für 30 Tage). Die Studie um-
fasste 400 Patienten, die in 2 Gruppen randomisiert wurden. Der primäre Endpunkt war die Zeit bis zum Verschwinden aller COVID-19assoziierten Symptome (Husten, Luftnot, Schüttelfrost, Fieber, Muskelschmerzen, Halsschmerzen, Verlust des Geruchs- oder Geschmackssinns). Sowohl in der ICS- als auch in der Plazebogruppe dauerte es median 19 Tage bis zum Verschwinden der Symptome. Auch nach 30 Tagen zeigte sich kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Schwere Verläufe und Todesfälle traten weder in der ICS- noch in der Plazebogruppe auf. Nur bei einem der sekundären Endpunkte (notfallmässige Vorstellung oder Hospitalisation) zeigte sich ein statistisch signifikanter Unterschied. In der ICS-Gruppe waren es 2 von 197 Patienten (1%) und in der Plazebogruppe 11 von 203 (5,4%). Daraus liessen sich jedoch keine sicheren Hinweise auf die Wirksamkeit von Ciclesonid bei Patienten mit COVID-19 ableiten, heisst es in einer Stellungnahme von 5 Fachgesellschaften aus Deutschland und Österreich (2). So waren die Fallzahlen niedrig und das Ereignis «Not-
fall-Vorstellung oder Hospitalisation»
trat selten auf: Hier könnte der Zufall
eine Rolle gespielt haben. Ein klinisch
tatsächlich relevanter Unterschied sei
zudem wenig plausibel, weil sich die
Patientengruppen nicht hinsichtlich des
Rückgangs der Symptome unterschie-
den hätten, so die Fachgesellschaften.
Während die Fortführung einer beste-
henden ICS-Dauertherapie während
der SARS-CoV-2-Pandemie und bei
COVID-19-Patienten mit Asthma oder
COPD ausdrücklich empfohlen wird,
rät man von einer ICS-Therapie wegen
COVID-19 ab – auch im Hinblick auf
die Versorgungssicherheit von Asthma-
und COPD-Patienten mit den für sie
essenziellen ICS.
RBO s
1. Clemency BM et al.: Efficacy of Inhaled Ciclesonide for Outpatient Treatment of Adolescents and Adults With Symptomatic COVID-19: A Randomized Clinical Trial (published online ahead of print, 2021 Nov 22). JAMA Intern Med. 2021.
2. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP), der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI), des Bundesverbandes der Pneumologen (BdP) und der Deutschen Lungenstiftung (DLS) vom 30. November 2021.
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ARS MEDICI 24 | 2021