Transkript
BERICHT
ESOC 2021: Statine, Antikoagulation, Blutdrucksenkung ...
Verschiedene Ansätze zur Prävention im Fokus
Ischämischer Schlaganfall und zerebrale Mikroblutungen
Kein erhöhtes Risiko für intrakranielle Blutungen durch Statine
Nach einem ischämischen Schlaganfall werden häufig se-
kundärpräventiv Statine verschrieben. Es gibt jedoch Hin-
weise darauf, dass Statine das Risiko von Hirnblutungen
erhöhen könnten, was Bedenken gegen ihren routinemässi-
gen Einsatz bei Patienten mit zerebralen Mikroblutungen
aufkommen lässt, die ohnehin ein höheres Risiko für intra-
kranielle Blutungen haben. Wie also weiter vorgehen? An-
hand von Beobachtungsdaten aus dem Microbleeds Inter-
national Collaborative Network (MICON) versuchten
Dr. Prats-Sánchez und seine Kollegen diese Frage zu beant-
worten.
MICON umfasst Daten von 16 632 Patienten aus 38 bevöl-
kerungsbezogenen und krankenhausbezogenen prospekti-
ven Kohortenstudien aus 18 Ländern. Zu Beginn der Studie
wurden 10 812 (65%) mit Statinen behandelt, und 4743
(28,5%) wiesen mindestens 1 Mikrobläschen in der Hirn-
bildgebung auf. Nach einer mittleren Nachbeobachtungs-
zeit von 1 Jahr fand sich kein Hinweis darauf, dass Statine
das Risiko für intrakranielle Blutungen erhöhten – auch
nicht bei den Patienten mit dem höchsten Risiko. Obwohl es
sich um eine Beobachtungsstudie handelt, bietet sie Ärzten
eine gewisse Sicherheit bei der Verschreibung von Statinen
zur Sekundärprävention von Schlaganfällen bei Patienten
mit zerebralen Mikroblutungen. Zudem scheint die Statin-
gabe nach einem ischämischen Schlaganfall mit Mikroblu-
tungen – unabhängig von deren Ausmass und Verteilung –
mit einem geringeren Risiko für einen erneuten Schlaganfall
assoziiert zu sein.
Mü
Quelle: Prats-Sanchez L et al.: Benefit and risks of statins in the secondary prevention of patients with ischemic stroke and cerebral microbleeds – individual-patient data analysis of prospective cohort studies. Abstract PO0012/#1399, ESOC, 1. bis 3. September 2021, sowie Pressemitteilung.
sss
Langzeit-Follow-up-Daten aus der PROGRESS-Studie
Implikationen für die Prävention von Schlaganfall und Demenz
Insgesamt 6105 Patienten mit einem Schlaganfall oder einer TIA in der Anamnese wurden in die randomisierte, kontrollierte Studie PROGRESS (Perindopril Protection Against Recurrent Stroke Study) eingeschlossen. In der am ESOC präsentierten Analyse der Langzeitdaten ging es um die Wirkung einer randomisierten, aktiven Blutdrucksenkung (Perindopril 4 mg täglich mit/ohne zusätzliche Verabreichung von Indapamid 2–2,5 mg täglich im Vergleich zu Plazebo) sowie wichtige Prädiktoren für kognitiven Verfall und Demenz. Während eines Follow-ups von im Median 4 Jahren wurden 779 Fälle von abnehmender kognitiver Kapazität respektive Demenz verzeichnet, davon 31 Prozent bei Frauen. Eine aktive Behandlung war unabhängig vom Geschlecht mit einem geringeren Auftreten abnehmender kognitiver Fähigkeiten/Demenz verbunden (Odds Ratio [OR]: 0,85; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,73–0,99). Auch mehr Bildungsjahre (OR: 0,96; 95%-KI: 0,94–0,98; pro Jahr) und kognitive Grundfunktionen (OR: 0,84; 95%-KI: 0,82–0,86; pro Punkt im MMS) waren mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit für kognitiven Verfall und Demenz assoziiert. Die blutdrucksenkende Behandlung ging mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit für einen kognitiven Verfall und Demenz einher, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Ein höherer diastolischer Blutdruck (OR: 1,11; 95%-KI: 1,03– 1,20; per 10 mmHg) und eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (OR: 1,86; 95%-KI: 1,32–2,61) hingegen erhöhten die Wahrscheinlichkeit für kognitiven Verfall und Demenz. Eine Reduktion der geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR; < 60 ml/min/1,73m2) wurde mit einem erhöhten Risiko für Demenz in Verbindung gebracht (OR: 1,55; 95%-KI: 1,20–2,01), das Ausmass der daraus resultierenden kognitiven Beeinträchtigung/Demenz war bei Frauen grösser als bei Männern.
712
ARS MEDICI 23 | 2021
KURZMELDUNGEN
Insgesamt war die Wahrscheinlichkeit, eine kognitive Beeinträchtigung/Demenz zu entwickeln, bei den Frauen geringer als bei den Männern (OR: 0,77; 0,63–0,95). Bei Männern fand sich ein stärker ausgeprägter Zusammenhang mit einem Diabetes mellitus. «Diese Studie könnte Klinikern helfen, ihre Strategien zur Vorbeugung von Schlaganfall und Demenz zu überdenken», so Studienautorin Jessica Gong. Die langfristigen kognitiven Folgen eines Schlaganfalls sollten berücksichtigt werden, um gemeinsame Präventionsstrategien für Schlaganfall und Demenz zu stärken, so das Fazit aus dem Langzeit-Follow-up der PROGRESS-Studie. Mü
Quelle: Gong J et al.: Predictors for cognitive decline and dementia in women and men with prior stroke or transient ischemic attack in the progress trial. Abstract PO0013/#468, ESOC, 1. bis 3. September 2021, sowie Pressemitteilung.
sss
Nicht valvuläres Vorhofflimmern
Orale Antikoagulanzien können
das Demenzrisiko senken
Nicht valvuläres Vorhofflimmern (nvVHF) wird mit einem
erhöhten Demenzrisiko in Verbindung gebracht. Rahman
und Kollegen haben untersucht, ob eine Behandlung mit
oralen Antikoagulanzien (OAK) diesen Zusammenhang ab-
mildern und das Demenzrisiko der Betroffenen verringern
könnte. Mithilfe des Clinical Practice Research Datalink
identifizierten sie unter mehr als 15 Millionen Patienten aus
über 700 Allgemeinpraxen eine Kohorte von 142 227 Pati-
enten mit nvVHF, die mindestens 6 Monate lang OAK er-
halten hatten und nachbeobachtet wurden.
Während einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit
von 4,7 Jahren wurden 8 023 neue Demenzfälle registriert,
das entspricht einer Inzidenzrate von 12,1 pro 1000 Perso-
nenjahre. Die Studie zeigte, dass die Einnahme von Antikoa-
gulanzien nach 1 bis 2 Jahren das Demenzrisiko im Vergleich
zur Nichtanwendung senkte (Hazard Ratio [HR]: 0,88;
95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,84–0,92). Diese zusätzlich
schützende Wirkung hinsichtlich eines Demenzrisikos unter-
streiche die Notwendigkeit des Einsatzes von OAK bei Pati-
enten mit nvVHF und sollte bei Behandlungsentscheidungen
berücksichtigt werden, so die Autoren.
Mü
Quelle: Rahman A et al.: Association between oral anticoagulants and the risk of dementia in patients with nonvalvular atrial fibrillation. Abstract PO0014/#481, ESOC, 1. bis 3. September 2021, sowie Pressemitteilung.
sss
Belastung am Arbeitsplatz
Beitrag zum kardiovaskulären Risiko von Frauen
Arbeitsstress, Schlafstörungen und Fatigue, die als nicht traditionelle Risikofaktoren für Herzinfarkt und Schlaganfall gelten, nähmen bei Frauen stärker zu als bei Männern, hiess es an der 7. European Stroke Organisation Conference. Im Swiss Health Survey, in dem anonymisierte Daten von rund 22 100 Männern und Frauen aus den Jahren 2007, 2012 und 2017 verglichen wurden, gaben mehr Frauen entsprechende Beschwerden an, parallel stieg der Anteil der vollzeitberufstätigen Frauen von 39 auf 44 Prozent.
Beide Geschlechter berichteten über mehr Stress am Arbeits-
platz (2007: 59%, 2017: 66%). Eine Zunahme an Müdig-
keit und Erschöpfung beschrieben alles in allem 23 respek-
tive 29 Prozent, unter den Frauen war ein Anstieg auf
33 Prozent und unter den Männern ein Anstieg auf 26 Pro-
zent zu verzeichnen. Schlafstörungen stiegen von 24 auf
29 Prozent, eine schwere Beeinträchtigung des Schlafs nann-
ten 8 Prozent der befragten Frauen und 5 Prozent der Männer.
Die traditionellen Risikofaktoren hingegen blieben im
Beobachtungszeitraum stabil (Hypertonie: 27%, Hyperlipid-
ämie: 18%, Diabetes mellitus: 5%). Beim Übergewicht fand
sich ein Anstieg auf 11 Prozent; die durchschnittliche Anzahl
von Zigaretten sank von 10,5 auf 9,5 pro Tag – beides war
häufiger bei den Männern. Die Neurologen Dr. Martin Hän-
sel und Prof. Susanne Wegener, USZ Zürich, vermuten, dass
der stärkere Anstieg der nicht traditionellen Risikofaktoren
unter berufstätigen Frauen auf das Jonglieren der berufli-
chen und privaten Verantwortung sowie weitere soziokultu-
rellen Faktoren zurückzuführen ist, zusammen mit spezifi-
schen gesundheitlichen Bedürfnissen der Frauen.
Mü
Quelle: Wegener S et al.: 10-year trends in cardiovascular risk factors in Switzerland: non-traditional risk factors are on the rise in women more than in men. Abstract O0054/#1365, ESOC, 1. bis 3. September 2021, sowie Pressemitteilung.
sss
MR ASAP
Verbessert Nitroglycerin im Rettungswagen die
zerebrale Blutversorgung?
Nitroglycerin wird in der Kardiologie aufgrund seiner dila-
tativen und blutdrucksenkenden Wirkung als symptomati-
sche Therapie bei Koronarsyndromen eingesetzt. Könnte
eine rasche Applikation im Rettungswagen dazu beitragen,
die zerebrale Blutversorgung bei akutem Schlaganfall wie-
derherzustellen, und die klinischen Ergebnisse verbessern?
Dieser Frage ging die Studie MR ASAP nach. In der multi-
zentrischen, randomisierten, kontrollierten Studie wurde
untersucht, welche Auswirkungen die Anwendung eines Ni-
troglycerinpflasters innerhalb von 3 Stunden nach Auftreten
der Symptome auf die Behinderung von Patienten mit Ver-
dacht auf akuten ischämischen Schlaganfall oder intrazere-
brale Blutung hatte.
Bei Verdacht auf Schlaganfall und einem anfänglichen sys-
tolischen Blutdruck von ≥ 140 mmHg erhielten die Patien-
ten nach dem Zufallsprinzip entweder eine Standardbe-
handlung plus transdermales Nitroglycerin (5 mg/Tag über
24 Stunden) oder die alleinige Standardbehandlung. Das
Nitroglycerinpflaster wurde erstmals im Rettungswagen
appliziert und im Krankenhaus beibehalten. Nach Ein-
schluss von 326 anstelle der geplanten 1400 Patienten sei die
Studie vorzeitig abgebrochen worden, da sie «keinen Hin-
weis auf einen Nutzen von Nitroglycerin in den ersten
3 Stunden nach Auftreten der Symptome bei prähospitalem
Schlaganfall» geliefert habe, berichtete Uniken Venema, die
Erstautorin der Studie.
Mü
Quelle: Venema SU et al.: Multicentre randomised trial of acute stroke treatment in the ambulance with a nitroglycerin patch (MR ASAP). Abstract PO0003A/ #2365, ESOC, 1. bis 3. September 2021, sowie Pressemitteilung.
ARS MEDICI 23 | 2021
713